Süddeutsche Zeitung

Wahl in Rheinland-Pfalz:Das Ende der Trümmerfrauen

Warum wurde Malu Dreyer Ministerpräsidentin und Julia Klöckner ihre Herausforderin? Weil keine vorzeigbaren Männer zur Verfügung standen. Das Duell der Politikerinnen aber zeigt: Dieses Denken muss ein Ende haben.

Susanne Höll

Rheinland-Pfalz, so viel steht fest, schreibt am übernächsten Sonntag Geschichte. Erstmals in der Historie der Bundesrepublik kämpfen zwei Frauen gegeneinander um das Amt der Ministerpräsidentin. Traurig, dass man auf diese Damen-Wahl ganze 71 Jahre warten musste. Merkwürdig waren auch die seltsamen Erwartungen einiger Bürger, Journalisten und Politiker an diese Auseinandersetzung. Wird die politische Bühne nun womöglich zum Catwalk?, fragten sie sich.

Für die SPD-Politikerin Malu Dreyer und ihre Konkurrentin Julia Klöckner von der CDU ist solches Geraune eine Beleidigung. Beide sind gestandene und kluge Personen, beide haben politische Erfahrung und sind, wenn auch auf ihre jeweils eigene Weise, feministisch engagiert. Mehr noch: Jede könnte viel darüber erzählen, wie ungerecht etliche Maßstäbe für Politikerinnen noch immer sind.

Bei Männern ist es ein Duell, bei Politikerinnen ein Zickenkrieg

Einem Politiker verzeiht man verwuschelte Haare und Tränensäcke unter den Augen. Wird ein Mann im Parlament laut, ist er kraftvoll. Eine Frau läuft Gefahr, als hysterisch zu gelten. Kullern dem Regierungschef aus Rührung Tränen die Wangen herab, nennt man ihn einfühlsam. Die Regierungschefin hütet sich, womöglich hält man sie sonst für eine Heulsuse. Und kämpfen zwei Männer gegeneinander, wird das ein Duell genannt - bei Frauen heißt das dann gerne: Zickenkrieg.

Welch ein Unfug. Die beiden Damen aus Rheinland-Pfalz haben bislang alle Klischees widerlegt. Ihre Fernsehdiskussion am Dienstagabend - ebenfalls eine Premiere - erbrachte zwar keine inhaltlichen Neuigkeiten. Im Stil aber war sie vorbildhaft. Man fiel sich nicht ins Wort, argumentierte sachlich, widersprach mit fester Stimme, aber ohne herablassenden Unterton. Die Erinnerungen an etliche Männer in solchen Spitzenrunden sind deutlich weniger schön.

Der Wahlsieg in Rheinland-Pfalz entscheidet sich jedoch nicht an der Frauen-, sondern an der Flüchtlingsfrage - und damit an der AfD. Deren Stärke wird mitbestimmen, ob Dreyer Ministerpräsidentin bleiben kann oder ihr Amt an Klöckner abgeben muss. Eine populistische Partei könnte die Wahl entscheiden - das ist die beunruhigende Botschaft dieser Wahl. Aus Frauensicht war die Kampagne bisher dagegen ein Erfolg.

Es ging in den vergangenen Wochen niemals darum, wer das hübschere Lächeln, die schickere Frisur oder das größere Einfühlungsvermögen hat. Dreyer und Klöckner gehen, meistens jedenfalls, hoch professionell miteinander um. So, wie man es sich auch von Top-Politikern wünschen würde. Deshalb kann sich das ganze Land zu diesem Wahlkampf beglückwünschen.

Eine von beiden wird Ministerpräsidentin sein - aus eigener Stärke

Und man darf hoffen, dass die traurige Zeit der politischen Trümmerfrauen endlich zu Ende geht: Bislang gelangten Politikerinnen nur dann an die Spitze, wenn kein ehrgeiziger und Erfolg versprechender Mann den Job wollte. So kam Angela Merkel zum CDU-Vorsitz. So kam die bisherige Ministerpräsidentin in ihr Amt - und auch ihre Herausforderin dorthin, wo sie heute steht. Dreyer wurde zur Nachfolgerin von Kurt Beck, weil die männlichen Favoriten wegen allerlei Katastrophen schnell aus der Staatskanzlei gefegt worden wären. Und den Vorsitz der notorisch zerstrittenen CDU überließen ambitionierte Christdemokraten 2010 nur allzu gern der Kollegin Klöckner.

Eine der beiden wird gewinnen und Ministerpräsidentin aus eigener Stärke sein. Und ein Wahlkampf unter Frauen ist nun keine Besonderheit mehr. Die Versicherungen in Deutschland müssen Männern und Frauen inzwischen dieselben Tarife anbieten, das Geschlecht darf bei der Prämie keine Rolle mehr spielen. Gut möglich, dass am 13. März 2016 endlich auch die Unisex-Spitzenpolitik beginnt.

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