Süddeutsche Zeitung

Schleswig-Holstein:Torsten Albigs unbändige Lust aufs Regieren

Am Wahlabend war er noch bitter enttäuscht, jetzt freut er sich auf seinen neuen Job. Torsten Albig will sich heute zum neuen Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein wählen lassen - und zwar gleich im ersten Wahlgang. Dabei wirkt er mehr als froh, das künstlich aufgeregte Berlin hinter sich gelassen zu haben.

Jens Schneider

Beim ersten Mal muss es klappen. Das stand für Torsten Albig fest, am Tag vor der Wahl zum Ministerpräsidenten in Schleswig-Holstein. Eine Stimme Mehrheit hat seine "Dänen-Ampel", die Koalition von SPD, Grünen und SSW. Diese Konstellation erinnert viele in Kiel an das Trauma der SPD von 2005, als Heide Simonis sich durch vier Wahlgänge quälte und jedes Mal scheiterte. Für so einen Leidensgang dürfte Albig kaum der Typ sein. Auf Nachfrage machte er am Montag deutlich, dass er nur in einen Wahlgang gehen wird. Sollte es im ersten schiefgehen, will er sich einen zweiten Wahlgang nicht zumuten. Das soll auch der SPD-Fraktion klar sein.

Dabei gibt er sich gewiss, dass es gut geht für ihn. Albig hat in den Wochen seit der Wahl von Anfang Mai Zuversicht zurückgewonnen, nachdem ihn das Wahlergebnis zunächst arg getroffen hatte. Es war damals alles andere als ein großer Sieg, und Albig mochte am Wahlabend in Kiel auch nicht tun, als ob es so wäre. 40 Prozent hatte er sich als Ziel gesetzt, nun lag seine SPD mit wenig über 30 Prozent sogar noch hinter der CDU.

Der in Ostholstein aufgewachsene Jurist war lange genug Pressesprecher, bevor er 2009 Oberbürgermeister seiner Heimatstadt Kiel wurde. Er war im Planungsstab der SPD und diente mehreren Bundesfinanzministern, von Oskar Lafontaine bis zu Peer Steinbrück. Aus dieser Zeit weiß der 49-Jährige, wie albern es wirkt, wenn Politiker ihr Wahlergebnis schönreden. Aber für Schauspielerei war er am Wahlabend sowieso viel zu enttäuscht. Da klang es erst mal nach einer heiklen Notgeburt, als er ankündigte, dennoch regieren zu wollen. Auch die potenziellen Partner von Grünen und SSW wirkten beklommen.

Fünf Wochen später wirkt das anders. Nun ist von einem Bündnis die Rede, das mehr sei als die Summe seiner Teile und dem Land zu einem neuen Gemeinschaftsgefühl verhelfen will. Albig bekundet "unbändige Lust aufs Regieren". Mag sein, dass er sich damit Mut zuspricht vor der Wahl. Aber tatsächlich schwärmen viele in der neuen Koalition inzwischen von einer besonders menschlichen Atmosphäre, zu der Albigs moderater Stil viel beigetragen habe.

Die weiche, zurückgenommene Art hatte schon seinen Wahlkampf geprägt. Er wollte so mit der Tradition der unerbittlichen Konflikte brechen, die Schleswig-Holsteins politische Kultur seit Jahren prägte. So verzichtete er auf Attacken, kam manchmal wolkig daher. Das hat auch einige Genossen irritiert, von denen viele schon enttäuscht darüber waren, dass Albig den machtbewussten Landeschef Ralf Stegner nicht absägte, nachdem er ihn im Kampf um die Spitzenkandidatur klar besiegt hatte.

Auch manch alte Bekannte aus Berlin wunderten sich über die Metamorphose des Kandidaten, den sie als scharfzüngigen Ironiker kannten, der leidenschaftlich für Steinbrücks harte Sparpolitik warb. Nun verkündete Albig, dass Sparen kein Selbstzweck sei und versprach zusätzliche Ausgaben für Soziales und mehr Lehrer-Stellen. Der Vater zweier Kinder trat dabei auf, als wäre er in Kiel bei sich angekommen und ganz froh, das künstlich aufgeregte Berlin hinter sich gelassen zu haben.

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SZ vom 12.06.2012/mkoh
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