Politiker machen Wahl-Thesentest zur Europawahl:Euro-Kritiker gegen Euro-Freunde

Wer ist besonders europafreundlich und wer besonders europaskeptisch? Etwa 200 EU-Politiker haben den Wahl-Thesentest von SZ.de beantwortet. Die Auswertung zeigt: Es gibt eine weithin positive Grundeinstellung gegenüber der EU. Europa-Freunde und -Skeptiker in der Gegenüberstellung.

Von Martin Anetzberger

Gibt es auffällige Unterschiede im Antwortverhalten von europafreundlichen und europakritischen Politikern? Mit dieser Frage haben wir uns beschäftigt, nachdem mehr als 200 Kandidaten der Parteien und Abgeordnete beim Wahl-Thesentest von Süddeutsche.de mitgemacht hatten. Sie konnten - wie Sie, liebe Leser - zu den von uns formulierten Thesen auf einer Skala von 0 ("Ich stimme absolut nicht zu") bis 100 ("Ich stimme absolut zu") Stellung beziehen. Die Zwischenstufen "Ich stimme eher nicht zu", "Ich bin unentschieden" und "Ich stimme eher zu" wurden zur Berechnung durch die Werte 25, 50 und 75 ersetzt.

Wir haben zwei Thesen herausgepickt, die von Befürwortern einer forcierten Integration Europas gerne angeführt werden ("Wir brauchen die Vereinigten Staaten von Europa" sowie "Die nationalen Armeen sollen aufgelöst und eine gemeinsame Europa-Armee geschaffen werden") - und zwei klassische Thesen der Kritiker ("Deutschland muss in der EU zu viel bezahlen" sowie "Deutschland sollte die Eurozone verlassen"). Wir haben die durchschnittliche Zustimmung zu diesen vier Aussagen berechnet und so einen Anhaltspunkt dafür bekommen, wer besonders europafreundlich und wer besonders europaskeptisch ist. Die Grenzen zwischen den Lagern sind fließend, eine interessante Orientierungsgröße ist der Durchschnittswert dennoch. Er verrät unter anderem, in welchen Parteien die Zu- und Abneigung gegenüber der EU besonders groß ist.

Das Ergebnis: In den meisten Parteien ist die Zuneigung deutlich größer als die Abneigung. Etwa jeder zweite Abgeordnete oder Kandidat, der am Thesentest teilgenommen hat, beantwortet die zwei europafreundlichen Thesen im Schnitt mindestens "eher zustimmend" und die zwei europaskeptischen "eher ablehnend" oder sogar "absolut ablehnend". Das zeigt eine weithin positive Grundeinstellung gegenüber der EU.

Vergleicht man aber die europafreundlichsten 20 Prozent mit den europakritischsten 20 Prozent (jeweils etwa 40 Befragte), zeigen sich interessante Phänomene. Bei den vier Filterfragen liegen Europa-Kritiker und Europa-Freunde definitionsgemäß weit auseinander. Sie können die entsprechenden Werte in den hervorgehobenen Bereichen der Grafik detailliert nachlesen. Für die übrigen Thesen folgen ausgewählte Ergebnisse im Überblick:

In welchen Parteien sitzen die Europa-Skeptiker?

Die Partei der Europa-Skeptiker ist ganz klar die Alternative für Deutschland (AfD). Bei unseren vier Filterfragen erreicht sie den mit Abstand niedrigsten Zustimmungswert (13). Auch die bayerische CSU (48) und die Freien Wähler (54) erreichen einen relativ niedrigen Durchschnitt. Die übrigen Parteien weisen deutlich höhere Werte auf. Die CDU kommt auf 68 Punkte, die Linke auf 70 und die SPD auf 78. Die größten Europa-Freunde sitzen bei den Grünen (80), der FDP (83) und den Piraten (85). Unter allen 201 Befragten ergibt sich für die vier Filterfragen ein durchschnittlicher Wert von 68 Punkten, der deutlich im eher zustimmenden Bereich angesiedelt ist.

Kritiker lehnen EU-Krisenpolitik ab

Aber auch bei aktuellen Themen grenzen sich die beiden Lager deutlich voneinander ab. Der Euro-Rettungsschirm hat sich aus Sicht der Gegner eher nicht bewährt. Für sie errechnet sich hier ein Durchschnittswert von 38. Anhänger und restliche Befragte kommen auf 65 beziehungsweise 64 Punkte. Einen europaweiten Mindestlohn lehnen die Europa-Kritiker im Vergleich zu den anderen Befragten deutlich ab (Freunde: 25/Gegner: 70/Rest: 58).

Kritiker wünschen sich eine stärkere Abgrenzung Deutschlands

Die Türkei als Mitglied der EU? Bei den Europa-Kritikern käme das nicht gut an, der Durchschnittswert liegt bei 16 Punkten und damit deutlich im ablehnenden Bereich unserer Skala. Europa-Freunde (56) und restliche Abgeordnete (41) stehen der Idee wesentlich aufgeschlossener gegenüber. Ähnlich sieht es mit dem Statement aus, das Straßburger Parlament müsse zu einer Art europäischer Bundestag aufgewertet werden (Freunde: 88/Kritiker: 53/Rest: 76). Auch bei den Thesen, die den Umgang mit Asylsuchenden betreffen, geben sich die Europa-Kritiker zugeknöpft. Sie halten wenig von der Idee, dass die Flüchtlinge ihr Wunschland selbst auswählen dürfen (55/30/47) und wollen der Seenotrettung finanziell keine Priorität gegenüber der EU-Grenzsicherung einräumen (67/33/63). Arbeitslosen Zuwanderern aus der EU wollen sie nach kurzer Zeit eher die Sozialleistungen kürzen als andere Befragte (30/72/47), straffällig gewordene Bürger aus anderen Mitgliedsländern abschieben (25/66/44).

EU-Freunde verlangen mehr Anstrengung für den Klimaschutz

Umweltschützern geht das Klimaziel der EU, die Treibhausgase bis 2030 um 40 Prozent zu reduzieren, nicht weit genug. Die Europa-Freunde stützen diese These am stärksten und erreichen einen Wert von 66. Die Skeptiker kommen nur auf 44 Punkte, die restlichen Befragten auf 60. Mit der Forderung, gute Beziehungen zu Russland müssten wegen des Bedarfs an Öl und Gas oberste Priorität haben, können sich dann auch die Europa-Kritiker (45) im Vergleich zu den Europa-Freunden (30) und den übrigen Befragten (33) noch am ehesten anfreunden. Mit der Aussage, die EU müsse die Fracking-Technologie verhindern, verhält es sich anders: Die etwa 40 Kritiker erreichen einen Durchschnittswert von genau 50 ("Ich bin unentschieden"). Die Europa-Freunde stimmen dieser Aussage eher zu (71).

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