Wahl in Italien:Berlusconi und ich

Silvio Berlusconi

Der Untote: Silvio Berlusconi tourt wieder durch die Talkshows

(Foto: REUTERS)

Da ist er wieder: Silvio Berlusconi, tausend Mal tot gesagt und wieder quicklebendig, ein vorbestrafter Steuerbetrüger, der erneut Premier werden will. Fasziniert hat unser Autor die Karriere des "Cavaliere" als Korrespondent verfolgt.

Von Stefan Ulrich

Kann das sein? Ja, das kann es. Da ist er wieder. Auferstanden aus Skandalen, Prozessen, Demontagen, tausend Mal tot gesagt und wieder quicklebendig. Der Mann im dunkelblauen Anzug mit der Tupfenkrawatte von Marinella. Das Reptiliengesicht mit dem Haifischlächeln. Der "Caiman", so haben sie ihn früher genannt. Treffend.

Er steht wieder auf den Bühnen, grinst aus den Talkshows, prangt von den Plakaten. Kein Entkommen, nicht in Italien. Er breitet die Arme aus über seinem Volk, reckt seinen Feinden den Zeigefinger entgegen, als sei es ein Degen. Und er verspricht, wie in besten Zeiten, das Blaue vom italienischen Himmel herunter. Mehr Arbeit, mehr Lohn, weniger Steuern. Schlaraffenland für alle.

Niemand wird von ihm vergessen. Den Zahnlosen verheißt er in diesem Wahlkampf kostenlose Gebisse, den Tierfreunden steuerfreies Hundefutter. Er steht jetzt auf Tiere, besonders auf weiße Pudel, die er vor laufenden Kameras so innig liebkost, dass es diesen blümerant wird.

Die Unschuld im Blick und im Herzen, das liebe er an den Tieren, sagt er. Und dass er, der einst Italien quasi allein vor den Kommunisten rettete, nun gebraucht werde, um das Land vor den Populisten zu bewahren, vor der "Sekte" der Cinque Stelle, der Fünf Sterne. "Meno male che Silvio c`è", lautet seine Hymne (siehe Video unten). "Gut, dass es Silvio gibt." Immer noch. 2018. 24 Jahre, nachdem er in die Politik gegangen ist.

"Nach drei Stunden Schlaf habe ich genug Energie für drei Stunden Sex"

Silvio Berlusconi. Der Wiedergänger. Heute hat er mehr Haare als damals, 1994. Und man muss schon genau hinsehen, um unter der zur Maske geronnen Schminke die Spuren zu sehen, die ein exzessives Leben - "Nach drei Stunden Schlaf habe ich genug Energie für drei Stunden Sex" - und diverse Operationen in sein Gesicht gegraben haben. "Ich bin jung", ruft er, 81 Jahre alt, seinen Anhängern zu.

Bald will er, der vorbestrafte Steuerbetrüger, wieder nach dem Amt des Premiers greifen, das er bereits vier Mal besessen hat. Sein Italienisch ist dunkler geworden, altersrauer. Doch seine Sprüche sind wieder Berlusconi pur. "An Trump gefällt mir besonders Melania." Und: "Ich bin wie Batman."

Dabei ist Silvio Berlusconi 2013 definitiv beerdigt worden. Politisch. Damals, als die Justiz ihren homerischen Kampf gegen den Mailänder Medienmilliardär gewann, den man den Cavaliere nannte. Vier Jahre Gefängnis, in letzter Instanz, von denen der Ex-Premier zwar nur ein Jahr als Sozialarbeiter abbüßen musste. Aber dazu kamen der Verlust seines Senatoren-Sitzes und ein Ämterverbot bis 2019.

Das war's, dachte man, und fragte vorsichtshalber nochmal nach bei italienischen Bekannten und Kollegen. Das war's wirklich, bestätigten sie. Von diesem Schlag werde sich Berlusconi nie mehr erholen. Seine Partei zerfiel, die Getreuen suchten das Weite, das Volk spottete über seine Bunga-Bunga-Partys und die Staatsanwälte beugten sich über Akten wegen Amtsmissbrauchs und Sex mit einer Minderjährigen.

Der Magier, der Italien zwei Jahrzehnte lang hypnotisiert hatte, schien entzaubert. Er tröstete sich erstens mit seinem Pudel Dudù und zweitens mit seiner Verlobten Francesca. Jahrgang 1985. Francesca, nicht Dudù. Bye, bye Berlusconi.

Silvio Berlusconi mit seiner Partnerin Francesca Pascale 2013

Silvio Berlusconi mit seiner Partnerin Francesca Pascale 2013

(Foto: Reuters)

Zweieinhalb Jahrzehnte früher, 1990, da war Francesca noch im Kindergarten und Dudù noch nicht geboren, fiel mir ein Buch in die Hände mit dem Titel "Berlusconi - Eine italienische Karriere". Im Klappentext war von einem faszinierenden Unternehmer und Medienmogul die Rede. Neugierig geworden, kaufte ich das Buch. Ohne zu ahnen, dass ich diesen Berlusconi nie wieder loswerden würde.

Anfang 1994, ich lebte gerade in Rom, erkannte ich den Mann mit dem öligen Siegerlächeln auf allen Fernsehschirmen wieder. "Italien ist das Land das ich liebe", sagte er. "Hier wachsen meine Hoffnungen. Hier entfaltet sich mein Horizont." Nun gehe er in die Politik, um ein heiteres, modernes und effizientes Italien zu schaffen. Gut sah er aus. Damals wusste ich noch nicht, dass seine Mitarbeiter einen Damen-Nylonstrumpf über das Kameraobjektiv gezogen hatten, um seine Züge gefälliger wirken zu lassen.

Festgesetzt wie ein Pilz auf einem morschen Baumstamm

Fasziniert verfolgte ich, wie der Herrscher über das Privatfernsehen Italien im Sturm nahm. Seine Werbemanager gründeten Forza-Italia-Fanclubs im ganzen Land, wählten telegene Parlamentskandidaten aus und versahen sie mit Wimpeln, Krawatten und Reden. Ein Startup, das einschlug. Berlusconi schrieb die Hymne der Bewegung (siehe Video unten), die bald auf allen Plätzen des Landes zwischen Turin und Trapani erklang.

Wenige Monate später gewann Berlusconi die Parlamentswahl, wurde Premierminister. Zwar stürzte er kurz darauf wegen des Abgangs eines Koalitionspartners. Doch da hatte er sich bereits in der italienischen Politik festgesetzt wie ein Pilz auf einem morschen Baumstamm.

Berlusconi erwies sich, im Rückblick, als Urvater der modernen Populisten, der Trumps, Putins, Erdoğans, Le Pens. Er spaltete das Land: Hier seine Anhänger, die redlichen, hart arbeitenden Italiener, das wahre Volk. Dort die faulen, neidischen Kommunisten und ihre Büttel, die "roten Roben", wie er die Richter nannte, die ihn, den Cavaliere, mit Prozessen zu fesseln trachteten. Berlusconi überging - wie im Lehrbuch des Populismus - die Instanzen zwischen Volk und Regierung und suchte den direkten Schulterschluss mit den Italienern.

Er suggerierte ihnen, den gierigen, korrupten, unfähigen Staat genauso zu verabscheuen wie sie selbst. Waren sie nicht alle Opfer dieses Staates? Also Verbündete. Und wenn sich dieser Staat, in Gestalt von Richtern, Behörden, Abgeordneten gegen Berlusconi stellte, stellte er sich dann nicht auch gegen das eigene Volk? Volk und Anführer gegen einen von Kommunisten verseuchten Staat - das war die Siegesformel, die Berlusconi immer wieder an die Macht brachte.

Er sorgte dafür, dass man ständig über ihn schreiben musste

Dabei bewies der Cavaliere als Verführer ein ganz anderes Format als heute der aggressiv-tumbe, humorlos-egomanische Donald Trump in den USA. Berlusconi kann charmant sein, ja liebenswert. Er kann Witze über sich selbst reißen, Gegner umschmeicheln und Freund wie Feind in ein vielschichtiges Possenspiel verstricken, in dem er selbst immer zuletzt lacht.

2005 als Korrespondent nach Italien geschickt, erlebte ich den Cavaliere dann über Jahre aus nächster Nähe. Man mochte ihn als Politiker zutiefst ablehnen. Doch er sorgte dafür, dass man ständig über ihn schreiben musste. Etwa bei jener Wahlkampfveranstaltung in Neapel, auf der er versicherte, in China hätten die Kommunisten kleine Kinder gekocht, um damit ihre Felder zu düngen. "Presidente, erlöse uns vor den Kommunisten", schmachtete eine Banderole im Saal.

Silvio Berlusconi

Gute Laune: Silvio Berlusconi im Jahr 2018.

(Foto: AP)

Der Presidente hielt Wort. 2006 abgewählt, triumphierte er 2008 erneut über die manisch zerstrittene Linke. Dem Korrespondenten tat es leid um Italien. Beruflich war Berlusconi ein Segen. Denn nie druckte die Zentrale in München lieber Artikel aus Italien, als wenn Berlusconi darin vorkam.

"Sein Körper ist wie ein Ferrari, aber er fährt ihn mit wahnsinniger Geschwindigkeit"

Allein diese Sprüche: Er sei ein "gesalbter des Herrn", vergleichbar nur mit Jesus und Napoleon - und doch der meist verfolgte Mensch auf Erden. "Ich leide unter Überlegenheitswahn", kokettierte er. Sein Leibarzt versicherte: "Sein Körper ist wie ein Ferrari, aber er fährt ihn mit wahnsinniger Geschwindigkeit." Berlusconis damalige Frau Veronica Lario trat auf die Bremse. Sie verglich ihren Gatten mit einem Drachen, dem minderjährige Jungfrauen geopfert würden. "Schamlose Luder im Dienst der Macht" dienten dem "Amüsement des Imperators".

Das hinderte viele Italiener nicht, ihn weiter zu unterstützen. Weil sie sich von seinen Fernsehprogrammen berieseln ließen, indem schmalzige, alte Moderatoren von halbnackten jungen Frauen umturtelt wurden. Weil sie auf seine Versprechen hofften. Weil sie an den kommunistischen Wolf glaubten, der die italienischen Geißlein fressen wollte. Weil sie sich Absolution erhofften: Wenn schon Berlusconi den Staat bescheißt, konnten es ihnen doch auch keiner verübeln. Oder weil sie - das betrifft speziell die Männer - sein wollten wie er: reich, berühmt, dreist und umgarnt von drallen jungen Frauen.

Natürlich ging einem das auf die Nerven. Und so war man erleichtert, 2009 aus Bunga-Bunga-Land ins aufgeklärt-nüchterne Frankreich versetzt zu werden - wo Nicolas Sarkozy und Dominique Strauss-Kahn warteten. Erleichtert verfolgte man aus der Ferne, wie Berlusconi 2011 als Premier abtreten musste und 2013 der überfälligen Strafe zugeführt wurde.

Berlusconi? Tempi passati? So kann man irren. Da ist er wieder.

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