Wahl in Mecklenburg-Vorpommern:Dahlemanns einsamer Kampf für die SPD in Vorpommern

Patrick Dahlemann erhält Heinemann-Preis

Als Dahlemann sich 2014 gegen die NPD stellte, warfen Unbekannte eine Scheibe seines Bürgerbüros ein.

(Foto: Jens Büttner/dpa )

Im äußersten Nordosten des Landes haben die Leute nur wenig Lust auf seine Partei. Dafür darf der Kandidat sich viel zum Thema Flüchtlinge anhören. Über einen Wahlkampf, der seine Hauptfiguren ratlos macht.

Von Antonie Rietzschel, Eggesin

Patrick Dahlemann ist unzufrieden. Als er auf dem Marktplatz der Kleinstadt Eggesin aus dem Auto steigt, beobachtet er, dass zwei Frauen mit ihren Kindern an seinem Stand vorbei laufen - und keiner seiner Helfer überreicht ihnen eine rote Rose mit seinem Bild. Oder eine der weißen Papiertütchen mit dem Wahlprogramm im Taschenformat. "Warum habt ihr euch die jetzt durch die Lappen gehen lassen?", fragt er, als er schließlich am Stand steht, die Ärmel hochgekrempelt. "Die hatten wir doch schon", sagt einer der Helfer im roten T-Shirt beruhigend. Dahlemann glaubt ihm. Er weiß, dass seine Helfer für ihn brennen und für den ehrgeizigen Plan des 28-Jährigen. Wenn an diesem Sonntag in Mecklenburg-Vorpommern ein neuer Landtag gewählt wird, will er im Wahlkreis Uecker-Randow das Direktmandat für die SPD holen.

Die Sozialdemokraten stellen seit acht Jahren den Ministerpräsidenten in Mecklenburg-Vorpommern, bei der Landtagswahl 2011 holten sie mit Spitzenkandidat Erwin Sellering 35 Prozent, ein traumhaftes Ergebnis. Wie im Bund regierte in Schwerin zuletzt eine große Koalition. Alptraumhaft lasen sich die Umfrageergebnisse der SPD vor wenigen Wochen. Die Partei stürzte Ende Juni auf 22 Prozent ab. Mittlerweile liegt sie bei 28 Prozent. Es werde ein enger Wahlkampf, sagt Erwin Sellering wenige Tage vor der Wahl. "Wir müssen um jede Stimme kämpfen."Das nimmt sich Patrick Dahlemann zu Herzen. Sein Wahlkreis liegt in Vorpommern, nahe der polnischen Grenze. Und hier muss er kämpfen. Traditionell wird hier CDU gewählt. Dahlemann schaffte es 2014 nur in den Landtag, weil ein anderer Genosse zurücktrat. Zur diesjährigen Landtagswahl muss er sich nicht nur gegen die CDU durchsetzen, sondern auch gegen die Alternative für Deutschland.

Für Dahlemann ist jeder Tag ein Wahlkampftag

Die AfD wirft insbesondere der SPD und der CDU vor, keine Volksparteien zu sein. Was Vorpommern betrifft, hat sie gar nicht Unrecht. Die etablierten Parteien haben sich aus den ländlichen Gebieten zurückgezogen. Patrick Dahlemann ist geblieben. Und weil er um die Skepsis gegenüber den großen Parteien weiß, will er in erster Linie ein Mann für das Volk sein. Einer, den man nicht sofort einfach unter "SPD" einsortiert. Mit dem man ein Bier trinken, dem man seine Sorgen erzählen kann.

Jeden Tag ist Dahlemann unterwegs. An diesem Freitagmorgen macht er Station in Eggesin, einer Kleinstadt mit 4800 Einwohnern. Er sitzt auf einem der roten Pappkartons mit "SPD"-Aufschrift. Es ist die letzte Ferienwoche. Aus dem Ärztehaus kommen vor allem ältere Menschen, die gleich wieder nebenan in der Apotheke verschwinden. "Ein kleiner Rosengruß gefällig?", fragt einer der Helfer.

Dahlemann liest aus seinem Kalender das Programm der letzten Tage vor: Eröffnung des Feuerwehrfestes in Torgelow mit Stadtrundgang, Eröffnung und Mitfahren bei der Kartmeisterschaft (sechster Platz), Brotbacken, anschließend Grillabend. Außenminister Frank-Walter Steinmeier war hier, genauso wie Familienministerin Manuela Schwesig und SPD-Chef Sigmar Gabriel.

Aber Dahlemann macht und redet auch ohne Wahlkampf. Sein Ortsverband hat derzeit 53 Mitglieder. Als er 2011 Mitglied des Kreistages wurde, waren es 20. Im April dieses Jahres wurde ein Triebwagen der Deutschen Bahn auf "Seebad Ueckermünde" getauft. Dahlemanns Idee. Die Geste kommt an. Ein Rentner, der vorbeikommt, denkt heute noch gern daran zurück. Am Infostand sagt er: "Damit hast du mir als altem Eisenbahner eine riesige Freude gemacht." Wie so viele, die Dahlemann an diesem Vormittag die Hand schütteln, kennt der Mann den SPD-Politiker persönlich. Sein Enkel ist mit ihm aufs Gymnasium gegangen.

Seit der Sache mit dem Youtube-Clip kennt man ihn deutschlandweit

Dahlemann ist einer von hier, aber seit der Sache mit dem Youtube-Clip kennt man ihn auch im Rest von Deutschland. 2014 stellte er sich während einer NPD-Kundgebung in seiner Heimatstadt Torgelow an das Rednerpult der rechtsextremen Partei und hielt ein Plädoyer für die Zuwanderung von Flüchtlingen - und gegen die Angst. Das Video wurde mehr als 270 000 Mal angeschaut. Dahlemann war häufig in den Medien, auch weil Unbekannte nach seinem Auftritt die Fensterscheibe seines Bürgerbüros einwarfen. Jetzt, vor der Wahl, hat er wieder besonders viele Anfragen. Er ist zur lokalen Marke geworden. Seine Helfer tragen T-Shirts mit dem Aufdruck "Team Dahlemann". Jede seiner Aktivitäten postet er bei Facebook. Rechtsextreme haben gerade seine Wahlplakate verschandelt und sein Gesicht schwarz übermalt. Dahlemann klebte darunter eine klare Botschaft:

Damit Dahlemann an sein Ziel kommt, hat er sich zu einem ungewöhnlichen Schritt entschieden. Der SPD-Politiker fährt eine Erststimmenkampagne. Er hat Wahlzettel drucken lassen, auf denen ein rotes Kreuz neben seinem Namen steht, aber nicht neben der SPD. Als Ministerpräsident Erwin Sellering zu Besuch war, habe der ganz schön geguckt, sagt Dahlemann.

Wie aus dem Nichts geht es um das Thema Flüchtlinge

Was er nur schwer steuern kann, sind die Themen, die die Menschen mit ihm besprechen wollen. Er möchte vor allem über Rentenanpassung und Kita-Plätze reden, zentrale Punkte im Wahlprogramm der SPD in Mecklenburg-Vorpommern. Doch irgendwie kommt die Sprache dann doch auf die Flüchtlingskrise. Die Politik der Bundesregierung ist zentrales Thema in Mecklenburg-Vorpommern. Sellering kritisiert in Interviews immer wieder den Asylkurs von Merkel. Man könne nicht alle Verfolgten aufnehmen, sagte er. Der bisherige Innenminister und CDU-Spitzenkandidat Lorenz Caffier spricht sich für regelmäßige Sicherheitskontrollen in Flüchtlingsheimen aus und unterstützt das Verbot einer Vollverschleierung. Die AfD treibt auch in Mecklenburg-Vorpommern alle Parteien mit ihrer Stimmungsmache gegen Flüchtlinge vor sich her. In dem Bundesland leben gerade mal 11 000 Asylbewerber.

Auch auf dem kleinen Marktplatz in Eggesin taucht das Thema wie aus dem Nichts auf. Der Eisenbahner, dessen Enkel mit Dahlemann auf die Schule ging, hatte gerade noch über seine Knieprobleme gesprochen. Dann geht es plötzlich darum, dass man ja nicht wisse "wen die Merkel da ins Land gelassen hat". Es gebe ja auch Schläfer. "Es gibt auch unter uns Menschen, die nicht ganz knusper sind", entgegnet Dahlemann. Seine Mitarbeiter diskutieren mit einer Frau, die der Meinung ist, die Flüchtlinge bekämen alles. Dahlemann kann sich nicht richtig erklären, woher dieses Gefühl der Benachteiligung kommt. "Uns geht es eigentlich gut", sagt er. In seinem Wahlkreis gibt es mehrere große Betriebe, darunter eine Gießerei, die Teile für die Windkraftanlagen im Land fertigt.

Für die Linke ist die Landtagswahl besonders bitter

Nur wenige Meter entfernt zerbricht man sich über dieselbe Frage den Kopf. Direkt neben dem Stand von Patrick Dahlemann steht die Partei Die Linke mit einem Tischchen. Darauf liegen rote Feuerzeuge und kleine Taschenlampen. Die Bonbons sind alle. "Das Land wurde einem rigorosen Sparkurs unterzogen und als die Flüchtlinge kamen, war plötzlich Geld da - so empfinden das die Leute", sagt Daniel Seiffert, Direktkandidat der Linken im Wahlkreis.

Er macht sich wenige Illusionen, dass er gegen Dahlemann etwas ausrichten könne. Der sagt wiederum über Seiffert: "Ist nicht von hier." Für die Linke ist die Landtagswahl besonders bitter. In den landesweiten Wahlumfragen liegt sie derzeit bei 13 Prozent, drei Prozent weniger als 2011. Wer die Linke einst aus Protest wählte, wählt nun die AfD - so war es bei anderen Landtagswahlen in Sachsen oder Thüringen. "Ich bin ratlos", sagt Marlies Peeger, Stadtpräsidentin in Torgelow. Argumente funktionierten nicht mehr. "Wenn man versucht, Zusammenhänge zu erklären, heißt es 'Agitiere mich nicht'".

Anders als beim Stand von Dahlemann, kommen kaum Leute zu Peeger oder Seiffert, um Glück zu wünschen. Doch es herrscht nicht nur Frust bei den Linken. Peeger zeigt stolz ein Bild auf ihrem Smartphone her. Gregor Gysi, wie er eine weiße Friedenstaube in die Luft wirft, umgeben von einer Menschentraube. Am 1. September veranstaltete die Linke zum Weltfriedenstag eine Feier in Torgelow, eingeladen waren besonders die Kindergärten. 400 Menschen kamen, natürlich auch Patrick Dahlemann. Die blauen Luftballons, die Peeger für den Anlass mit weißen Täubchen hatte bedrucken lassen, reichten nicht. Also holte man noch welche aus dem Büro des SPD-Politikers. Am Ende schwebten rote und blaue Luftballons über den Menschen. Für Peeger das absolute Highlight.

Der letzte auf dem Platz ist Dahlemann

"Ich weiß, dass wir am Sonntag wieder darüber diskutieren werden, warum wir so schlecht abgeschnitten haben - aber ich habe keine Ahnung, was wir falsch gemacht haben", sagt Peeger und klickt sich durch die Bilder vom Weltfriedenstag. Es ist zwölf Uhr. Gemeinsam mit anderen Helfern baut Seiffert den Stand ab. Die Fahnenstange scheppert zu Boden. Der Infostand in Eggesin war im Wahlkreis die letzte Station für die Linke.

Auch bei der SPD wird zusammengeräumt. Dahlemanns Helfer haben schon längst die Flyer eingepackt, die Bierbank verstaut, da steht der SPD-Politiker noch immer mit einem Mann ins Gespräch vertieft auf dem fast leeren Platz. Sein früherer Mathelehrer. Am diesem Samstag ist Dahlemann beim Erntedankfest, Werbung machen. Sollte es am 4. September nicht klappen, will sich Dahlemann nicht lange mit der Fehleranalyse aufhalten. "Für mich ist es denn halt vorbei mit der Politik. Ich bin jung - ich kann auch was anderes machen." Seiner Freundin käme das wohl entgegen. Die sagte ihm kürzlich, wenn er so weiter mache, sehe er bald so alt aus wie der 38 Jahre früher geborene Erwin Sellering.

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