Wahl in Tschechien:"Ich werde nicht stehlen"

ANO party campaign event

Politiker und Unternehmer Andrej Babiš bei einer Wahlkampfveranstaltung in Prag.

(Foto: dpa)

Der Anti-Politiker Andrej Babiš wird nach der Wahl am Wochenende vielleicht nicht mehr nur eine der größten Firmen Tschechiens führen, sondern das ganze Land. Das Unternehmensprinzip seines Lebensmittelkonzerns will der Milliardär in die Politik bringen.

Von Klaus Brill, Prag

Plötzlich steht er da, mitten in der Menge, und redet mit den Leuten. Ein Milliardär zum Anfassen, ganz unprätentiös. Andrej Babiš trägt die Haare kurz wie immer, und er schaut ein wenig skeptisch wie immer aus seinem eleganten grauen Mantel heraus.

Darunter trägt er dunkelblauen Anzug und Krawatte. Zwei Dutzend Frauen und Männer drängen sich um ihn, es werden rasch noch mehr, die aus dem Einkaufstrubel ausscheren und eine Weile hier am Andel-Platz dem schlanken, nicht sehr laut sprechenden Herrn zuhören. Bald wird er nicht mehr nur eine der größten Firmen Tschechiens führen, sondern vielleicht auch das ganze Land, das ist der Reiz einer solchen Begegnung.

"Ich bin wütend, wie Sie es sind"

Andrej Babiš, der Alleininhaber eines großen Lebensmittelkonzerns, ist in die Politik gegangen und macht Wahlkampf. Wenn die jüngsten Umfragen richtig liegen, dann könnte er an diesem Freitag und Samstag bei der Parlamentswahl zu einer Schlüsselfigur werden. Der von ihm geführten Bewegung Ano wird es zugetraut, aus dem Stand heraus zur zweitstärksten Kraft zu werden, mit einem Anteil um die 16 Prozent.

Noch vor Kurzem erwartete dies niemand. Seine Aktion Unzufriedener Bürger (Akce nespokojených občanů) gründete der Unternehmer Babiš erst 2011, die Abkürzung Ano bedeutet im Tschechischen "Ja". Wie der Name sagt, handelt es sich um eine Protestbewegung, die vor allem die grassierende Korruption, die Bürokratie und die Unfähigkeit der bisher regierenden Politiker zum Thema machte. "Ich beschäftige Tausende Menschen in meinen Firmen, ich zahle Hunderte Millionen Kronen an Steuern, und ich bin wütend, wie Sie es sind", so wandte Andrej Babiš sich an seine Mitbürger. "Wir leben in einem nicht funktionierenden Staat."

Ein Versprechen, das auf offene Ohren stößt

Genauso argumentiert er jetzt im Wahlkampf, etwa am Andel-Platz. Die Zuhörer fragen und kritisieren, es entwickelt sich eine Diskussion. Babiš antwortet zügig und direkt und erzählt aus seinem Unternehmerleben: die Sicherheit für Investoren, die hohen Energiepreise, die mangelhafte Infrastruktur, die Mehrwertsteuer, die Konkurrenz aus Polen. Von Anfang an hat er verkündet, er würde das Land wie ein Unternehmen führen, um es zu sanieren, zum Beispiel Kosten sparen durch zentralen Einkauf. "Ich werde für euch arbeiten", ist auf seinen Wahlplakaten zu lesen. "Ich werde nicht stehlen und nicht lügen." Nach einer ganzen Serie von Skandalen ist dies in Tschechien heute ein Versprechen, das auf sehr offene Ohren stößt.

Erfolgsmensch ohne Extravaganz

Der 59-Jährige tritt auf mit der Selbstsicherheit eines Erfolgsmenschen, verteilt Visitenkarten, gibt Autogramme und wirkt doch keineswegs großspurig. Von einem extravaganten Lebensstil hat man bisher nichts gehört, obwohl er sich ja goldene Badewannen leisten könnte. In der Milliardärs-Weltrangliste des US-Magazins Forbes wird Babiš als Nr. 736 auf ein Vermögen von zwei Milliarden US-Dollar (1,5 Milliarden Euro) taxiert, in Tschechien liegt er damit auf Platz zwei hinter dem Financier Petr Kellner.

Dabei hat der 1954 als Slowake in Bratislava geborene, seit Langem aber in Tschechien ansässige Sohn eines Diplomaten wirklich klein angefangen. Im Kommunismus war er Außenhandelskaufmann bei einer Staatsfirma, unter anderem in Marokko. Er wurde Mitglied der Kommunistischen Partei, nach Unterlagen der zuständigen Behörde in Bratislava war er auch als Agent des Staatssicherheitsdiensts registriert. Allerdings bestreitet er heftig, je als Spitzel aktiv gewesen zu sein.

Auch in Deutschland kauft Babiš ein

1993 gründete Babiš mit einem später ausgeschiedenen Kollegen die Firma Agrofert, sie hatte anfangs 16 Mitarbeiter und setzte 60 Millionen Euro um. Heute liegt der Umsatz bei 5,3 Milliarden, die Zahl der Beschäftigten bei 30.000, Tendenz steigend. Die circa 210 Firmen der Holding erzeugen Düngemittel und Biodiesel, bauen Getreide an und mästen Hühner. Sie handeln auch mit Lebensmitteln und Traktoren, nicht nur in Tschechien, sondern auch in Ungarn, der Slowakei und Deutschland.

Zur deutschen Tochter, die von Bischofswerda bei Dresden aus 6000 Mitarbeiter dirigiert, gehören das Chemiewerk SKW Priesteritz in Wittenberg als größter deutscher Stickstoff-Produzent sowie seit Kurzem die größte deutsche Industriebäckerei Lieken in Düsseldorf.

Ein anderer Neuerwerb, ebenfalls am Rhein getätigt, und zwar beim Verlag der Rheinischen Post, warf die Frage auf, ob sich der smarte Slowake den Italiener Silvio Berlusconi zum Vorbild genommen habe - was er unwirsch abwehrt. Im Portfolio sind nämlich jetzt auch zwei der wichtigsten tschechischen Tageszeitungen, der Marktführer Mladá fronta Dnes und die traditionsreiche Lidové noviny. In deren Redaktionen geht bereits die Sorge um die journalistische Unabhängigkeit um.

Babiš versucht zu beruhigen mit der Versicherung, es sei ein "ethischer Kodex" entworfen worden, der die Redakteure vor Einflussnahmen aus dem Firmenreich wie aus der Ano bewahren solle. Und einen Interessenkonflikt auf dem Agrarsektor will der Patriarch dadurch umgehen, dass seine Bewegung im Falle einer Regierungsbeteiligung auf keinen Fall das Landwirtschaftsressort besetzen werde.

Heiße Würstchen für die Wähler

Die Frage könnte sich schon bald stellen. Seit Langem galt als sicher, dass aus der Wahl die Sozialdemokratische Partei (ČSSD) als stärkste Kraft hervorgehen werde. Alleine wird sie aber keine Mehrheit erlangen, sodass alles davon abhängt, welche Koalition sich zusammenfindet. Da die ČSSD im bürgerlichen Lager keinen Partner hat, schien eine Zusammenarbeit mit der Kommunistischen Partei möglich zu sein, in Form einer Tolerierung.

Inzwischen aber haben Babiš und seine Ano nicht nur die bürgerlichen Rivalen, sondern auch die Kommunisten überflügelt. Laut Umfragen macht er auch den Sozialdemokraten Anhänger abspenstig. Man darf rätseln, ob Babiš am Ende als Juniorpartner für die ČSSD infrage kommt oder gar der Führer einer neuen bürgerlichen Mehrparteien-Koalition wird.

Fragen danach wehrt er ab: "Wir müssen nicht in der Regierung sein, wir sind eine neue Bewegung." Derweil umwirbt er weiter die Wähler. Am Andel-Platz steht neben dem Ano-Stand ein Wagen, aus dem drei Helfer heiße Würstchen mit Brötchen verteilen, Erzeugnisse der Firma Agrofert. Es gibt sie umsonst, als Wahlgeschenk. Rasch bildet sich eine Schlange.

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