Süddeutsche Zeitung

Wahl-Watcher zum TV-Duell:Warum Schulz wenig überzeugend wirkte

Allzu oft klangen seine Antworten im TV-Duell einstudiert, kritisiert die Sprachwissenschaftlerin Elisabeth Wehling in ihrer Analyse. Dass Merkel als Siegerin dastehe, verdanke sie auch den Moderatoren.

Interview von Karin Janker

Dass das TV-Duell keinen grundlegenden Stimmungsumschwung bringen würde, war abzusehen. Allerdings habe SPD-Herausforderer Martin Schulz eine wichtige Chance verpasst, sich gegenüber Kanzlerin Angela Merkel zu positionieren und den Wählerinnen und Wählern einen Grund zu geben, für ihn zu stimmen, kritisiert die Sprachwissenschaftlerin Elisabeth Wehling. Sie beobachtet als Wahl-Watcher für die SZ den Bundestagswahlkampf und analysiert hier das TV-Duell der Kandidaten.

SZ: Frau Wehling, eines war neu in diesem TV-Duell: Martin Schulz sagt plötzlich nicht mehr mit derselben Selbstverständlichkeit wie früher "Wenn ich Kanzler bin, dann..." - Glaubt er plötzlich selbst nicht mehr an einen Sieg der SPD?

Elisabeth Wehling: Ich glaube eher, dass er gezielt über seine Rhetorik nachgedacht und deshalb diese Korrektur aufgenommen hat. Schulz formulierte jetzt vorsichtiger, um nicht überheblich zu wirken. Er sagte zum Beispiel "Vorausgesetzt ich bekomme das Mandat", damit sendet er auch ein demokratisches Signal an die Wähler, schließlich benötigt er deren Unterstützung.

Wer hat Sie rhetorisch mehr überzeugt in dieser Fernsehdebatte?

Merkel war in ihren Schlusswort ganz eindeutig besser als Schulz, dem man deutlich anmerkte, dass er sein Statement vorher einstudiert hatte. Er tat erst überrascht und wiederholte die Zeitansage "60 Sekunden" - dann hatte er ganz schnell parat, wie viel eine Kassiererin und ein Manager in diesen 60 Sekunden verdienen. Das war kein besonders glaubwürdiger Auftritt.

Aber Merkel hatte ihr Schlusswort doch mit Sicherheit ebenfalls einstudiert.

Klar, beide Kandidaten haben sich bestens auf das Duell vorbereitet. Merkel wirkte aber souveräner; auch deshalb, weil sie sich in einer direkten Ansprache an die "Zuschauerinnen und Zuschauer" wandte und ihnen versicherte, dass sie "gemeinsam" mit ihnen das Land in die Zukunft führen wolle. Sie betonte also das Miteinander und den Zusammenhalt.

Und Schulz tat das nicht?

Würde man Martin Schulz fragen, würde er sicherlich sagen, dass ihm diese Werte ebenfalls sehr wichtig sind. Es sind ja klassische sozialdemokratische Werte. Aber er hat es versäumt, sie rhetorisch in seinem Fernsehauftritt zu pointieren. In seinem Schlusswort bat er die Wählerinnen und Wähler um ihr Vertrauen, damit er das Land in Zukunft gestalten könne.

Das muss aber doch nicht unbedingt schlechter bei den Wählern ankommen, schließlich wünschen sich die Menschen vielleicht auch jemanden, der ihre Probleme für sie löst.

Wir leben in einer Zeit, in der etablierte Parteien sich dem Vorwurf ausgesetzt sehen, sie hätten sich zu weit von den Menschen und ihren Problemen entfernt. Da macht die sprachlich feine Nuance zwischen "Ich regiere mit euch" und "Ich regiere für euch" einen großen Unterschied. Die Wähler wollen keine Politiker, die ihnen die Probleme abnehmen, sie wollen mitgestalten und mitreden. Dafür steht die SPD eigentlich auch.

Dann liegt es auch an solchen sprachlichen Feinheiten, dass der Unterschied zwischen Merkel und Schulz so minimal erscheint?

Ja, aber auch auf der Sachebene sind Unterschiede zwischen den Kandidaten mikroskopisch. Das hat dieses TV-Duell einmal mehr gezeigt.

Merkel wirkte insgesamt siegessicher: Sie hat auffallend häufig gelächelt und mitunter direkt in die Kamera gestrahlt.

Das ist ganz offensichtlich ihre Strategie in diesem Wahlkampf. Merkel wirkte noch nie so menschlich, so nahbar wie in diesen Wochen. Es gab diesen Moment, als es um die Koalitionsoptionen ging, und Merkel die Moderatoren mit einem Grinsen um ihr "Ehrenwort" bat, dass sie dazu später noch Stellung nehmen dürfe. Das wirkte beinahe wie eine familiäre Situation - jedenfalls völlig ungewöhnlich für Merkel ebenso wie für eine solche Fernsehdebatte.

Schulz gibt sich ebenfalls oft als Mann des Volkes - aber spricht er auch die Sprache des Volkes?

Schulz ist dann gut, wenn er aus dem Bauch heraus redet. Wenn er eben nichts Einstudiertes wiedergibt wie im Schlusswort, sondern etwa in der Situation, als er von den Handwerkern erzählte, die ihn gefragt hätten, ob sie mit ihren Dieselfahrzeugen noch weiterhin in die Arbeit fahren könnten. Diese konkreten Bilder, die Alltagsszenen - die sind Schulz' rhetorische Stärke, schon immer gewesen. Allerdings droht er dann auch schnell einmal flapsig zu werden.

Etwa als er darüber gewitzelt hat, dass Merkel wohl gestern noch im stillen Kämmerlein gebetet habe.​ Merkel hatte da gerade erzählt, dass sie des Sterbetags ihres Vaters gedacht hatte. Die Frage, ob die beiden Kandidaten an diesem Sonntag in der Kirche gewesen seien, war wohl die überraschendste Frage des ganzen Duells.

Es war die einzige überraschende Frage, meiner Meinung nach.

Dann sind Sie mit den Moderatorinnen und Moderatoren nicht zufrieden?

Ich finde, sie hätten öfter nachhaken müssen. Aber ich sehe ein: Die Zeit war sehr knapp. Wer allerdings wirklich zufrieden sein kann mit den Moderatoren, ist Angela Merkel: Der rollte Maybrit Illner gleich zu Beginn einen roten Teppich aus, indem sie daran erinnerte, dass Merkel ihr letztes TV-Duell mit den Worten beendete "Sie kennen mich". Dass die Zuschauer daran gleich zu Beginn der Sendung erinnert wurden, stärkte Merkel ungemein, denn mit diesem Versprechen versucht sie letzten Endes auch diese Wahl zu gewinnen .

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Elisabeth Wehling, geboren 1981 in Hamburg, ist Sprach- und Kognitionswissenschaftlerin an der University of California, Berkeley. Sie erforscht, wie politische Sprache und Ideologien wirken, unter anderem mit Hirnscans. In ihrem Buch Auf leisen Sohlen ins Gehirn (zusammen mit George Lakoff, Carl-Auer-Verlag) zeigt sie die "heimliche Macht" politischer Sprache. Zuletzt erschien von ihr der Bestseller "Politisches Framing. Wie eine Nation sich ihr Denken einredet - und daraus Politik macht" (Halem Verlag).

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