Wahl in Ungarn: Erfolg von Jobbik:Explosive Mischung

Ungarn rückt nach rechts: Die Konservativen regieren künftig allein. Erschreckend das Ergebnis von Jobbik: Jeder Sechste stimmte für die Radikalen, die gegen Roma und Juden hetzen.

M. Kolb

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Ungarn hat gewählt und den Nationalkonservativen der Fidesz-Partei die absolute Mehrheit beschert. Doch zugleich hält Europa den Atem an: Die rechtsextreme Jobbik-Partei ("Bewegung für ein besseres Ungarn") hat mit 16,7 Prozent ein erschreckend gutes Ergebnis erzielt. sueddeutsche.de stellt die Köpfe hinter Jobbik vor und erläutert, mit welchen Themen die Partei jeden sechsten ungarischen Wähler überzeugen konnte.Parteichef Gábor Vona und die Jobbik-Spitzenpolitkerin Krisztina Morvai bejubeln am Wahlabend das Ergebnis. Foto: AP

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Der Vorsitzende von Jobbik heißt Gábor Vona und ist gerade mal 31 Jahre alt. Er studierte Geschichte und arbeitete kurz als Lehrer, doch vor allem widmet er sich der Politik. Über die Zeit nach dem Ende des Kalten Kriegs hat er eine klare Meinung: "Die letzten beiden Jahrzehnte haben uns nichts als Korruption, Verbrechen und Armut beschert." Bereits als Schüler gründete er 1997 den "Ungarischen Jugendkreis zur Erweckung der Nation".Solange die nationalkonservative Fidesz-Partei den Regierungschef stellte, waren Vona und seine gleichgesinnten Studentenfreunden zufrieden. Erst als die Sozialisten 2002 die Wahl gewannen, sahen sie Handlungsbedarf und gründeten ein Jahr später Jobbik. Mittlerweile muss die Protestpartei als etabliert gelten - sie ist mit Abgeordneten im ungarischen Parlament sowie im Europaparlament vertreten.Gábor Vona während einer Wahlkampfrede. Foto: Reuters

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Im Juni 2009 sorgte Jobbik das erste Mal für Schlagzeilen, als sie bei der Europawahl 14,8 Prozent der Stimmen erhielt. Krisztina Morvai trat damals als Spitzenkandidatin auf und ist seither das zweite prominente Gesicht des rechtsextremen Newcomers.Dabei scheint die blonde Juristin auf den ersten Blick gar nicht zu der Krawall-Partei zu passen. Einst engagierte sie sich für Frauenrechte und unterrichtete an der Budapester Universität. Noch im Jahr 2002 schickte sie die sozialistisch-liberale Regierung in den UN-Ausschuss zur Beendigung der Diskriminierung von Frauen.Als dieses Mandat nicht verlängert wurde, so schreiben es die Journalisten Gregor Mayer und Bernd Ohdenal in ihrem exzellenten Buch Aufmarsch (Residenz Verlag 2010), radikalisierte sich Morvai und wurde zur "Fahnenmutter" der Bewegung. Bei Demonstrationen steht sie im Kostüm an vorderster Front, ruft ausländische Journalisten zu sich und erklärt ihnen in gutem Englisch, weshalb der Polizeieinsatz illegal sei.Krisztina Morvai bei der Stimmabgabe. Foto: dpa

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Krisztina Morvai ist bei Jobbik noch für ein anderes Thema zuständig: Kapitalismuskritik. Es sei für eine Gesellschaft schädlich, wenn diese nur auf Profitmaximierung abziele und Spekulationen seien unmoralisch, verkündet sie. Solche Parolen kommen gut an: Ungarn lebte lange über seine Verhältnisse, die Staatsverschuldung ist enorm und im Strudel der globalen Finanzkrise konnte nur der Internationale Währungsfonds gemeinsam mit EU und Weltbank das Land vor dem Bankrott retten.Viele Bürger, gerade die Älteren und die Landbevölkerung, profitierten kaum vom Aufschwung und die Mittelschicht hat große Probleme, ihre Kredite für Autos und Immobilien abzubezahlen. Da stimmen viele den Slogans von Krisztina Morvai ("Die Schäden werden privatisiert, die Profite privatisiert") gern zu.Krisztina Morvai mit zwei Mitgliedern der Neuen Ungarischen Garde. Foto: AFP

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Eines der wichtigsten Leitmotive von Jobbik ist die ausgeprägte Feindlichkeit gegenüber Sinti und Roma. Den Rechtsextremen gelang es, den Begriff "Zigeunerkriminalität" im politischen Diskurs zu verankern. Seither überbieten sich Jobbik-Anhänger mit Vorschlägen, wie dieses Problem gelöst werden können. Die 2007 gegründete paramilitärische Ungarische Garde marschierte öffentlichkeitswirksam durch Romaviertel, um angebliche Verbrechen zu verhindern. "Wir dürfen nicht zulassen, dass eine Ungarin ein Schwein mästet und es ihr dann von einem Zigeuner gestohlen wird", gab ein Mitglied der Garde vor ausländischen Journalisten zu Protokoll. Unter 100 Kriminellen in Ungarn seien 99 Zigeuner zu finden, so die infame Behauptung.Jobbik schlägt vor, Kindergeld nur noch an Familien zu bezahlen, die eine Arbeit haben - oder die Roma zur Auswanderung zu zwingen. Noch vor einem Jahr erklärte Csanad Szegedi auf dem Maifest der Partei: "Ich sage es noch einmal, auch wenn mir das die linksliberalen Medien immer wieder an den Kopf werfen: Ungarn ist eine staatlich geförderte Zigeunerzucht." Der Mann sitzt heute für Jobbik im Europaparlament in Straßburg.Ein Roma-Mädchen aus dem nordungarischen Ozd. Foto: Reuters

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Wie viele unter den zehn Millionen Ungarn Sinti und Roma sind, ist unklar. Die offizielle Quote liegt bei zwei Prozent, andere Schätzungen gehen von acht Prozent aus. Viele Roma leben in schäbigen Barackensiedlungen, ihre Kinder haben keinen Zugang zum normalen Schulsystem und wachsen in Familien auf, in der niemand eine regelmäßige Arbeit hat.Die permanenten Hetzereien von Jobbik gegen die Roma basieren auf in Osteuropa tief sitzenden Vorurteile und vergiften das öffentliche Klima. Die Folgen sind erschreckend: Zwischen Juli 2008 und August 2009 attackierte eine Gruppe von Roma-Hassern Häuser von Roma. Sechs Menschen, darunter ein fünfjähriges Kind, starben bei diesen Angriffen, die stets nach dem gleichen Muster abliefen: Die Rechten suchten das letzte Haus einer Siedlung, warfen Brandsätze durchs Fenster und schossen auf die Roma, die in Panik auf ihren Hütten liefen.Mittlerweile konnten die Täter verhaftet werden, sie sitzen in Untersuchungshaft. Die vier Männer sind keine Mitglieder bei Jobbik, doch ihre politischen Überzeugungen ähneln den Parteiparolen sehr. Nicht nur die österreichischen Experten Gregor Mayer und Bernhard Ohnedal sehen deswegen eine Verbindung zwischen den Attacken und der wachsenden Popularität der "Bewegung für ein besseres Ungarn."Ein junger Mann zeigt dem Fotografen seine Tattoos. Auch er lebt im nordungarischen Ozd. Foto: Reuters

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Die Roma sind nicht das einzige Feindbild der Rechtsextremen: Jobbik kultiviert einen ausgeprägten Antisemitismus. Schuld an der ungarischen Misere seien die Spekulationen des "internationalen Finanzjudentums". Ginge es nach Jobbik, müssten alle multinationalen Unternehmen das Land verlassen. Die Heimat müsse verteidigt werden, denn schließlich würden die Ausländer nur in Ungarn investieren, um es langfristig in eine Kolonie zu verwandeln. Gern wird der Name der eigenen Hauptstadt in den rechten Medien und Internet-Portalen von Budapest in Judapest geändert.Also rufen Jobbik-Anhänger zum Boykott gegen israelische Waren auf und beklagen die Situation der Palästinenser in den besetzten Gebieten. Für die Einhaltung der Menschenrechte in Russland oder Iran interessieren sie sich weniger - mit diesen Staaten möchten die angeblich besseren Ungarn enger kooperieren.Foto: AFP

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Zu den Minderheiten, die Jobbik als un-magyarisch ansieht, gehören auch Homosexuelle. Die alljährliche Gay Pride kann nur unter strengem Polizeischutz stattfinden. Als jüngst bekannt wurde, dass der Sprecher der Partei, András Király, im Jahr 2008 in Toronto an einem Schwulen-Parade teilgenommen hatte und verfängliche Bilder kursierten, ging ein Aufschrei durch die rechten Internetportale wie kuruc.hu oder barikad.hu.Király versuchte, das Ganze als Jugendsünde darzustellen, doch einigen Ungarn wird die Verlogenheit der rechten Politiker deutlich geworden sein - in seinem Partei-Lebenslauf schwärmte Király noch vom "gemeinsamen Abend-Gebet und Bibel-Lesen", das ihm die Einsicht vermittelt hätte, die Familie sei das Wichtigste im Leben sei.Polizisten schützen im Jahr 2008 den alljährlichen Gay Pride in Budapest. Foto: dpa

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Wichtig für das Verständnis des Erfolgs von Jobbik ist das Verhältnis der Ungarn zur Geschichte. Die Bewegung möchte das Großungarn von 1919 wieder herstellen - also jene Situation vor dem als Tragödie empfundenen Vertrag von Trianon, durch den Ungarn 1919 zwei Drittel seines Territoriums und 3,2 Millionen Bürger verlor.Große ungarische Minderheiten leben seither in der Slowakei, der Ukraine, Kroatien, Serbien und Rumänien. Jobbik-Funktionäre lassen sich vor der Karte von Großungarn ablichten und in Budapest erkennt man die "Job-Taxis" daran, dass an ihren Türen die Umrisse Großungarns zu sehen sind. Gern schwenkt man bei Veranstaltungen die rot-weiße Arpad-Fahne.Foto: Reuters

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Den in der Slowakei, Rumänien, Serbien oder Kroatien lebenden Ungarn möchte man die Staatsbürgerschaft und das Wahlrecht geben - Konflikte mit den Nachbarn sind programmiert, da auch Wahlsieger Viktor Orban laut über diese Möglichkeit nachdenkt.Hierbei gilt zu beachten, dass alle Staaten in der Region regelmäßig dazu beitragen, die Wunden der Vergangenheit aufzureißen. Dem Wahlsieger Viktor Orban wirft Jobbik den Verrat des Vaterlandes vor: Dessen Partei Fidesz habe den EU-Beitritt Rumäniens nicht verhindert.Die 2007 gegründete Ungarische Garde ist das deutlichste Zeichen für die Fixierung der Jobbik auf die Vergangenheit. Die schwarzen Uniformen und rot-weißen Halstücher der Miliz erinnern auf erschreckende Weise an die faschistischen Pfeilkreuzler - diese halfen den Nationalsozialisten einst bei der Deportation der Juden.Mitglieder der Ungarischen Garde bei einer Parade im Jahr Foto: Reuters

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Offiziell bestehen keine Verbindungen zwischen der Miliz und Jobbik, doch die Muskelpakete sind oft als Saalschutz bei Veranstaltungen präsent und schüchtern nicht nur bei ihren Märschen durch die Roma-Viertel Andersdenkende ein.Jobbik-Chef Vona gehörte 2007 zu den Mitbegründern. Bei der Jubelfeier in der Wahlnacht trugen Mitglieder der Garde die Siegestorte herein. Dass die Miliz 2008 verboten wurde, stört die Rechten nicht: Man nennt sich einfach Neue Ungarische Garde und macht unbekümmert weiter.Ein Sympathisant von Jobbik und der Ungarischen Garde. Der auf seinen Schädel tätowierte Spruch war in der NS-Zeit der Wahlspruch der SS. Diese "Schutzstaffel" war zum persönlichen Schutz von Adolf Hitler gegründet worden. Foto: Reuters

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Das erschreckend hohe Wahlergebnis von Jobbik hat aber auch mit der allgemeinen Lage Ungarns zu tun: Im vergangenen Jahr war die Wirtschaft um 6,3 Prozent geschrumpft, die Arbeitslosigkeit liegt bei 11,4 Prozent. Viele Bürger haben nach zahlreichen Korruptionsskandalen das Vertrauen in die etablierten Parteien verloren - vor allem in die Sozialisten, die acht Jahre regierten und nun ledliglich 19,3 Prozent der Stimmen erhielten.Der sozialistische Ministerpräsident Ferenc Gyurcsany hatte nach dem Wahlsieg 2006 in einer internen Rede zugegeben, die soziale und wirtschaftliche Lage des Landes beschönigt zu haben: "Wir haben morgens, abends und nachts gelogen." Als diese "Lügenrede" bekannt wurde, protestierten aufgebrachte Ungarn wochenlang. In diesem Umfeld konnte sich Jobbik, die bei der Wahl vor vier Jahren noch kläglich an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert waren, als neue Kraft etablieren. Im April 2010 geht diese Saat nun auf.Ungarische Polizisten schützen im Herbst 2006 das Parlament in Budapest. Nach der Veröffentlichung der "Lügenrede" war es zu Massendemonstrationen gekommen, die teilweise in Straßenschlachten endeten. Foto: AP

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In Europa kooperiert Jobbik nur mit wenigen rechtsradikalen Parteien - etwa der NPD, der französischen Front National von Jean-Marie Le Pen oder der englischen British National Party. Der Kontakt zu anderen rechtsradikalen Parteien in Osteuropa ist begrenzt - aus verständlichen Gründen sind die Geschichtsbilder nicht kompatibel.Im Wahlkampf wurden Jobbik-Plakate wiederholt abgerissen oder mit Hakenkreuzen beschmiert - in manchen Fällen wurde auch das Gesicht des örtlichen Kandidaten mit dem Konterfei von Adolf Hitler überklebt.Foto: Reuters(sueddeutsche.de/gba)

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