Presseschau zur NRW-Wahl:"Fast als Misstrauensvotum gegen den Kanzler"

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Kanzler Scholz, hier noch siegesgewiss im Wahlkampf. (Foto: Imago/Ying Tang)

Was erklärt den Erfolg der Grünen? Warum schwächelt die FDP? Geht CDU-Chef Merz wirklich gestärkt aus der NRW-Wahl hervor? Die Kommentatoren haben recht unterschiedliche Einschätzungen - und sind sich in einem Punkt doch sehr einig.

Von Bernd Kramer

Deutschlands bevölkerungsreichstes Bundesland hat gewählt - und die Kommentatorinnen und Kommentatoren beugen sich über das Ergebnis und bieten die ersten Deutungen an. Einig sind sich viele, dass die Niederlage der SPD an Rhein und Ruhr besonders auch dem Kanzler in Berlin gilt. Aber auch das gute Abschneiden der Grünen, der Absturz der FDP und mögliche Koalitionsoptionen in Düsseldorf beschäftigen die Zeitungen. Der Überblick über die Pressestimmen zur Wahl.

"Eine Klatsche für Kanzler Olaf Scholz"

"Das schlechteste Wahlergebnis für die SPD in der Geschichte Nordrhein-Westfalens ist in erster Linie eine schallende Ohrfeige für Bundeskanzler Olaf Scholz", schreibt der Weser-Kurier aus Bremen. "Im Gegensatz zu den vorherigen Landtagswahlen im Saarland und in Schleswig-Holstein ist das Ergebnis in Düsseldorf nicht landespolitisch motiviert, sondern in erster Linie der Enttäuschung der Wähler über den zögerlichen und zaudernden Kurs des Bundeskanzlers in der Ukraine-Frage zuzuschreiben. Das Resultat zeugt mehr von der Schwäche des Kanzlers als von der Stärke des CDU-Ministerpräsidenten."

"Die Bundespolitik hat einen großen Einfluss gehabt, Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) konnte keinen nennenswerten Amtsbonus in die Waagschale werfen - der 46-Jährige regiert erst ein gutes halbes Jahr", gibt die Mitteldeutsche Zeitung aus Halle (Saale) zu bedenken und schreibt von einer "Klatsche für Kanzler Olaf Scholz".

Die Frankenpost aus Hof sieht das Ergebnis "fast als Misstrauensvotum gegen den Kanzler". Die Neue Osnabrücker Zeitung glaubt, dass das Regieren in Berlin für den Kanzler nach der NRW-Wahl nun deutlich schwieriger werden könnte: "Der erneute Sieg der CDU stärkt Kritiker inner- und außerhalb der Regierungskoalition."

"Für Scholz wird's schwierig", befindet die Tageszeitung taz. "Die SPD hat nichts Wesentliches falsch gemacht. Diese Niederlage schmerzt besonders, da eben keine Fehler erkennbar sind, die man künftig vermeiden könnte. Nun stellen sich unschöne Fragen. War der SPD-Sieg im Bund 2021 nur eine Ausnahme, der sich einem momentanen Schwächeln der Grünen und der Post-Merkel-Krise der Union verdankte?" Die NRW-Wahl dürfte auch die Dynamik innerhalb der Berliner Ampelkoalition verändern, vermutet die taz: "Schwarz-Grün rückt näher, die FDP wird noch nervöser. All das macht die Ampel noch instabiler. Für Scholz wird ab jetzt alles schwergängiger, riskanter."

"Der große Wahlsieger sind die Grünen"

Das gute Bild, das die Grünen im Bund abgeben, hat aus Sicht einiger Kommentatoren auch zum Höhenflug in NRW beigetragen. (Foto: Friso Gentsch/dpa)

Auch das gute Ergebnis der Grünen beschäftigt die Kommentatorinnen und Kommentatoren. "Profitierte Scholz lange von seinem Image als besonnener und nahezu stoisch agierender Politiker, wirkt sein Stil auf viele mittlerweile verdruckst und wenig zukunftsweisend", schreibt der Spiegel, eine Lücke, die vor allem Scholz' Koalitionspartner für sich zu nutzen gewusst habe: "Es ist ein anderer Politikstil, der an diesem Abend siegte, es ist der Stil, den Wirtschaftsminister Robert Habeck und Außenministerin Annalena Baerbock pflegen, es ist der grüne Stil. Beide haben sich in ihren neuen Rollen so profiliert, dass sie ihre Partei wieder mitziehen, wie einst in ihren besten Zeiten als Duo im Vorsitz - mit Rekordgewinnen als Folge."

"Der große Wahlsieger sind die Grünen", findet auch das Handelsblatt und sieht den Grund für das gute Abschneiden der Partei vor allem in Berlin: "Die Ökopartei verdreifacht ihr Ergebnis. Sie profitiert in den Ländern von der starken Regierungsperformance in Berlin und mausert sich zur dritten Volkspartei."

"Für CDU-Chef Friedrich Merz ist der Wahlausgang in NRW erst einmal eine Stärkung"

Noch lacht er, der Dritte: CDU-Chef Merz (Mitte) mit den beiden Ministerpräsidenten Wüst (l.) und Günther (r.). (Foto: Michael Kappeler/dpa)

Skeptisch äußern sich einige Kommentatoren in der Frage, ob CDU-Parteichef Friedrich Merz nachhaltig gestärkt aus der Wahl hervorgeht. "Für CDU-Chef Friedrich Merz ist der Wahlausgang in NRW erst einmal eine Stärkung", schreibt die Leipziger Volkszeitung, gibt aber zu bedenken: "Daniel Günther hat Schleswig-Holstein verteidigt, und nun hat Hendrik Wüst geliefert. Aber sollte Wüst Regierungschef bleiben, hat Merz für die nächste Kanzlerkandidatur gleich zwei jüngere und bei Wahlen erfolgreiche Anwärter - neben sich selbst. Sie könnten die CDU noch kräftig aufmischen."

"Friedrich Merz und die CDU können nach den beiden Wahlsiegen in Schleswig-Holstein und NRW zwar aufatmen", schreibt die Allgemeine Zeitung aus Mainz. "Ihre Wahlerfolge bestätigen aber eher die von Merkel betriebene gesellschaftliche Öffnung der Union als die Sehnsucht nach einer Rückkehr zum Konservativismus. Das macht Merz zu einem Moderator des Übergangs - auch wenn ihm das selbst noch nicht bewusst sein mag."

"Die Liberalen spielten in allen drei Landtagswahlen dieses Jahres nur eine Nebenrolle"

Hat alles nichts genützt: FDP-Chef Christian Linder bei einem Wahlkampfauftritt in Münster. (Foto: IMAGO/Rüdiger Wölk)

Große Verluste musste die FDP erleiden, der mit ihrem Ergebnis eher schlecht als recht der Wiedereinzug in den Düsseldorfer Landtag gelungen ist. Die Grünen mögen von ihrer Arbeit im Bund profitieren - offenbar zulasten der FDP, meint die Frankfurter Allgemeine Zeitung und macht dafür auch die Verteilung der wichtigen Ministerin in Berlin verantwortlich: "Es ist bezeichnend, dass die Grünen mit dem Außen- und dem Wirtschafts­ministerium im Bund zwei Ressorts besetzen, die über Jahrzehnte für die Freien Demokraten identitätsstiftend waren. Zudem haben viele Grüne verstanden, dass Wahlen in der politischen Mitte gewonnen werden."

Auch die Stuttgarter Zeitung sieht als Grund für das Debakel der Liberalen deren Arbeit im Bund: "Wie an vielen anderen Orten haben die Grünen auch in NRW die FDP als dritte Kraft abgelöst. Die Liberalen spielten in allen drei Landtagswahlen dieses Jahres nur eine Nebenrolle. Das hatte immer landesspezifische Gründe. Das hat aber auch mit dem Auftritt der liberalen Bundesminister zu tun: für eine Politik, die neue Schulden macht und neue Sozial-Subventionen auflegt, muss niemand FDP wählen. Das können viele andere Parteien auch, ohne dass sie dafür argumentativ rumeiern müssen wie aktuell FDP-Chef Christian Lindner."

Ähnlich kommentiert die Mittelbayerische Zeitung aus Regensburg, weist aber auch auf die glücklose Performance der Liberalen während der vergangenen Jahre in Düsseldorf hin: "Die langen Gesichter bei der FDP wegen des schwachen Abschneidens sind wiederum auch die Quittung für eine verkorkste bis desaströse Schulpolitik im bevölkerungsreichsten Bundesland - für enttäuschte Hoffnungen in der Berliner Ampel. Der einstige starke Mann der NRW-FDP und vor fünf Jahren dort noch die Wahlkampflokomotive, Christian Lindner, ist inzwischen zum Bundesfinanzminister mit dem größten Schuldentopf geworden."

"Das vermeintliche Auslaufmodell Schwarz-Grün wird wieder zur Option"

Stehen hier zwei Koalitionäre? Grünen-Spitzenkandidatin Mona Neubaur und Ministerpräsident Hendrik Wüst. (Foto: Fabian Strauch/dpa)

In Düsseldorf sind rechnerisch nun verschiedene Koalitionen möglich: Schwarz-Grün etwa oder eine Ampel wie im Bund. Aus Sicht der Glocke kann eine rot-grün-gelbes Bündnis aber eigentlich nicht in Frage kommen. "Die Wahl klar verloren und dennoch vorsichtig einen Regierungsanspruch anmelden: Die nordrhein-westfälische SPD tut sich mit diesem Vorgehen keinen Gefallen", kommentiert die Zeitung aus Oelde im südöstlichen Münsterland. "Eine von der SPD angeführte Ampel-Koalition würde das Wahlergebnis ad absurdum führen. Schließlich haben die Sozialdemokraten ihr schlechtestes Ergebnis überhaupt bei einer NRW-Landtagswahl eingefahren. Zugleich würde bei einem Ampel-Bündnis mit den Liberalen der zweite große Wahlverlierer mit Regierungsverantwortung belohnt."

"Die Logik des Ergebnisses verlangt nach Koalitionsverhandlungen zwischen Schwarz und Grün. Schnell und in großer Ernsthaftigkeit", findet die Badische Zeitung aus Freiburg. "Das vermeintliche Auslaufmodell Schwarz-Grün wird wieder zur Option - auch wegen der Schwindsucht der FDP."

Schwarz und Grün konnten bei der Wahl nicht nur am deutlichsten Stimmen zulegen - aus Sicht des Kölner Stadt-Anzeigers sprechen auch inhaltliche Gründe für ein solches Bündnis: "Für das Land wäre Schwarz-Grün eine neue, unverbrauchte Option, möglicherweise ein neues Erfolgsmodell. Gemeinsame Basis könnte das Bekenntnis beider Parteien für einen frühzeitigen Ausstieg aus der Kohle 2030 sein." Und die Rhein-Neckar-Zeitung aus Heidelberg ist der Meinung: "Eine ehemalige Friedenspartei, die sich angesichts des Ukrainekrieges zur Wehrexpertin und Waffenlobbyistin mausert, könnte der Schwenk von links nach rechts angesichts dieses Tabubruchs von der Basis nicht ernstlich übel genommen werden."

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