Österreich:Blaues Comeback im roten Wien

Lesezeit: 3 Min.

Die FPÖ mit Spitzenkandidat Dominik Nepp hat ihr Ergebnis in Wien fast verdreifacht.
Die FPÖ mit Spitzenkandidat Dominik Nepp hat ihr Ergebnis in Wien fast verdreifacht. (Foto: Max Slovencik/Max Slovencik/APA/dpa)

Wien wurde seit 1945 von den Sozialdemokraten regiert – und wird es auch in Zukunft. Selten aber schnitt die Partei so schlecht ab wie bei der Kommunalwahl am Sonntag, zur Freude der FPÖ.

Von Verena Mayer, Wien

Im kleinen Österreich war Wien schon immer ein Sonderfall. Eine Zwei-Millionen-Metropole, die sogar die zweitgrößte deutschsprachige Stadt nach Berlin ist. Dazu das bevölkerungsreichste Bundesland Österreichs, Wiener Kommunalwahlen sind daher im ganzen Land von Bedeutung. Nur große politische Überraschungen gibt es hier nicht: Die Stadt wird, Stichwort rotes Wien, seit 1945 durchgehend von der SPÖ regiert.

Doch bei dieser Landtags- und Gemeinderatswahl ist einiges anders. So erzielte Bürgermeister Michael Ludwig mit 39,5 Prozent ein selten schlechtes Ergebnis für die Sozialdemokraten, das ist ein Verlust von mehr als zwei Prozentpunkten im Vergleich zu 2020. Zwar wird er auch der nächste Bürgermeister sein und auf die altbewährten Themen setzen, sozialen Wohnungsbau, ein gutes Gesundheitssystem und die funktionierende Verwaltung. All die Dinge also, deretwegen Wien in internationalen Rankings oft zur lebenswertesten Stadt der Welt gekürt wird und für die Wiener Bürgermeister üblicherweise bei Wahlen belohnt werden. Von den absoluten Mehrheiten, die seine Partei in den vergangenen Jahrzehnten erzielte, ist Ludwig jedoch weit entfernt.

Es lag wohl auch an Herbert Kickl

Das liegt zum Teil an Ludwig selbst. Der Bürgermeister, der sich wie seine Vorgänger als leutseliger Stadtvater präsentiert, hat Anfang des Jahres durchgesetzt, dass die Wahl vom Herbst ins Frühjahr vorverlegt wird. Es war die Zeit, als ein Kanzler Herbert Kickl in greifbarer Nähe schien – seine extrem rechte FPÖ verhandelte damals mit den Konservativen über eine Koalition, und Ludwig hatte vor, sich als Gegenpol zu einer äußerst rechten Bundesregierung positionieren. Es kam anders, Österreich wird inzwischen von einer Koalition aus Konservativen, Sozialdemokraten und liberalen Neos regiert, und Ludwigs Wette auf ein tiefrotes Wien ging nicht auf.

Im Gegenteil: Die FPÖ hat ihr Ergebnis im Vergleich zum Jahr 2020 fast verdreifacht, sie liegt mit 20,4 Prozent auf Platz zwei hinter den Sozialdemokraten. Das hatte mit der schlechten Ausgangsposition der FPÖ zu tun, die Partei war im Nachgang der Ibiza- und einer parteiinternen Spesenaffäre 2020 auf sieben Prozent gerutscht. Aber es lag durchaus auch an Parteichef Herbert Kickl. Der war im Wiener Wahlkampf sehr präsent, noch am Donnerstag trat er auf einer riesigen Bühne in der Innenstadt auf, direkt vor dem Stephansdom. Das empörte manche Katholiken, die gerne in Ruhe um den Papst getrauert hätten. Doch für Kickls Wählerschaft war das genau das richtige Signal: Dieser Mann beansprucht das Herz der Hauptstadt für sich. Kickl nannte das gute Ergebnis dann auch einen „Denkzettel“ für die Wiener Stadtregierung.

Die Wiener Kommunalwahlen waren insofern ein Stimmungstest für Kickl. Der wirkte beim Wahlkampfauftakt Ende März am Bahnhof Floridsdorf noch ein wenig angeschlagen, ersuchte seine Fans um Nachsicht, dass er nicht als „Volkskanzler“ zu ihnen sprechen könne, weil er im Februar die Koalitionsverhandlungen mit der ÖVP hatte platzen lassen.

Zuletzt war er aber ganz der Alte, wetterte gegen die „Eliten“ und versprach eine „Umverteilung vom Ausländer zum Inländer“. Wobei eine interessante Binnendifferenzierung zu beobachten war: Weil im multikulturellen Wien auch sehr viele potenzielle FPÖ-Wähler Migrationshintergrund haben, schoss sich die FPÖ vor allem auf die neu angekommenen Asylsuchenden aus Syrien ein. Die „gut Integrierten“ hingegen zählte Kickl durchaus „zur Familie Österreich“. Ein Wiener FPÖ-Funktionär ging dann auch zum Fastenbrechen in einen Moscheeverein, ein anderer bat türkische Medien zu einem Pressetermin, um auf diesem Weg türkeistämmige Wienerinnen und Wiener zu erreichen.

Die FPÖ-Spitze ist dementsprechend erfreut, der Wiener Spitzenkandidat Dominik Nepp brachte sich gleich als zukünftiger Koalitionspartner ins Spiel. Mit der FPÖ zu koalieren, hat Michael Ludwig aber immer kategorisch ausgeschlossen. Er sieht trotz Verlusten einer bequemen Regierungsbildung entgegen. Sowohl die Grünen als auch die liberalen Neos, die auf 14,6 beziehungsweise 9,8 Prozent kamen, haben Bereitschaft signalisiert. Zuletzt hatte Ludwig mit den Liberalen ein rot-rosa Bündnis gebildet, das unaufgeregt vor sich hin regierte. Vieles spricht dafür, dass diese „Punschkrapferl-Koalition“, wie sie in Wien genannt wird, fortgesetzt wird.

Der größte Verlierer war am Sonntag die konservative ÖVP. Diese ist in Wien traditionell schwach, hatte bei der vergangenen Wahl 2020 aber noch vom Kurz-Effekt profitiert. Die Beliebtheit des ÖVP-Bundeskanzlers Sebastian Kurz hatte auch auf die Wiener Partei abgestrahlt, die damals mehr als zwanzig Prozent der Stimmen erringen konnte. Jetzt ist sie mit knapp zehn Prozent wieder auf dem Boden der Realität des roten Wien angekommen.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Verdrängte Erinnerung
:Österreichs großes Tabu

Der Balkon in der Wiener Hofburg, auf dem Hitler 1938 den „Anschluss“ verkündete, darf nicht betreten werden – und jetzt soll auch noch das Haus der Geschichte von dort wegziehen. Ein fatales Signal.

Von Verena Mayer

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: