Wahl in Südafrika:Mandelas müde Erben

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Steht für das Ende der Apartheid in Südafrika: Der frühere Präsident Nelson Mandela. (Foto: AP)

Jung, frei, aber politisch gelähmt: Die erste in Freiheit geborene Generation Südafrikas. Doch nur ein Drittel von ihnen hat sich für die Parlamentswahl registriert. Für den regierenden ANC könnte das zum Problem werden.

Von Thomas Schmelzer, Kapstadt

Zur Vorbereitung auf seine erste Wahl hat sich Mahlatse Mulaudzi alte Videos angeschaut. Auf den Bildern warten die Menschen geduldig vor den Wahllokalen, kritzeln ihr Kreuz und springen vor Freude in die Luft. Die Videos zeigen Südafrikas erste freie Wahl vor 20 Jahren. Es ist die Geburtsstunde der Regenbogennation - und die Beerdigung des Apartheid-Regimes. Mit jeder Stimme schaufeln die Bürger ein wenig mehr Erde auf die frisch begrabene Rassentrennung.

"Wahlen sind wichtig", sagt Mulaudzi. Er ist 20 Jahre alt, schwarz und Fußballfan. Mulaudzi wuchs als Waise in einem kleinen Dorf auf dem Land auf. Als Kind musste er das Wasser noch vom nächsten Fluss nach Hause schleppen, wenn er durstig war. Heute lebt er in Südafrikas Hauptstadt Pretoria. Mit viel Hilfe und Glück hat er es dort an die Uni geschafft. Mulaudzi weiß, was Freiheit, Demokratie und Dankbarkeit bedeuten, aber ob er selber am 7. Mai an der Parlamentswahl teilnehmen soll? "Das ist kompliziert", sagt er.

Zu viel läuft schief in seinem Land: Ständige Korruptionsskandale, eine stotternde Wirtschaft und ein Präsident, der sich mit Steuergeldern eine Rinder-Ranch aufs eigene Anwesen zimmern lässt: "Mein Vertrauen in unsere Regierung ist weg", sagt Mulaudzi.

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Sie sind Südafrikas erste Generation, die ohne Apartheid aufgewachsen ist: die "Born Frees". Doch was mit der Freiheit anfangen, wenn Arbeitslosigkeit oder Kriminalität den Alltag bestimmen? Acht junge Südafrikaner über Zukunftsangst und Hoffnung - und die Frage, was die Wahl damit zu tun hat.

Protokolle: Thomas Schmelzer

So wie ihm geht es vielen Jugendlichen in Südafrika. Sie gehören zur ersten Generation, die das Wort Apartheid nur aus Geschichtsbüchern kennt. "Born Frees" werden sie am Kap genannt - die in Freiheit Geborenen. Sie sind Mandelas Erbe und Südafrikas Zukunft. Doch anders als ihre Eltern müssen sie nicht mehr für Freiheit und Gleichheit kämpfen.

Junge Muster-Demokratie in marodem Zustand

Stattdessen rackern sie sich am Alltag ab. Uni, Job oder das tägliche Überleben im Township bestimmen die Realität der "Born Frees". Demokratie und Wahlen sind für sie Nebensache.

Nach Angaben von Südafrikas Wahlkommission hat sich nur jeder Dritte von ihnen zur Wahl registriert. Bei den 21 bis 25-Jährigen sieht es zwar etwas besser aus, doch selbst unter den Registrierten sind sich viele noch nicht sicher, ob sie ihr Kreuz am Ende auch setzen werden. Eine "dauerhafte Herausforderung für alle Südafrikaner" nannte die Wahlkommission diesen maroden Zustand der jungen Muster-Demokratie kürzlich.

"Die 'Born Frees' haben heute das Gefühl, dass die Politik ihre Erwartungen nicht mehr erfüllen kann", sagt Daniel Silke. Er arbeitet in Südafrika als Autor und berät große Unternehmen wie Nedbank, Price Waterhouse oder Deloitte. Silke warnt vor einer politisch abgekapselten Generation. "Wenn die Jugendlichen nicht mehr daran glauben, sich demokratisch beteiligen zu können, gehen sie eben auf die Straße", sagt er. "Die Gefahr von sozialen Unruhen steigt."

Keine guten Nachrichten für Südafrikas Demokratie: Heute stellen die 'Born Frees' bereits 40 Prozent von Südafrikas Bevölkerung. Zwei Millionen von ihnen dürfen dieses Jahr erstmals Mal an die Urne. Gemessen an 31 Millionen Wahlberechtigten* nicht viel - aber schon 2019 wird die Post-Apartheid-Generation ein Drittel der Wählerschaft ausmachen.

Für die regierende Partei von Präsident Jacob Zuma, den Afrikanischen Nationalkongress (ANC), ist das eine besonders heikle Entwicklung. Seit 20 Jahren fährt sie Wahlergebnisse von mehr als 60 Prozent ein. Ein Großteil der Stimmen kommt noch immer von der schwarzen Mehrheit im Land. Viele wählen ANC, weil der ANC Mandela war - und das schon immer so war.

Den "Born Frees" aber fehlt der geschichtliche Kitt. Für sie zählen Bildung, Jobs und Zukunftsperspektiven - genau jene Themen, bei denen der ANC besonders schlecht aussieht. Die Hälfte der 15- bis 24-Jährigen ist arbeitslos, vor einem Monat hat Nigeria Südafrika als größte Volkswirtschaft des Kontinents überholt. Kein Wunder, dass bei den Lokalwahlen vor drei Jahren nur jeder Vierte Jugendliche seine Stimme abgab.

Junge Südafrikaner wie Mahlatse Mulaudzi sind in einer Zwickmühle. "Wir haben immer gedacht, der ANC sei unser Team", sagt er. "Aber dann bemerkst du auf einmal, dass der Trainer die gesamte Mannschaft ausgetauscht hat." Mulaudzi ist enttäuscht, aber die traditionell überwiegend weiße Oppositionspartei Demokratische Allianz (DA) ist auch keine Option.

Genau solche Stimmen will der charismatische Julius Malema abgreifen. Der ehemalige Führer der ANC-Jugendliga tritt bei diesen Wahlen zum ersten Mal mit seiner neuen Protestpartei Economic Freedom Fighters (EFF) an. Er fordert radikale Umverteilung und beschwört eine Revolution nach sozialistischem Vorbild herauf: rote Uniformen, wilde Straßenumzüge und rassistische Beleidigungen inklusive. Besonders in Südafrikas armem Norden kommt er damit gut an.

Denn auch 20 Jahre nach den ersten freien Wahlen ist Südafrika noch ein gespaltenes Land. Zwar hat der ANC Millionen Südafrikaner mit fließendem Wasser und Sozialprogrammen versorgt und die offene Diskriminierung aus dem Alltag verbannt. Doch statt der Hautfarbe entscheidet nun der Geldbeutel der Eltern über die Zukunft eines Kindes. Und der Wohlstand der Regenbogennation ist so ungleich verteilt wie selten zuvor. Die Frage lautet nicht mehr schwarz oder weiß, sondern arm oder reich.

In Manenberg ist diese Frage für die meisten "Born Frees" längst entschieden. Nur ein paar Kilometer von Kapstadts Szenemeilen und Traumstränden entfernt, breitet sich hier im Township ein anderes Südafrika aus. Statt Villen mit Swimmingpools reiht sich Blechhütte an Blechhütte, die Schulen haben sich hinter Stacheldraht verbarrikadiert.

"Unsere Generation hatte eine Vision"

"Die Jugendlichen in diesem Viertel haben heute andere Probleme als wir", sagt Cyril Perston. Er kann sich noch genau an seine erste Wahl 1994 erinnern und arbeitet seit 23 Jahren als Sozialarbeiter im Township. Perston konnte damals die Nacht vor seiner ersten Wahl nicht schlafen. Die meisten Jugendlichen mit denen er heute spricht, haben sich nicht einmal registriert. "Unsere Generation hatte eine Vision", sagt er. "Die heutige Generation hat Facebook und Twitter."

Professor Robert Mattes von der Universität Kapstadt dagegen glaubt, dass sich die Born Frees viel weniger von den Älteren unterscheiden als alle denken. "Der Unterschied liegt nicht zwischen den Generationen, sondern immer noch zwischen den Hautfarben und Schichten", sagt er. Die Kluft in der Gesellschaft habe sich in zwei Jahrzehnten Freiheit nicht verringert, sondern reproduziert. Demnach müsste der ANC auch diesmal wieder eine satte Mehrheit bekommen.

Daran glaubt auch Mahlatse Mulaudzi. Er hat seinen Freunden neulich auf ganz einfache Weise erklärt, wie Südafrika bei den Wahlen tickt. "Für viele von uns ist die ANC wie eine Tochter", sagt er. "Sie kann noch so viel Scheiße bauen - man bringt es am Ende doch nicht übers Herz, sie aus dem Haus zu schmeißen."

*Update: In einer früheren Version war an dieser Stelle von 23 Millionen Wahlberechtigten die Rede. Damit waren die registrierten Wähler gemeint. Die Zahl aller Wahlberechtigten beläuft sich auf 31 Millionen.

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