Süddeutsche Zeitung

Wahl in Niedersachsen:Merkels Macht schwindet schleichend

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Nein, die Kanzlerin steht nicht vor dem Sturz. Es stehen keine Nachfolger parat. Doch ganz allmählich verliert Merkel an Stärke und an Spielraum. Das macht Jamaika-Verhandlungen noch komplizierter.

Kommentar von Stefan Braun, Berlin

Angela Merkel muss noch nicht das Schlimmste fürchten. Sicher, es wird wieder kritische Kommentare geben, in den Medien genauso wie in den eigenen Reihen. Aber ihr Sturz steht noch nicht bevor. Es drängen keine Nachfolger darauf, ihren Platz einzunehmen. Und es gibt erst recht keine geschlossene Front, die schon detailliert Pläne schmiedet, um die CDU-Vorsitzende abzulösen.

So etwas hat es mal gegeben. Es ist mehr als 15 Jahre her. In jenem Januar 2002 kämpfte Merkel um die Kanzlerkandidatur - und verhinderte ihren Sturz, geplant im Herrenkrug zu Magdeburg, nur durch eine Reise nach München. Ausgerechnet an diesem Morgen hatte sie Edmund Stoiber beim Frühstück in Wolfratshausen die Kandidatur übergegeben. Mit quietschenden Reifen hatte sie gerade noch die gefährlichste Kurve ihrer Karriere genommen.

Ein solcher Ausweg steht ihr heute nicht mehr zur Verfügung. Und so muss die Kanzlerin mit etwas leben, was viel unangenehmer sein wird: Ihr Einfluss, ihre Macht und damit ihre Möglichkeiten, die eigene Agenda durchzusetzen, schwinden schleichend.

Was sich schon früher abzeichnete und jetzt immer deutlicher erkennbar wird, ist ein besonderes Gift für eine Regierungschefin: In der Union bröckelt der Glaube, dass Merkel am Ende schon das Richtige tun werde. Das ist kein offener Protest, gegen den sie angehen könnte. Der Zweifel ist kriechend eingesickert in die Köpfe der eigenen Leute. Dagegen kann selbst eine Machttaktikerin von ihrer Güte wenig ausrichten. Offene Angriffe konnte sie immer wieder ins Leere laufen lassen. Aber dieser allmähliche Vertrauensverlust ist nur schwer zu besiegen.

Zumal auch die CSU gleich in doppeltem Sinne keine Hilfe sein wird. Der Hauptkonflikt um die Flüchtlingspolitik ist zugekleistert; eine neue innere Nähe hat die sogenannte Einigung nicht im geringsten geliefert.

Noch schlimmer aber ist, dass die CSU in sich selbst keine Idee hat, wie sie aus ihrem Tief kommen könnte. Mit Seehofer? Oder doch mit Söder? Mit Jamaika im Bund? Oder doch besser ohne? Als neue Opposition in Berlin, damit man in Bayern machen kann, was man möchte? Selten klaffte in der großen weiten Welt der CSU ein so großes Loch bei der Suche nach Orientierung.

Das ist deshalb auch der eigentliche Grund, warum Jamaika im Bund noch sehr schwer, vielleicht sogar unmöglich werden könnte. Es liegt nicht an den Grünen und auch nicht an der FDP, solange die beiden Parteien den Wahlabend von Hannover nicht als Votum über die Berliner Debatte umdeuten.

Problem Union

Die ziemlich mäßigen Ergebnisse für die FDP und die Grünen in Niedersachsen stehen nämlich in einem starken Kontrast zu den Umfragen über ein Berliner Jamaika-Bündnis. Wird die Bevölkerung danach gefragt, dann haben Grüne und FDP aktuell jeweils satte elf Prozent bei den Bundesbürgern. Das spricht nicht gegen, sondern für einen ernsthaften Versuch zusammenzufinden.

Das eigentliche Problem ist die Union. Das Problem ist eine CSU, die sich kaum noch selbst findet. Und das vielleicht größte Problem ist eine Kanzlerin, die um das Vertrauen in den eigenen Reihen so sehr kämpfen muss wie noch nie in ihrer Zeit als Regierungschefin. Mit 42 Prozent im Rücken war das einfach, mit nicht mal mehr 33 Prozent ähnelt es einer Infektion, bei der man nicht weiß, wie man sie stoppen könnte. Mit Härte? Mit Flexibilität? Mit neuem Schwung durch ein Experiment namens Jamaika?

Merkel wird nichts anderes übrig bleiben, als das zu versuchen. Dabei hat sie ausgerechnet im Vergleich zu den Grünen einen großen Nachteil. Sie hat keinen Politiker vom Typ Jürgen Trittin in den eigenen Reihen. Trittin? Ja genau. Da mag sich die Führung der Grünen beklagen, dass sie nicht die Autorität genießt, um allein über Jamaika zu entscheiden. Aber wenn Trittin ja sagt, dann steht wohl auch der Parteitag. So jemanden hat Angela Merkel seit dem Abgang von Roland Koch nicht mehr in der eigenen Truppe. Lange Zeit hat das ihr Leben einfacher gemacht. Jetzt könnte es dazu führen, dass sie in der Union alles wirklich Schwierige nicht mehr durchbringt.

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