Österreich:Partnersuche in Wien

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Der aktuelle Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) hält ihn für ein „Sicherheitsrisiko“. Dennoch hat auch Herbert Kickl (im Bild) von der FPÖ bei der Wahl in Österreich Chancen auf das Amt. (Foto: Alex Halada/APA)

In Österreich startet der Wahlkampf und damit das Spekulieren über mögliche Koalitionen. Mehr als alle Themen interessiert: Wird die FPÖ den Kanzler stellen?

Von Cathrin Kahlweit, Wien

Die Sommerferien in den meisten österreichischen Bundesländern dauern noch bis Anfang September, aber die politischen Parteien in der Hauptstadt arbeiten schon auf Hochtouren. In knapp sechs Wochen wird in dem Land mit seinen knapp zehn Millionen Einwohnern ein neues Parlament gewählt, und die Nervosität wächst. Denn dann könnte sich ereignen, was derzeit auch für die Wahlen im Nachbarland, in Sachsen, Thüringen und Brandenburg, vorausgesagt wird und sich auch in zahlreichen EU-Staaten in den vergangenen Monaten vollzog: ein deutlicher Rechtsruck.

Die in Teilen rechtsextreme FPÖ unter ihrem Parteichef Herbert Kickl ist in Umfragen so stark wie nie; sie liegt bei 30 Prozent. Wie der AfD in den ostdeutschen Ländern könnte indes auch der FPÖ in Österreich demnächst ein Koalitionspartner fehlen: zu hetzerisch, zu verschwörungsverliebt, zu Russland-freundlich, heißt es. Allerdings müssen Absagen an eine Zusammenarbeit bekanntlich am Ende nichts gelten, wenn keine anderen Optionen in Sicht sind oder der Drang zur Regierungsbeteiligung zu groß wird.

Die aktuelle Koalition wurde einmal als das „Beste aus zwei Welten“ beworben

Seit 2019 regieren in Wien die Konservativen mit den Grünen; damals hatte der 2021 zurückgetretene Kanzler Sebastian Kurz nach dem Skandal um das Ibiza-Video seine zweijährige Zusammenarbeit mit der FPÖ aufgekündigt und vorgezogene Neuwahlen ausgerufen. Die darauffolgende schwarz-grüne Koalition galt anfangs als mögliches Modell für Deutschland und wurde von ihren Protagonisten als das „Beste aus zwei Welten“ beworben.

Allerdings war die Kooperation von Beginn an von Machtkämpfen geprägt. Politische Alleingänge – etwa das Nein des ÖVP-Innenministers zu einem Schengen-Beitritt von Rumänien und Bulgarien oder das Ja der grünen Umweltministerin zum Renaturierungsgesetz der EU – überschatteten die vergangenen Jahre ebenso wie unterschiedliche Positionen zur Migrations- und Asylpolitik.

Grüne agierten in Untersuchungsausschüssen wie Oppositionsparteien

Auch zahlreiche Korruptionsverfahren, die in der Folge des Ibiza-Skandals von der Korruptionsstaatsanwaltschaft gegen die FPÖ, vor allem aber gegen die ÖVP in Gang gesetzt wurden, belasteten die Koalition nachhaltig. Die Vertreter der Grünen agierten in mehreren parlamentarischen Untersuchungsausschüssen wie Oppositionsparteien – und hielten der ÖVP regelmäßig das Verhalten ihres ehemaligen Politstars Sebastian Kurz und seines Teams vor. Diesem wird unter anderem vorgeworfen, mithilfe von Steuergeld Inserate in Boulevardmedien finanziert und damit den Abdruck geschönter politischer Umfragen und positiver Artikel erkauft zu haben. Die Ermittlungen laufen.

Das Zerwürfnis zwischen den bisherigen Regierungspartnern ist so groß, dass eine weitere Zusammenarbeit ausgeschlossen wird. Bisher schließt die konservative ÖVP, die in Umfragen zwischen 22 und 25 Prozent liegt, jedoch auch ein Zusammengehen mit den Rechtspopulisten nach der Wahl aus. Die Begründung: Mit einem Parteichef Kickl, der „sich radikalisiert“ habe und der ein „Sicherheitsrisiko“ sei, so Kanzler Karl Nehammer, sei „kein Staat zu machen“.

Sehr kategorisch ist Nehammers Nein aber nicht. In zahlreichen Interviews nach der Europawahl, bei der die ÖVP zehn Prozentpunkte im Vergleich zu 2019 verlor, betonte er, die „eine Seite der Partei“ sei Kickl, die FPÖ sei aber grundsätzlich viel breiter. Werde Kickl von der FPÖ-Spitze abberufen oder dränge dieser nicht auf ein Ministeramt in einer künftigen Regierung, sehe die Sache anders aus.

So oder so ist die Forderung nach einem Führungswechsel bei der politischen Konkurrenz nur eine Variante unter diversen Koalitionsspekulationen, die bereits ausufern, bevor die Wahl überhaupt vorüber ist. Es gilt in Wien derzeit als ausgemacht, dass eine Koalition der ÖVP mit der SPÖ und den liberalen Neos die wahrscheinlichste Kombination sei – zumindest solange die Sozialdemokraten die Konservativen nicht überholen und selbst den Kanzler stellen wollen.

Die Neos unter ihrer Parteichefin Beate Meinl-Reisinger, der einzigen Frau unter den Spitzenkandidaten, liegen in Umfragen bei zehn Prozent und könnten einer schwarz-roten Kombination zur Stimmmehrheit im Parlament verhelfen. Auch der renommierte Politikwissenschaftler Peter Filzmaier hält einen ÖVP-Kanzler mit zwei kleineren Partnern oder aber eine Zusammenarbeit von ÖVP und FPÖ für plausibel. „Die ÖVP hat einen großen Vorteil: Sie ist immer dabei.“

Dass der vor einem Jahr neu an die Parteispitze gewählte langjährige Traiskirchener Bürgermeister Andreas Babler die SPÖ zu neuen Höhenflügen führt, halten Politikanalysten wie Filzmaier indes für höchst unwahrscheinlich. Unter Babler, der die tief zerstrittene Partei aus ihrem Tief herausholen wollte, stagnierte die traditionsreiche SPÖ bei der Europawahl auf niedrigem Niveau. Nichtsdestotrotz rief der neue Parteichef mit Blick auf die Nationalratswahl einen „offenen Dreikampf“ um die Kanzlerschaft aus.

„Zuwanderung und Sicherheit“ werden den Wahlkampf wahrscheinlich dominieren

Derzeit liegt die SPÖ zwischen 21 und 23 Prozent und damit an dritter Stelle. Die Konservativen und die Sozialdemokraten hatten das Land jahrzehntelang in großen Koalitionen regiert; die österreichische Parteibuchdemokratie, in der Posten und Positionen bis in niedrigste Hierarchieebenen nach Parteimitgliedschaften aufgeteilt wurden, gilt heute zwar als stabile, zugleich aber auch überlange Phase des Stillstands und der „Packelei“, wie das kumpelhafte Aushandeln von beiderseitigen Vorteilen und die Aufteilung in Machtbereiche bezeichnet wird.

Babler ist auch mit mangelnder Unterstützung in der eigenen Partei konfrontiert; viel mehr als über einen großen Erfolg am 29. September wird in der Partei hinter vorgehaltener Hand daher darüber diskutiert, wie schnell er nach einer Wahlniederlage wohl zur Seite gedrängt und ersetzt würde. Der landesweit eher unbekannte Politiker hatte sich im vergangenen Jahr erst als Parteichef durchgesetzt, nachdem bei einem Parteitag aufgrund einer falschen Auszählung erst sein erbitterter Konkurrent, der Landeshauptmann des Burgenlandes, Hans Peter Doskozil, gekürt worden war. Das Ergebnis wurde später mit dem peinlichen Eingeständnis eines Rechenfehlers korrigiert.

Seit seinem holprigen Start versucht Babler, seinen Bekanntheitsgrad im Land zu verbessern und eigene Themen zu setzen; eine Präsentation erster Wahlplakate in der vergangenen Woche legte den Fokus auf Frauen und Rentner, Sozialpolitik und höhere Steuern für Reiche. In der Migrationspolitik setzt sich Babler regelmäßig von Forderungen nach mehr Härte, schärferen Grenzkontrollen und der „Festung Europa“ ab, die vor allem von der FPÖ, aber auch der ÖVP geäußert werden. Er fordert Menschlichkeit als Maxime: „Meine persönliche Grundsatzidee ist, dass man nicht auf Menschen hinuntertritt.“

Politikwissenschaftler Filzmaier geht davon aus, dass die Themen „Zuwanderung und Sicherheit“, die von ÖVP und FPÖ seit Jahren gepusht werden, den Wahlkampf thematisch weiter dominieren. Das Thema Inflation, auf das die SPÖ setze, habe durch die guten Lohnabschlüsse der vergangenen Monate hingegen an Dringlichkeit verloren.

Die Bierpartei kündigte an, nun „saubere Politik“ machen zu wollen

Eine Reihe von Kleinparteien könnten SPÖ, Grüne und eventuell auch die Neos entscheidende Stimmen kosten, die für eine Koalition unter Ausschluss der FPÖ nötig wären. So hat sich die KPÖ vor allem mit Miet- und Wohnthemen in der Grazer und Salzburger Lokalpolitik etabliert und will nun auch in das Bundesparlament einziehen; derzeit liegen die Kommunisten allerdings in Umfragen unter der Vier-Prozent-Hürde. Anders die Bierpartei des Rockmusikers und studierten Arztes Dominik Wlazny, die als Spaßpartei gegründet wurde, nun aber „saubere Politik“ und eine „Entpolitisierung“ von Justiz und öffentlich-rechtlichem Rundfunk will. Sie könnte die vier Prozent schaffen.

Bleibt die FPÖ. Ihre Vertreter stehen für ähnliche Positionen wie die AfD in Deutschland, sie arbeiten mit den völkischen, rassistischen „Identitären“ zusammen und arbeiten sich an den „Eliten“, „Einheitsparteien“ und dem „System“ ab. Kickl hat in allen bisherigen Interviews vor der anstehenden Wahl betont, er wolle „Volkskanzler“ werden – und damit einen in der NS-Zeit geprägten Begriff verwendet. Der FPÖ-Chef geht davon aus, dass die ÖVP umkippt: Bei der Absage an eine Koalition mit seiner Partei habe er ein „gewisses Déjà-vu“, so der FPÖ-Chef. „Ich habe das schon sehr oft gehört. Es ist immer anders gekommen.“

Tatsächlich regiert die FPÖ neben Oberösterreich derzeit auch in Niederösterreich und Salzburg mit, deren Landeshauptleute vor den jeweiligen Wahlen eine Zusammenarbeit mit den Rechtspopulisten als undenkbar bezeichnet hatten. Mit der ÖVP habe man laut Kickl die meisten Gemeinsamkeiten. „Kein Wunder, die schreiben ja alles ab.“

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