Süddeutsche Zeitung

Nordrhein-Westfalen:Wenn zwei sich nicht streiten, freuen sich die Grünen

Hendrik Wüst und Thomas Kutschaty liefern sich eher ein Duett als ein Duell um die Macht in NRW. Wer regiert, dürften am Ende sowieso die Grünen entscheiden. Ein letztes Stimmungsbild vor der Landtagswahl am Sonntag.

Von Jana Stegemann und Christian Wernicke, Düsseldorf

Hendrik Wüst oder Thomas Kutschaty - wer gewinnt am Sonntag die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen? Der amtierende CDU-Regierungschef Wüst und sein Herausforderer von der SPD liefern sich seit Wochen ein Kopf-an-Kopf-Rennen, neueste Umfragen sehen die CDU aktuell bei 32 Prozent, die SPD bei 29 Prozent.

Trotzdem geriet das einzige direkte TV-Duell der beiden am Donnerstagabend im WDR zu einem harmonischen Plausch unter Landespolitikern. Duett statt Duell - so lassen sich die 75 Minuten zusammenfassen. Nicht einmal ins Wort fielen sie sich, manchmal ratterten beide einfach minutenlang Zahlen und Fakten herunter. Einen Sieger gab es nicht, es war ein eindeutiges Unentschieden.

Wegen der trauten Einigkeit zwischen den beiden Kontrahenten drängten sich andere Fragen auf: Wieso stand Thomas Kutschaty auf einem grauen Holzpodest? Und in was für eine eigenartige Kulisse hatte der WDR ihn und den CDU-Amtsinhaber Hendrik Wüst gebracht? War das eine Gruft? Eine Schlossruine? Ein Weinkeller?

Einig waren sich Wüst und Kutschaty, dass in NRW noch mehr gegen organisierte Kriminalität und Rechtsextremismus getan werden müsse. Einig waren sie sich, dass alle Lehrkräfte von Grundschule bis Gymnasium die gleiche Bezahlung verdienen. Beide wollen Pflegekräfte entlasten, mehr Wohnungen bauen, eine bessere Krankenhausversorgung und einen klimaneutralen Umbau der Industrie.

Die Unterschiede verschwimmen

Beim Ratespiel "Wo steht's geschrieben?" sollten Kutschaty und Wüst Sätze aus ihren Parteiprogrammen zuordnen, was aber leider ebenfalls wenig dazu beitrug, Unterschiede herauszuarbeiten. Wüst landet zwar mehr Treffer als Kutschaty, doch insgesamt blieb der Eindruck, dass beide nicht textsicher sind. Vielleicht, weil sich die Programme von CDU und SPD in Nordrhein-Westfalen einfach zu sehr ähneln?

So verschwammen die Unterschiede. Sogar den Größenunterschied der Kandidaten - Wüst misst 1,91 Meter, Kutschaty 1,70 Meter - verwischte der WDR, wenn auch nur halbwegs geschickt. Für Kutschaty hatte der Sender eben dieses kleine Podest bereitgestellt. Je nach Kameraperspektive sah das ziemlich unglücklich aus.

Und dann hatte der WDR als Austragungsort des Schlagabtausches auch noch den Saal "Grotte" in Solingen ausgewählt. Die Eventlocation Alte Schlossfabrik preist das Säulengewölbe für sein "historisches und rustikales Ambiente". Normalerweise wird hier geheiratet. In NRW sind den Umfragen zufolge nach dem 15. Mai viele Optionen denkbar: Schwarz-Grün, Rot-Grün, Jamaika, Ampel - ja, und das ist die zentrale Erkenntnis aus dem TV-Duell, warum eigentlich nicht gleich eine Groko?

Den Trends zufolge werden aber ziemlich sicher die Grünen entscheiden, wer in die Staatskanzlei einzieht. Deren Spitzenkandidatin Mona Neubaur kommt die Rolle der Königsmacherin zu. Demoskopen halten 18 Prozent für möglich, damit würden die Grünen drittstärkste Partei in NRW.

Die Grünen schicken Habeck nach NRW, die CDU Daniel Günther

Weil das Ergebnis der wichtigsten Wahl dieses Jahres auch auf Bundesebene Spuren hinterlassen wird, reisten am Freitag noch prominente Bundespolitiker an den Rhein.

Olaf Scholz setzte am frühen Freitagabend in Köln auf Sieg - und knüpfte sein eigenes Ansehen als Bundeskanzler an das Ergebnis seiner Genossen bei der Landtagswahl. Minutenlang erinnerte Scholz an Reformen, die er selbst vor acht Jahren im Bundestagswahlkampf versprochen hatte: Mindestlohn, neue Wohnungen, mehr Respekt. Kutschaty, der SPD-Spitzenkandidat, kommt da lange nicht vor - bis Scholz alles vom ihm abhängig macht. "Für mich ist eins ganz klar: Wenn das alles gelingen soll, dann brauchen wir zwei Dinge," rief er etwa 1500 SPD-Anhängern am Kölner Dom zu, "ein NRW, das morgen funktioniert, und den richtigen Ministerpräsidenten - Thomas Kutschaty!"

Wahl-Kompass

Auf Grundlage der Daten aus dem "Wahl-Kompass" sind in der SZ bereits folgende Texte erschienen: "Wind of Change" - über Erstwähler bei der Bundestagswahl, "Gift für Rot-Grün-Gelb" - über die Wähler der Ampelparteien und "Zwei Pole an Rhein und Ruhr"

Zu Beginn seiner 23-minütigen Rede ging Scholz auch auf sein Telefonat mit Russlands Präsidenten Wladimir Putin am Vormittag ein: "Da ist eins noch nicht verstanden worden," so Scholz: Der Krieg könne nur enden, "indem es einen Friedensschluss gibt, der kein Diktatfrieden ist." Deutschland werde weiterhin an der Seite der Ukraine stehen: "Wir tun das auch, indem wir Waffen liefern," sagte Scholz, "das werden wir weitermachen."

Die Grünen schicken in Düsseldorf und Köln Robert Habeck auf die Bühne. Beim ersten Auftritt des Wirtschaftsministers klebte sich ein Störer an der Bühne fest, er wollte von Habeck wissen, wieso dieser in der Nordsee nach Öl bohren wolle. Die CDU hält ihre Abschlusskundgebung auf einem Firmengelände im Münsterland ab - an der nimmt auch Daniel Günther teil, der vor einer Woche für die CDU mit 43,4 Prozent die Landtagswahl in Schleswig-Holstein gewann.

Für noch unentschlossene Wähler bietet der NRW-Wahlkompass der Uni Münster Entscheidungshilfe. Anhand von 30 Thesen soll jeder erkennen, wie nah oder fern seine eigenen Positionen zu den programmatischen Angeboten der Parteien sind. Für NRW gilt, dass die Positionen von SPD und Grünen einerseits und von CDU und FDP andererseits in der Landespolitik weiter auseinanderliegen als etwa vor der Bundestagswahl im vergangenen September.

Erste Zwischenergebnisse zu den Präferenzen der Wähler liegen der SZ bereits vor. Für den laut letzten Umfragen wahrscheinlichsten Fall, dass CDU und Grüne eine Regierung bilden, lauert in Koalitionsverhandlungen Sprengstoff etwa bei Fragen des Wahlrechts. Mehr als zwei Drittel der Nutzer (78 Prozent), die sich bei der Befragung als Anhänger der Grünen outeten, verlangen eine Absenkung des Wahlalters bei Landtagswahlen auf 16 Jahre. Auch die Partei selbst fordert dies und machte diese Reform sogar zum Eckstein ihres "Regierungsprogramms". Auch FDP und SPD wären dafür. Die CDU jedoch will am Mindestalter von 18 Jahren festhalten - und drei von vier CDU-Anhängern sehen dies genauso.

Weniger konfrontativ wird von den Anhängern der Parteien die Frage beantwortet, ob bei Kommunalwahlen in NRW künftig "alle Menschen, die dauerhaft hier leben", mitentscheiden sollen. Ein generelles Ausländer-Wahlrecht für Rathaus und Kreistag befürworten mehrheitlich Anhänger aller vier Parteien, SPD und Grüne sogar zu weit über 70 Prozent. Die Parteien selbst liegen da weiter auseinander: Die CDU und FDP sind dagegen, SPD und Grüne hingegen wären eindeutig dafür.

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