Liberale in KanadaWahlhelfer Donald Trump

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Mark Carney, Kandidat der Liberalen, dürfte die Wahl in Kanada wohl für sich entscheiden.
Mark Carney, Kandidat der Liberalen, dürfte die Wahl in Kanada wohl für sich entscheiden. (Foto: Carlos Osorio/REUTERS)

Die Kanadier waren der Regierung von Justin Trudeau müde. Überraschend dürfte aber seine Liberale Partei die Parlamentswahlen vom Montag gewinnen. Das hat mit dem US-Präsidenten zu tun.

Von Fabian Fellmann, Washington

Der US-Präsident hat die Welt mit allerlei mehr oder weniger Unerwartetem beglückt. Wahrlich niemand aber hatte vorhergesehen, dass Donald Trump sich als wirkungsvollster Wahlhelfer der linken kanadischen Regierungspartei betätigen würde. Es ist die Partei seines Erzfeinds Justin Trudeau, des langjährigen Premiers, dessen die Kanadier mehr als überdrüssig waren.

Wie in so vielen anderen Ländern sehnten sich die 40 Millionen Kanadier nach einer neuen Führung, wegen der Fliehkräfte der Covid-Pandemie, hoher Teuerung, schleppenden Wirtschaftswachstums und zunehmender Einwanderung. Jahrelang lag die Liberale Partei von Trudeau in Umfragen weit abgeschlagen hinter den Konservativen zurück. Nun aber, da die 28 Millionen Wahlberechtigten am Montag ein neues Parlament und damit indirekt eine neue Regierung bestimmen, deuten sämtliche Umfragen auf einen sicheren Sieg der Liberalen Partei hin.

Das hat die Mitte-Links-Partei einem Führungswechsel zu verdanken – und eben Donald Trump, der ständig davon redet, das Nachbarland als 51. Staat in die USA integrieren zu wollen und es mit hohen Strafzöllen bedrohte. Trudeau kündigte im Januar seinen Rücktritt an, im März wählte die Partei Mark Carney an ihre Spitze und damit zum neuen Premierminister bis zu den Wahlen. Seither sind die Werte der Liberalen Partei im Rekordtempo in die Höhe geschnellt, weil sich die Kanadier angesichts der Angriffe aus Washington hinter ihre Regierung stellen.

Voraussichtlich bekommen die Liberalen sogar eine Mehrheit im Parlament

Noch rasanter als der Aufstieg der Liberalen von Kanada war nur der Aufstieg der Freiheitsbewegung in Slowenien, wie der britische Economist in einer Analyse moderner Demokratien eruierte. Das vierte Mal in Folge dürften damit am Montag die Liberalen den Auftrag zur Regierungsbildung erhalten. Dem 60 Jahre alten Mark Carney, dem ehemaligen Zentralbanker von Kanada und später von England, scheinen die Kanadier am ehesten zuzutrauen, das Land gegen Trump zu verteidigen. Eher offenbar als Pierre Poilievre, dem 45 Jahre alten Anführer der Konservativen Partei, Berufspolitiker seit 20 Jahren.

Voraussichtlich wird Carney sogar eine Mehrheit im Parlament im Rücken haben, nachdem Trudeau seit 2019 nur noch mit einer Minderheit regiert hatte. In den Modellen des Economist gewinnen die Liberalen in 86 von 100 Fällen am meisten Sitze im House of Commons. Ähnlich deutlich fallen die Berechnungen des britischen Umfrageinstituts YouGov und der Umfrage-Tracker des öffentlichen Rundfunks CBC aus.

Die Liberalen führen in den Umfragen mit 42 Prozent vor den Konservativen mit 38 Prozent. Der Unterschied scheint nicht riesig zu sein, aber er dürfte sich im kanadischen Wahlsystem sehr stark auswirken. Die konservativen Stimmen sind im ganzen Land verstreut, Bezirke mit konservativer Mehrheit befinden sich vor allem im weniger dicht besiedelten Westen des Landes. In den Wahlkreisen der bevölkerungsreichen östlichen Provinzen hingegen können sich die Liberalen oft durchsetzen, wenn auch bisweilen nur knapp.

Die Reaktion auf Trump prägte den kanadischen Wahlkampf

Weil die relative Mehrheit für den Sitzgewinn reicht, dürften die Liberalen den Umfragevorsprung von vier Prozentpunkten in eine klare Mehrheit der 343 Mandate in der großen Parlamentskammer übersetzen. Zudem sind die anderen relevanten Parteien, die sozialdemokratische NDP und der Bloc Québécois, in der Wählergunst abgesackt, der Grünen Partei droht der Totalabsturz – weitere Faktoren, die zu einer klaren Regierungsmehrheit beitragen dürften.

Im Wahlkampf waren die Teuerung, die Einwanderung und Arbeitsplätze die wichtigsten Themen. Am letzten Kampagnenwochenende rückten Verbrechen in den Vordergrund, nachdem ein Mann mit einem Geländewagen bei einem Filipino-Festival in Vancouver in eine Menschenmenge gefahren war. Mindestens neun Menschen starben. Die Polizei schloss einen Terroranschlag aus. Mark Carney sagte Wahlkampfauftritte im Osten ab; später wollte er nach Vancouver in British Columbia reisen.

Prägend für den Wahlkampf waren aber die Reaktionen auf Trump. Sowohl Carney als auch Poilievre wollen der Wirtschaft Wachstumsimpulse verleihen, indem sie neue Absatzmärkte in Europa und im Pazifikraum erschließen. Beide haben auch eine Reform von Trudeaus unbeliebter Klimasteuer versprochen. Carney will sie nur noch für Unternehmen aufrechterhalten, Poilievre sowohl für Privathaushalte als auch für die Wirtschaft abschaffen.

Es scheint nahezu sicher, dass Mark Carney sich mit den Drohungen von Donald Trump herumschlagen muss, denen er seine Wahl wohl zu verdanken haben wird. Nachdem die beiden Ende März telefoniert hatten, äußerte sich der US-Präsident überraschend positiv über seinen kanadischen Gegenpart. Während er Trudeau nur noch „Gouverneur“ genannt hatte, bezeichnete er Carney korrekterweise als Premierminister und redete von „sehr netten Unterhaltungen“.

Doch kurz vor dem Wahltag schreckte der US-Präsident die Kanadier von Neuem auf. In einem Interview mit Time sagte er, die USA wollten keine Autos aus kanadischen Fabriken, sie wollten weder Bauholz noch Öl und Gas aus Kanada einführen. „Wir brauchen nichts aus Kanada“, sagte Trump. „Der einzige Weg, wie es für Kanada wirklich funktioniert, ist, ein US-Staat zu werden.“

Nun fühlen sich die Kanadier bestätigt in ihrer Furcht vor einem Horrorszenario: Der große Nachbar und Abnehmer von 76 Prozent der Exporte schottet sich mit Strafzöllen ab und reißt die kanadische Wirtschaft in den Abgrund. Das könnte es den USA ermöglichen, sich das bedrängte Riesenland mit seinen immensen Rohstoffvorräten einzuverleiben. Plötzlich kursieren wieder Anekdoten aus dem Krieg von 1812, als die jungen USA versuchten, ihr Territorium nach Norden zu erweitern, in die damalige britische Kolonie. In das heutige Kanada.

Bei der Wahl vom Montag zeichnet sich eine Rekordbeteiligung ab, mehr als sieben Millionen Kanadier haben ihre Stimme bereits abgegeben. Am Montag öffnen die Lokale um 9 Uhr und schließen um 21.30 Uhr Ortszeit. Vorläufige Resultate von der kanadischen Ostküste sind darum in Europa noch in der Nacht auf Dienstag zu erwarten. Die Endresultate dürften kurz nach Schließung der Urnen an der kanadischen Westküste vorliegen, am Dienstagmorgen ab 6.30 Uhr europäischer Zeit.

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