Wahl in Italien:Erst der Albtraum, dann das Erwachen

Bersani gewinnt das Abgeordnetenhaus, Berlusconi den Senat, die Anti-Parteien-Bewegung des Komikers Grillo erhält aus dem Stand 25 Prozent - dümmer kann es nicht laufen. Was alle befürchtet haben, ist nun Wirklichkeit: Italien hat das Patt gewählt, die Blockade, die Unregierbarkeit.

Von Andrea Bachstein, Rom

Noch um 16 Uhr am Montagnachmittag, eine Stunde nach Schließung der 61.000 Wahllokale in Italien, sah es so aus, als wäre die nächste Regierung in Rom eine ziemlich klare Sache: Die Sozialdemokraten der PD lagen mit ihrem Wahlbündnis laut den Wahlnachfragen in beiden Parlamentskammern vorne. Ganz klar im Abgeordnetenhaus und nicht ganz so klar im Senat.

Erwartungen und Meinungsumfragen schienen bestätigt zu sein, weshalb in diversen europäischen Regierungskanzleien die Beobachter wohl schon tief durchgeatmet haben. Nach allem, was diese ersten Umfragen versprachen, schien festzustehen: Pier Luigi Bersani, der Chef der Sozialdemokraten und Favorit seit Monaten, würde der nächste Premier werden, auch wenn er vielleicht die Hilfe eines Koalitionspartners brauchen würde.

Doch dann zogen, nicht nur bildlich gesprochen, dunkle Wolken auf. Es war fast beängstigend, wie schnell sich in der Stunde nach 16 Uhr die Situation wandelte. Gut zu erkennen war das auch an den Gesichtern der Moderatoren und Wahlexperten in den Fernsehstudios, auf denen sich immer deutlicher Ungläubigkeit breitmachte.

Was sie bis dahin diskutiert hatten, was sie bis dahin als wahrscheinlich angesehen hatten, wurde mehr und mehr hinfällig. Denn im Senat holte das Mitte-rechts-Bündnis unter Führung von Silvio Berlusconi bedrohlich auf, lag kurzzeitig sogar vorne, dann wieder gleichauf mit den Sozialdemokraten, dann wieder etwas weiter hinten, je nach dem Zwischenstand der unterschiedlichen Forschungsinstitute.

Italien droht die Blockade

Was alle, vor allem auch außerhalb Italiens, befürchtet hatten, wurde so in der Nacht auf Dienstag dann Wirklichkeit: Italien hat das Patt gewählt, die Blockade, die Unregierbarkeit. Denn genau das wird Italien sein: unregierbar.

Diese seltsame Situation hängt damit zusammen, dass - anders als in Deutschland bei Bundestag und Bundesrat - beide Parlamentskammern absolut identische Befugnisse bei der Verabschiedung von Gesetzen haben. Wobei es sich beim Parlament eher auszahlt, vorne zu liegen, denn dort gibt es für die stärkste Partei ein Bonusgeschenk. Was heißt: Die sozialdemokratische PD und ihre Listenpartner konnten schon recht früh am Montagnachmittag entspannt der absoluten Mehrheit entgegenblicken, die sie haben werden nach Anrechnung des Zuschlags.

Doch im Senat, für den die Stimmen in den einzelnen Regionen ein extra Gewicht haben, lag Berlusconis Mitte-rechts-Bündnis lange bei sehr guten Werten - und letztlich auch vorn. Es profitierte ganz offensichtlich davon, dass die Lombardei, mit ihren gut zehn Millionen Einwohnern bevölkerungsstärkste Region Italiens, besonders viele Senatoren stellt. Fast überflüssig zu erwähnen, dass Berlusconis PDL und die Lega Nord gerade in der Lombardei sehr viele Anhänger haben. Da nützte es der PD von Bersani nichts, dass sie als einzelne Partei im Senat zwar den höchsten Einzelwert erzielte. Denn es zählt nur das Ergebnis für die gesamte Bündnisliste.

Die Finanzmärkte reagieren nervös

Gegen 17:30 Uhr trat dann Stefano Fassina vor die Fernsehkameras, einer der profiliertesten bisherigen PD-Abgeordneten. Man musste sich gar nicht Wort für Wort merken, was der Sozialdemokrat sagte, die graue Farbe seines Gesichts und die gedrückte Körperhaltung erzählten schon alles. Sein Auftritt zeigte, wie niedergeschlagen und enttäuscht er war und wie sehr ihn die Sorge um Italien umtrieb.

Schließlich brachte der PD-Vize-Chef Enrico Letta wenig später im Rai-Fernsehen auf den Punkt, wovor alle Angst hatten: Wenn es bei diesem Resultat bleiben würde, sagte er, "wird es ein Erdbeben geben, nicht nur in Italien, sondern in ganz Europa". Dann werde wohl bald erneut gewählt werden müssen.

Das war nicht übertrieben, denn zur gleichen Zeit liefen bereits die Meldungen vom Ansteigen des Zinssatzes ein, den Italien auf seine Staatsanleihen zahlen muss. Eindeutig die Reaktion auf die unsichere Situation. Eindeutig die Reaktion darauf, dass alle Hoffnungen schrumpften, Italien habe sich für einen klaren Wandel entschieden und die Ära von Silvio Berlusconi ein für alle Mal beendet, des größten Unsicherheitsfaktors von allen.

Unsicherheitsfaktor Beppe Grillo

Dass Berlusconi in der Funktion als Unsicherheitsfaktor mittlerweile Konkurrenz bekommen hatte, war zu diesem Zeitpunkt schon deutlich geworden: Denn das andere spektakuläre Resultat ist der große Erfolg der Anti-Parteien-Bewegung des Komikers Beppe Grillo. Dass der aus dem Stand 25 Prozent erzielt hat, ist doch für alle Beobachter überraschend. In einem furiosen Wahlkampf hatte der Populist Grillo im Norden wie im Süden Zehntausende Zuhörer angezogen, die alle offenbar genug haben von der bisherigen Politik und den bekannten Parteien. Neue Gesichter wollen sie im Parlament sehen.

Dass nicht alle Anhänger Beppe Grillos über profunde politische Grundkenntnisse verfügen, zeigt ein Phänomen: Eine Reihe von ihnen haben ihre Wahlzettel fotografiert und die Bilder anschließend ins Internet gestellt, um allen ihr Votum zeigen. Dass sie damit ihre Stimme ungültig gemacht haben und bis zu 1000 Euro Bußgeld riskieren, war ihnen offenbar nicht klar. Denn das Fotografieren der Wahlzettel - das klassische Beweismittel für Wähler, die sich haben kaufen lassen - ist verboten.

Vor allem aber herrscht Unsicherheit darüber, wie sich die Abgeordneten der neuen Partei verhalten werden. Weder links, noch rechts lässt sich die Grillo-Truppe verorten. Werden sie sich einer Fraktionsdisziplin unterwerfen? Wer wird sie im Parlament anführen? Beppo Grillo wird es nicht sein, er selbst hat ja gar nicht kandidiert.

Bei aller Aufregung ist eines fast aus dem Blickfeld geraten: Zu den Verlierern gehört an diesem Abend ganz gewiss auch Mario Monti, der sich mehr als ein Jahr lang damit abgemüht hat, Italien vor der Staatspleite zu bewahren. Obwohl das eine beeindruckende Leistung war, hat seine Bürgerliste nur rund zehn Prozent im Abgeordnetenhaus und um die neun Prozent im Senat erreicht. So wenig, dass man erst einmal gar nicht weiß, ob er als Koalitionspartner für Bersani überhaupt eine ausreichende Stütze sein könnte. Auch das ist Italien.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: