Süddeutsche Zeitung

Russland:Kremlpartei bei Parlamentswahl klar vorne

Die Partei Einiges Russland kommt nach Auszählung von etwa zwei Dritteln der Stimmen auf mehr als 48 Prozent. Die Opposition spricht von Betrug.

Nach der von Manipulationsvorwürfen überschatteten Parlamentswahl in Russland steuert die Kremlpartei Einiges Russland auf einen Sieg zu. Nach Auszählung von mehr als 70 Prozent der Stimmzettel kam die Machtbasis von Präsident Wladimir Putin auf 48 Prozent, wie die Wahlkommission mitteilte. Die Opposition um den inhaftierten Kremlgegner Alexej Nawalny sprach dagegen von Wahlbetrug, den niemand hinnehmen sollte. Die dreitägige Abstimmung ging am Sonntagabend zu Ende.

Den ersten Ergebnissen zufolge werden im neuen Parlament mit seinen 450 Abgeordneten mindestens vier Parteien vertreten sein. Die Kommunisten erhielten mehr als 20 Prozent. Die rechtspopulistische Partei LDPR des Ultranationalisten Wladimir Schirinowski kam auf knapp acht Prozent und die Partei Gerechtes Russland auf etwas mehr als sieben Prozent. Sie alle gelten als systemtreue Parteien und waren bereits in der Duma vertreten.

Eine neue Kraft kann sich zudem Hoffnungen auf einen Einzug machen: die Partei Nowyje Ljudi (Neue Leute). Sie landete nach dem Zwischenstand bei der Auszählung knapp über der Fünf-Prozent-Hürde. Die im März vergangenen Jahres gegründete Bewegung kann demnach auch bei den Regionalwahlen in einigen Gebieten auf Erfolge hoffen. Bereits im vergangenen Jahr war sie bei Wahlen auf Regionalebene erfolgreich.

110 Millionen Menschen waren zur Abstimmung aufgerufen

Die Wahlbeteiligung hatte die Wahlkommission am Abend mit 45 Prozent angegeben. Am Montag sollte mitgeteilt werden, wie viele Menschen tatsächlich wählen gegangen sind. In Russland und im Ausland waren etwa 110 Millionen Menschen zur Abstimmung aufgerufen.

Die vom russischen Präsidenten Wladimir Putin unterstützte Partei Einiges Russland hatte bereits am Sonntagabend, als noch wenige Stimmen ausgezählt waren, ihren Sieg gefeiert. Sie machte sich Hoffnung auf eine neue Mehrheit von 300 der 450 Sitze im Parlament dank vieler Direktmandate. 225 Sitze werden über Direktmandate vergeben. Im Vergleich zur Duma-Wahl 2016 muss die Kremlpartei aber offenbar Verluste hinnehmen. Damals kam sie auf 54,20 Prozent der Stimmen. Die Kommunisten legten diesmal deutlich zu - sie waren vor fünf Jahren auf 13,35 Prozent gekommen. Umfragen hatten Einiges Russland angesichts der großen Unzufriedenheit über die wirtschaftliche und soziale Lage vor der Wahl bei weniger als 30 Prozent gesehen.

Am Tag nach der Wahl wollen auch Nawalnys Anhänger Bilanz ziehen. Sie hatten mit der "schlauen Abstimmung" zu einer Protestwahl gegen Einiges Russland aufgerufen, um so ihr Machtmonopol zu brechen. Der Nawalny-Vertraute Leonid Wolkow meinte, diese Methode habe in einzelnen Regionen Erfolge erzielt - konkret lässt sich das allerdings erst nach Vorlage der vorläufigen Endergebnisse sagen. Wolkow kritisierte im Kurznachrichtendienst Twitter: "Diese Wahlen sind schmutziger als die von 2011 - viel schmutziger."

Die unabhängigen Wahlbeobachter der Organisation Golos haben mehr als 4000 Verstöße aufgelistet. Besonders verbreitet war demnach das Vollstopfen der Wahlurnen mit packenweise Stimmzetteln, aber auch erzwungene Stimmabgaben etwa unter Staatsbediensteten.

Der Politikwissenschaftler Gleb Pawlowski erwartete, dass beim Auszählen der Stimmzettel das Ergebnis zugunsten der Kremlpartei nachgebessert werde. "Einiges Russland ist nicht mehr die Partei der Macht", sagte er dem unabhängigen Internet-Fernsehkanal Doschd. Der Parteichef der Kommunisten, Gennadi Sjuganow, glaubt, dass Einiges Russland bei "objektiver Betrachtung" nicht mehr die absolute Mehrheit erreicht habe. Er warnte nach Angaben der Agentur Interfax einmal mehr vor Wahlbetrug. Die Kommunisten meinten, dass unter der Kremlpartei und Putin kein Fortschritt zu erwarten sei.

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