Wahl-Thesentest: Analyse nach Alter:Wer jung ist, will stärkere EU-Integration

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Einige Befragte unseres SZ-Thesentests waren bei der ersten Europawahl 1979 noch gar nicht auf der Welt, andere waren schon 30 und älter. Der Altersunterschied beeinflusst auch den Blick auf die Europäischen Union.

Von Martin Anetzberger

Sind die politischen Ansichten eines Politikers von seinem Alter abhängig? Auch mit diesem Thema haben wir uns beschäftigt, nachdem mehr als 200 Kandidaten für das Europäische Parlament und Abgeordnete beim Wahl-Thesentest von Süddeutsche.de mitgemacht hatten. Sie konnten - wie Sie, liebe Leser - zu den von uns formulierten Thesen auf einer Skala von 0 ("Ich stimme absolut nicht zu") bis 100 ("Ich stimme absolut zu") Stellung beziehen. Die Zwischenstufen "Ich stimme eher nicht zu", "Ich bin unentschieden" und "Ich stimme eher zu" wurden zur Berechnung durch die Werte 25, 50 und 75 ersetzt.

Um die Ergebnisse zu unseren Wahl-Thesen dem Alter nach aufzuschlüsseln, haben wir vier Altersgruppen gebildet. In die erste Gruppe wurden alle Kandidaten und Abgeordneten des Jahrgangs 1959 und älter eingeordnet, in die zweite alle von den Jahrgängen 1960 bis 1969, dann folgten die Jahrgänge 1970 bis 1979. Die vierte Gruppe bildeten Befragte, die 1980 oder später zur Welt kamen.

Da in absoluten Zahlen etwas mehr Kandidaten und Abgeordnete des bürgerlichen (CDU, CSU, FDP, Freie Wähler, AfD) als des linken Lagers (SPD, Linke, Grüne, Piratenpartei) an unserer Umfrage teilnahmen, sind die bürgerlichen Parteien in drei der vier Altersgruppen leicht überrepräsentiert - nur in der jüngsten Gruppe ist es umgekehrt. In der ältesten Gruppe beträgt der Anteil der Befragten aus dem bürgerlichen Lager 56 Prozent, in der zweiten Gruppe sind es 58 Prozent, in der dritten 53 Prozent. Innerhalb der jüngsten Gruppe gehören hingegen nur 43 Prozent CDU, CSU, FDP, AfD oder den Freien Wählern an. Unsere Auswertung ist also ein wenig verzerrt - zugunsten der bürgerlichen Parteien. Dennoch lassen sich Tendenzen ablesen. Ausgewählte Ergebnisse im Überblick:

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Jüngere wollen eine Art "europäischen Bundestag"

Bei Fragen, die sich mit der Zukunft der EU beschäftigen, zeigen sich jüngere Befragte gegenüber einer stärkeren Integration aufgeschlossener als ältere. Sie befürworten die Idee eines europäischen Bundesstaats eher. Für die Altersgruppen - sortiert von alt nach jung - ergeben sich folgende Zustimmungswerte: 55/59/59/66. Jüngere sprechen sich deutlicher für eine Stärkung des Europaparlaments in Straßburg aus (69/73/74/81), das aktuell weit von der Machtfülle eines vollwertigen Parlaments wie dem Deutschen Bundestag entfernt ist. Was eine mögliche EU-Mitgliedschaft der Türkei betrifft, sind alle Altersgruppen relativ skeptisch. Doch auch hier zeichnet sich eine positive Tendenz von alt nach jung ab (36/37/42/45).

Ein interessanter Ausreißer ist die Frage nach der gemeinsamen Europa-Armee (45/51/61/49). Diese befürworten die mittleren Jahrgänge am ehesten. Volksentscheide über wichtige Fragen zur Zukunft der EU fordern Ältere stärker als Jüngere. Die Zustimmungswerte fallen hier mit abnehmendem Alter ab (75/63/62/59).

Jüngere fordern mehr Engagement für Flüchtlinge

Wie sollen die EU-Länder mit Asylsuchenden umgehen? Bei diesem Thema zeigt sich zwar kein Trend von alt nach jung, aber die Befragten des Geburtsjahrs 1980 und später fallen aus der Reihe. Sie stimmen der These am ehesten zu, dass Asylbewerber sich aussuchen können, in welchem Land sie ihren Antrag stellen (50/37/41/57). Gleiches gilt für die Forderung, die EU solle lieber mehr in die Seenotrettung investieren, als viel Geld für die Grenzsicherung auszugeben (56/54/59/67). Ähnliches lässt sich für die Thesen zur innereuropäischen Zuwanderung feststellen. Jüngere lehnen die Ausweisung straffällig gewordener EU-Ausländer stärker ab als Ältere. Der Zustimmungswert erreicht bei den 1980 und später geborenen Befragten lediglich 30, bei den älteren sind die Werte deutlich höher: 43/51/48. Sie stehen außerdem der Forderung am kritischsten gegenüber, dass arbeitslose Zuwanderer aus Mitgliedsländern nach kurzer Zeit ihren Anspruch auf Sozialleistungen verlieren sollen (46/57/52/34).

Älteste Gruppe weniger skeptisch gegenüber Russland

Deutschland und die EU sind auf russisches Gas angewiesen. Müssen gute Beziehungen zu dem Land, das unter Wladimir Putins Führung die ukrainische Krim annektierte, deswegen oberste Priorität einnehmen? Die älteste Gruppe unter den Befragten (Jahrgänge bis 1959) erreicht hier immerhin einen Zustimmungswert von 41. Die jüngeren erreichen lediglich Werte von 35/31/32. Die Ältesten sind es auch, die der Aussage, die USA seien ein wichtigerer Partner als Russland, mit der geringsten Zustimmung begegnen (59/69/75/65). Mit der größten Skepsis stehen sie jedoch der These gegenüber, dass die EU alles dafür tun müsse, um die Ukraine eng an sich zu binden (43/54/59/53). Der These "Die Gespräche über ein Freihandelsabkommen mit den USA müssen ausgesetzt werden, solange die NSA-Affäre nicht aufgearbeitet ist" stimmen die ältesten Befragen mit einem Wert von 63 eher zu als die 60er- (51) und 70er-Jahrgänge (55). Hier werden sie nur von der jüngsten Gruppe (64) übertroffen, die wie oben erwähnt, allerdings leicht nach links verzerrt sein dürfte.

Jüngere Befragte warnen vor Klimawandel und Fracking

Das Klimaziel der EU, die Treibhausgase bis 2030 um 40 Prozent zu reduzieren, reicht nicht - dieser Meinung schließen sich am häufigsten die jüngsten Befragen an (69). Die älteren drei Gruppen versammeln sich hier nahe der Unentschieden-Marke (58/54/57). Auch beim Fracking zeigen die jüngsten Abgeordneten die größte Skepsis. Bei der These "Die EU sollte Fracking verhindern und die Entscheidung über die umstrittene Technik nicht den Mitgliedsländern überlassen" kommen sie auf einen Zustimmungswert von 71 Punkten. Die 70er- und 60er-Jahrgänge weisen einen Wert von 62 beziehungsweise 61 auf. Der hohe Wert von 68 in der ältesten Gruppe kann zumindest teilweise damit erklärt werden, dass Linke und Freie Wähler hier überrepräsentiert sind - die Befragten beider Parteien lehnen Fracking vehement ab. Ganz anders bewerten die Mitglieder der AfD diese These. Sie sind jedoch nicht unbedingt Fracking-Anhänger, sondern sprechen sich vielmehr gegen eine verbindliche Regelung von Seiten der EU aus.

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