Wahl ohne Überraschung:Der Sieg des Salamanders

Die amerikanische Kongresswahl als Farce: Wahlkreismanipulation verkehrt die Mehrheitsverhältnisse. Denn in vielen Bundesstaaten entscheidet keine neutrale Kommission über Neugliederungen der Stimmbezirke, sondern die Regierung.

Steffen Heinzelmann

Ein Fabelwesen plagt die Amerikaner seit zwei Jahrhunderten. Ein Biest, halb Mensch, halb Salamander. Genauer: halb Salamander, halb Elbridge Thomas Gerry.

Wahl ohne Überraschung: Rot überziehen die republikanischen Wahlkreise die Einöde des Mittelwestens und die Wohnviertel im Süden. Blau schlängeln sich die Kernbezirke der Demokraten durch die Großstädte und um die Ostküste herum.

Rot überziehen die republikanischen Wahlkreise die Einöde des Mittelwestens und die Wohnviertel im Süden. Blau schlängeln sich die Kernbezirke der Demokraten durch die Großstädte und um die Ostküste herum.

(Foto: Grafik: Daniel Braun)

Denn diesem früheren Gouverneur von Massachusetts verdankt der "Gerrymander" Dasein und Name. Im Jahre 1812 signierte der Republikaner Gerry ein Gesetz, mit dem er perfide die Wahlbezirke in seinem Staat neu aufteilte - zum Nachteil der gegnerischen Föderalisten. Verschlungen wie ein Reptil lag dabei ein Bezirk an Massachusetts' West- und Nordgrenze. Ein Karikaturist setzte diesem Flügel, Kopf und Klauen auf, heißt es. Und dieses Monstrum schimpften die Föderalisten "Gerrymander".

Über den Gerrymander wurde seitdem Geschichte geschrieben. Nicht in der Biologie oder Fabelkunde - der ausgefallene Lurch geistert heute vor allem durch politikwissenschaftliche Lexika.

Gewinner stehen schon vorher fest

Das "gerrymandering" bezeichnet eine politische Unart - und ein befremdliches Verständnis von Demokratie: Das Zuschneiden von Wahlkreisen nach Gutdünken der Regierenden.

Wenn die Amerikaner am Dienstag bei den Kongresswahlen wie alle zwei Jahre über ihre 435 Repräsentanten in Washington abstimmen, steht auch deshalb die Mehrzahl der Gewinner vorher fest: Frau Amtsinhaberin oder Herr Amtsinhaber.

Den Traum des Amtsinhabers, sich einfach selbst ein genehmes Volk auszusuchen, verwirklichen die beiden großen Parteien der USA, die Demokraten und die Republikaner.

Denn in vielen Bundesstaaten entscheidet keine neutrale Kommission über Neugliederungen der Stimmbezirke, die nach den Volkszählungen alle zehn Jahre üblich sind, sondern die Regierung.

Allein oder gemeinsam stecken Parteien ihre Wahlkreise nach Hautfarbe, Alter, Einkommen und Religionszugehörigkeit der Einwohner ab. Komplizen der Manipulation sind Computerprogramme und Statistik der Wahlforscher: Farbige Großstädter und Intellektuelle stimmen demnach eher für die Demokraten, die klassische Klientel der Republikaner ist ländlich, weiß, evangelikal.

Die Karte der Wahlkreise zeigt das Ergebnis dieser Manipulation. Die USA wirken wie ein 435-teiliges Puzzle aus mal wild gezackten, dann wieder seltsamen schlauchartigen Stimmbezirken, in denen Wahlen keine Überraschung mehr bieten.

Zwei Kniffe des Gerrymanderings machen sogar aus einer Minderheit eine Mehrheit: Die Wahlkreisarchitekten fassen gegnerische Gebiete zu einer Hochburg zusammen und geben diesen Bezirk auf, gewinnen dafür aber die anderen Wahlkreise. Oder sie zerstreuen die Anhänger der Opposition in alle Winde, sodass diese weit zurückliegen.

Der Sieg des Salamanders

In zerrissenen Formationen überziehen die roten, republikanischen Reviere die Einöde des Mittelwestens und die bewachten Wohnviertel im Süden. Blau schlängeln sich die Kernbezirke der Demokraten durch Großstädte und um die Ostküste herum.

Im Distrikt Illinois 4 wählen die Latinos von einem Rande Chicagos gemeinsam mit denen ganz vom gegenüberliegenden Ende der Stadt, die einzige Verknüpfung zu einem Wahlkreis verläuft auf einem Highway.

Gleichzeitig müssen Bewohner nobler Strandhäuser in Kaliforniens Bezirk 24, der sich mehrere Autostunden an der Küste des Santa Barbara County entlangzieht, nicht fürchten, dass ihre Stimmen mit denen im Hinterland vermischt werden.

Nur 16 von 435 Wahlkreisen gelten als umkämpft

Die Wahlen in der Vorzeigedemokratie macht das Gerrymandering zur Farce. Es erlaubt eine Vorbestimmung der Ergebnisse, viel unauffälliger als die immer wieder angeprangerten Schummeleien bei Stimmenauszählungen oder elektronischen Wahlcomputern.

Wegen des verlustreichen Irak-Kriegs und der Angst vor Arbeitslosigkeit werden die Republikaner diesmal wohl einige vermeintlich sichere Wahlkreise an die Demokraten verlieren. Trotzdem gelten 374 von 435 Wahlkreisen, über die am Dienstag entschieden wird, als "safe"; nur 16 gelten im weiten Land als wirklich umkämpft.

Besonders krass endete die Parlamentswahl vor vier Jahren. Damals verteidigten 399 der Amtsinhaber ihre Macht, nur vier congressmen wurden abgewählt.

Aber begleitet Gerrymandering vielleicht nur eine gesellschaftliche Entwicklung, in der sich immer häufiger Gleich und Gleich zueinander gesellen? Wo Menschen virtuelle Interessensgemeinschaften bilden, frei von landschaftlichen Hindernissen wie Ozeanen, Gebirgen oder Wahlkreisgrenzen?

1962 hatten die Verfassungsrichter des Supreme Court noch auf einer "angemessenen Bevölkerungsmischung" bei fairer Wahlkreisgestaltung bestanden; drei Jahre später erklärte der Voting Rights Act es für illegal, die Wahlbezirke zugunsten des politischen Einflusses zu ändern.

Jetzt klingen die Urteile anders. Vor fünf Jahren erlaubten auch US-Verfassungsrichter Gerrymandering, solange die Einteilung politisch, und nicht rassistisch motiviert sei.

Was Kritiker empört, ist aber die Willkür der Machthaber, wenn diese wie Luden Reviere aufteilen und die Abstimmung praktisch schon im Voraus entscheiden, um Mandate zu sichern und so auch Wahlkampfkosten zu sparen. Denn Grundlage jeder Wahl ist eigentlich, dass wirkliche Alternativen bestehen.

In einem Bericht über die Abstimmung vor zwei Jahren mahnten sogar Beobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, der OSZE, die amerikanische Methode der Stimmkreisvergabe zu ändern, um den "Wettbewerbscharakter der Kongresswahlen zu sichern".

Kalifornien zum Beispiel teilte die Demokraten und Republikaner im Jahr 2000 untereinander auf. Dort wechselte seitdem keiner der insgesamt 53 Bezirke das Lager, die meisten Abgeordneten wurden mit zwei Dritteln der Stimmen in die Hauptstadt entsandt.

Und in Texas, traditionell in den Händen der Demokraten, wurden die Wahlkreise innerhalb von sechs Jahren schon zweimal umfrisiert: Einmal durch Gerichtsentscheid, weil sich die beiden großen Parteien nicht einigen konnten, und zuletzt durch die neu an die Macht gekommenen Republikaner. Sie zerlegten das Staatsgebiet, kaum waren sie in Amt und Würden, in monströse Puzzleteile, um ihren Wahlerfolg zu zementieren.

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