Wahl in Niedersachsen:Von Normalisierung zu reden, wäre ein schwerer Fehler

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Niedersachsen ist keine Korrektur der Bundestagswahl. Die Sozialdemokraten wären borniert, wenn sie jetzt schon wieder sagen würden: "läuft doch". Und für den SPD-Chef kann der Wankelmut seiner Partei höchst gefährlich werden.

Kommentar von Heribert Prantl

Nein, dieses Wahlergebnis von Niedersachsen ist nicht schon der Beginn der Wiederkehr der alten und gewohnten politischen Verhältnisse. Nein, dieses Landtagswahlergebnis ist nicht eine erste Korrektur der Ergebnisse der Bundestagswahl. Nein, es sagt nicht, man müsse nur einfach darauf warten können, dass sich schon wieder alles irgendwie zurechtschüttelt.

Das Irgendwie, Sowieso und Weiterso, das ein Kennzeichen der Merkel-Zeit war, ist vorbei - auch wenn in Niedersachsen die Bäume der AfD nicht in den Himmel wachsen. Es ist noch lange nicht Zeit für Entwarnung. Das gilt für die CDU, die in Niedersachsen verloren hat. Das gilt für die SPD, die zwar in Niedersachsen gewonnen hat, die aber unglaublich vergesslich, vernagelt und borniert wäre, wenn sie jetzt schon wieder sagen würde "läuft doch".

Wahl in Niedersachsen
:Stephan Weil - Genosse der Stunde

Der Sozialdemokrat hat bei der Landtagswahl in Niedersachsen mit Kampfgeist und Volksnähe eine Krise in einen Triumph verwandelt. Niemand sollte ihn unterschätzen.

Porträt von Thomas Hahn, Hannover

Wer so tut, als bahne sich drei Wochen nach der Bundestagswahl schon wieder so etwas wie eine Normalisierung und Entneonazifizierung in Deutschland an, der macht einen schweren Fehler - und wiegt sich in einer Sicherheit, die das Wahlergebnis von Niedersachsen nicht hergeben kann. Wichtig am Ergebnis ist vor allem dies: Es zeigt, dass die AfD kleiner wird, wenn es eine Polarisierung zwischen SPD und CDU gibt. Die AfD hat einen Dämpfer erhalten; sie liegt sehr viel niedriger als bei vergangenen Wahlen. Aber: Sie sitzt im Landtag. Und wer schon deswegen aufatmet, weil die AfD kein zweistelliges Ergebnis erreicht, der hat sich an die parlamentarische Präsenz der sogenannten Rechtspopulisten gewöhnt. Es wäre dies eine fatale Gewöhnung.

Die CDU steht nach dieser Wahl gerupft da; in der Union wird die Kritik an Parteichefin Angela Merkel wachsen; zwar weiß man, dass es in Niedersachsen der täppische Spitzenkandidat Bernd Althusmann war, der den schon sicher geglaubten CDU-Sieg verspielt hat; aber Merkel hat sich so hineingehängt in den niedersächsischen Wahlkampf, dass die Niederlage dort auch ihre Niederlage ist.

Die SPD steht in Niedersachsen auf einmal wieder ganz manierlich da, das ist bemerkenswert nach dem Bundesdesaster. Aber so war man es ja lange gewohnt in der Bundesrepublik: Das Pendel schwang halt immer hin und her zwischen Union und SPD - und die stärkere Partei suchte sich dann einen Koalitionspartner. Aber so ganz einfach ist das auch in Niedersachsen nicht mehr.

Man weiß zwar nicht so recht, ob die SPD im Bund noch eine Volkspartei ist. Aber die Volksweisheiten immerhin gelten für die Sozialdemokraten noch. Die Weisheit vom Lichtlein beispielsweise: "Wenn du denkst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her." Das Lichtlein für die SPD kommt nun aus Niedersachsen und heißt Stephan Weil. Der SPD-Ministerpräsident, der als Langweiler galt, hat einen ziemlich furiosen Wahlkampf hingelegt. Es ist ihm im Landtagswahlkampf gelungen, was Martin Schulz im Bundestagswahlkampf vergeblich versucht hat: sich von der Aussichtslosigkeit auf gute Aussichten vorzuarbeiten.

Weil hat binnen zehn Wochen einen als uneinholbar geltenden Vorsprung der CDU eingeholt. Der SPD-Spitzenmann hat sich so präsentiert, wie er es auf den Plakaten versprochen hat: sturmerprobt. Dieser SPD-Erfolg hat Gründe, die vielmehr auf Landes- als auf Bundesebene liegen. Es mag sein, dass auch ein gewisser Sympathisanten-Trotz gegen das SPD-Desaster bei der Bundestagswahl eine Rolle gespielt hat. Aber entscheidend war vor allem eine vorzeigbare Landespolitik mit einem vorzeigbaren Ministerpräsidenten und vorzeigbaren Ministern. Innenminister Boris Pistorius beispielsweise gehört zu den auch bundespolitisch gut präsentablen Figuren.

Die SPD ist groß in Stimmungsschwankungen

Ob das Hannover-Lichtlein nun auch für Martin Schulz leuchtet, ist fraglich; der SPD-Erfolg ist zwar der erste der SPD nach einer Serie von Niederlagen seit dem Amtsantritt von Schulz als Parteichef. Aber das Hannover-Lichtlein könnte auch zu seinem politischen Grablicht werden. Die SPD, die einst eine große Partei war, ist heute groß vor allem im Wankelmut und in ihren Stimmungsschwankungen. Sozialdemokratischer Trübsinn ist ganz besonders trübsinnig; sozialdemokratische Euphorie ist ganz besonders euphorisch. Die Euphorie wird das Lichtlein zum Leuchtfeuer erklären. Und Stephan Weil wird zu einer Lichtfigur der Partei werden. Wenn es nicht viel Hoffnung gibt, wird einer schnell zum Hoffnungsträger.

Für Angela Merkel ist das Niedersachsen-Lichtlein trübe; es sitzt in einem roten Topf, so wie die Lichter, die man an Allerheiligen aufstellt. Zur Aufhellung der Stimmung in der Union wird es nicht beitragen. Die Union beginnt die Sondierungsgespräche für eine Jamaika-Koalition mit diffusem Unbehagen.

© SZ vom 16.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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