Süddeutsche Zeitung

Wahl in Mecklenburg-Vorpommern:Merkels Wahlkampf in der Wagenburg

Lesezeit: 3 min

Von Peter Burghardt, Neustrelitz

Die Kanzlerin kommt gleich nach Neustrelitz. Was halten eigentlich die Menschen auf dem sonnigen Marktplatz von Angela Merkel? "Eher abgeneigt" sei man hier, sagt der Obsthändler, der an seinem Stand sicher allerhand zu hören kriegt. Ihm selbst missfällt die Asylpolitik, "da wurden viele Fehler gemacht. Sie ist stur geworden".

In Mecklenburg-Vorpommern habe sie enorm verloren, auch bei ihm, einem ihrer ehemaligen Wähler. Er werde sein Kreuz bei der Landtagswahl am 4. September bei der AfD machen, "aus Protest". Der Fruchtmann findet es auch okay, dass vorhin die NPD einen Stand aufgebaut hat, mitten in dieser alten Residenzstadt auf der Seenplatte. Merkel? "Ist vorbei, die hat sich zu viel geleistet", sagt nebenan eine Frau und lacht.

Die CDU-Vorsitzende tritt dann nicht auf dem Marktplatz auf, sondern am Waldrand, im Landeszentrum für Erneuerbare Energien. Sie erreicht das streng bewachte Gebäude mit Hubschrauber und Limousine, drinnen warten außer Parteifreunden nur handverlesene Gäste, Journalisten und Sicherheitsleute. Das Thema der Veranstaltung: "Der Mittelstand, das Herz der deutschen Wirtschaft."

Die CDU erhält in Umfragen so viele Stimmen wie AfD und NPD zusammen

Hinter der hohen Fensterfront sitzen Handwerker und Unternehmer, aber kein unzufriedener Gemüseverkäufer und schon gar keine eierwerfenden Demonstranten. Auf der Bühne neben Merkel sitzt Lorenz Caffier, der CDU-Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern, der Ministerpräsident werden will. Vor allem ihm soll sie helfen und sich selbst natürlich auch.

Wobei nicht ganz klar ist, ob ein solcher Wagenburgwahlkampf gegen Populisten und Frustrierte funktioniert, auch wenn die oberste Christdemokratin in diesen Sommerwochen ein paar wenige Beistandstermine unter freiem Himmel absolviert. Laut den Umfragen bekommt die CDU bestenfalls so viele Stimmen wie AfD und NPD zusammen, die Sprüche wie "Damit Deutschland nicht zerstört wird" oder "Volk braucht Heimat" plakatieren. Möglicherweise wählt jeder Vierte rechts.

Ihr Bundestagswahlkreis sei ja der auf Rügen, sagt die Kanzlerin, "ich mache da dauernd mal Spatenstiche". Seit zehn Jahren regiert die CDU im spärlich besiedelten Bundesland wieder mit, das habe Mecklenburg-Vorpommern "gutgetan", findet die Kanzlerin - geführt wird die gelobte Koalition gleichwohl vom SPD-Ministerpräsidenten Erwin Sellering, den Caffier nun herausfordert, eine wie auf Bundesebene komplizierte Konstellation. Auch ist die Stimmung in strukturschwachen Teilen der Region nicht ganz so gut, weshalb man nach Sonnenuntergang durch düstere Dörfer fährt, in denen hauptsächlich die Discounter-Reklame leuchtet.

Angela Merkel schwärmt von Energie, Bauwirtschaft und Tourismus, "wer hätte gedacht, dass wir mal mehr Urlauber haben würden als Bayern". Sie spricht von Bildung und Forschung und Digitalisierung und macht dem Publikum für die folgende Debatte ein paar Themenvorschläge: "Wir können natürlich über das Thema Flüchtlinge sprechen", obwohl "die Zahl der Flüchtlinge in Mecklenburg-Vorpommern ja überschaubar" sei.

"Wir können über Europa sprechen", sie freue sich nicht über Großbritanniens EU-Austritt. Die innere Sicherheit sei ebenfalls ein Topthema und "bei Lorenz Caffier in guten Händen". Caffier zählt zu jenen Innenministern der Union, die anders als Bundesinnenminister Thomas de Maizière die Burka verbieten und die doppelte Staatsbürgerschaft abschaffen wollen. Merkel plädiert wie de Maizière für mehr Sicherheitspersonal und stärkeren Datenaustausch.

Dann dürfen die Mittelständler fragen. Aber was geschieht? Als Erster fasst sich ein Zahntechniker ein Herz und klagt ausführlich über den Fachkräftemangel seiner Branche. Anschließend schildert ein Landwirt seine Sorgen zwischen niedrigen Lebensmittelpreisen und hohen Agrarstandards. Merkel antwortet geduldig, sie schlägt Bögen vom Welthandel zur AOK. Sie ist besorgt, wenn Zahntechniker keine richtige Zukunft in Mecklenburg-Vorpommern sehen. Von draußen sind Vogelgezwitscher und Sirenen zu vernehmen.

Betriebsnachfolge und Umgehungsstraßen statt Weltpolitik

Im weiteren Verlauf dieser anderthalb Stunden geht es unter anderem um Betriebsnachfolge oder Umgehungsstraßen, also nicht so sehr um Weltpolitik. Die Berichterstatter beginnen unruhig zu werden, vor allem die Korrespondenten aus Irland oder England, die sich knackige Zitate erhofft hatten oder vielleicht ein wenig Zoff. Es fehle eigentlich nur Honecker, flüstert einer.

Zwischendurch macht angesichts der doch etwas zahmen Fragerunde kurz der Eindruck die Runde, dass es hier zugehe wie einst bei der SED. Da schwebt die mächtigste Politikerin der Erde ein, und die Geladenen bemängeln polnische Lastwagen oder das Mindestalter beim Lkw-Führerschein? Ganz zum Schluss jedoch, die Sonne senkt sich schon, steht einer auf und fragt: "Frau Bundeskanzlerin, glauben Sie, dass wir uns mit den Flüchtlingen den Terror ins Land geholt haben?"

Ein Zusammenhang von Flüchtlingen und Terror? Merkel glaubt nicht dran

Das glaubt die Bundeskanzlerin nicht. Es seien schon Versuche zu erkennen, Flüchtlinge für den "Islamischen Staat" zu gewinnen oder sie wie in Paris einzuschleusen. "Aber das Phänomen des islamistischen Terrorismus des IS ist nicht ein Phänomen, das durch die Flüchtlinge zu uns gekommen ist, sondern das wir bei uns haben und hatten", erläutert Ehrengast Merkel. Das verlange eben die Arbeit der Sicherheitsdienste, die auch international vernetzt sein müssten. Länder wie Deutschland hätten mit Ausreisenden ihren Beitrag zum islamistischen Terror geleistet, "das sind oft die schlimmsten Terroristen in den Camps des IS".

Für die Reporter werden das die Sätze eines widerstandsarmen Merkel-Abends. Die meisten Zuhörer scheinen sich eher um ihr Geschäft in der Provinz zu sorgen als um Brexit oder Syrien. Es werde viel zu viel gemeckert, sagt eine Kiesgrubenbesitzerin aus dem zufriedenen Auditorium, dabei gehe es Deutschland doch so gut. Wieso sie eingeladen wurde? Sie sei Unternehmerin. Und in der CDU.

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Quelle:
SZ vom 19.08.2016
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