Wahl in Island:Das Gedächtnis eines Goldfischs

Die Revolution auf der Insel bleibt wohl aus - die Wähler entschieden sich trotz vorangegangener Proteste für den alten Klüngel. Dennoch ist nach dieser Wahl vieles anders. Die Isländer wählten neue Parteien und suchen nach neuen Lösungen.

Von Silke Bigalke

Verstehe einer die Isländer. Da gehen sie zu Tausenden auf die Straße, um gegen ihre Regierung zu protestieren. Sie werfen Bananen aufs Parlament und ihren Premierminister aus dem Amt. Sie setzen vorgezogene Parlamentswahlen durch und halten Schilder hoch, auf denen "Neues Island" steht. Und dann gehen sie hin und wählen den alten Klüngel. Es ist, als habe die Isländer auf halbem Weg der Mut verlassen. Die Revolution auf der Insel bleibt nun wohl aus. Trotzdem ist nach dieser Wahl vieles anders als zuvor.

Es stimmt: Die Unabhängigkeitspartei, gegen die sie so lautstark protestiert haben, hat mit Abstand die meisten Stimmen erhalten - mehr Stimmen als bei der Wahl 2013, mehr Stimmen als vor den Protesten, vor den Panama Papers. Die hatten im April enthüllt, dass zwei Minister und der Regierungschef Offshore-Vermögen verschwiegen hatten. Die Isländer waren nicht überrascht, stinksauer waren sie trotzdem. Schließlich hatten sie nun schwarz auf weiß, was jeder längst wusste: dass eine kleine Gruppe mächtiger Isländer auf Kosten der Allgemeinheit immer reicher wurde. Einen dieser reichen Isländer haben sie vielleicht trotzdem gerade zu ihrem Premier gewählt: Finanzminister Bjarni Benediktsson hat den Sturm ausgesessen. Er könnte nun den Auftrag bekommen, die Regierung zu bilden, Briefkastenfirma auf den Seychellen hin oder her.

Man kann den Isländern nun Vergesslichkeit vorwerfen, wenig Rückgrat und viel Naivität. Die Isländer sagen es ja selber: Sie hätten das "Gedächtnis eines Goldfischs", einen Mangel an politischem Talent, und sich außerdem nach der Finanzkrise einfach nur "feige verhalten". Das alles sind Zitate von Isländern kurz vor der Wahl. Es ist paradox, wie ein Volk von außen so selbstbewusst wirken und dann scheinbar so verzagen kann.

Kein Umsturz - und trotzdem eine ganz kleine Revolution

Genau das war eines der Probleme bei dieser Wahl: Die Erwartungen von außen. Die Panama Papers hatten Island weltweit in die Schlagzeilen gebracht, deswegen haben nun alle besonders interessiert auf die Wahlen danach geschaut. Erstaunt berichteten isländische Medien über das große Interesse internationaler Medien an ihrer Wahl. Und es wäre dies ja auch eine schöne Geschichte gewesen, von einem kleinen widerständigen Volk, das seine gierige Regierung aus dem Amt jagt und dann das Land nach seinen Wünschen umbaut, basisdemokratisch und transparent, mit neuer Verfassung, neuem Wahlsystem, Neuverteilung der natürlichen Reichtümer, mit der ersten Piraten-Regierung der Welt.

Doch vielen Isländern ging es bei der Wahl weniger um die Panama Papers als um praktische Wünsche, mehr Geld für Krankenhäuser zum Beispiel. Die Finanzkrise von 2008 haben sie nicht vergessen. "Neues Island" auf Plakate zu schreiben ist eine Sache, es dann zu wagen, eine andere. Die Oppositionsparteien haben es verschlafen, gemeinsam ein Programm für dieses neue Island zu entwickeln. Sie haben den Menschen nicht die Sicherheit gegeben, die sie brauchten, um sich vom alten Island zu trennen, in dem es den meisten ja trotz Vetternwirtschaft wieder ganz gut geht; manchen gerade deswegen.

Wenn man es so betrachtet, ist bei der Wahl bemerkenswert viel passiert. Die Piratenpartei hat ihre Sitze im Parlament mehr als verdreifacht. Eine ganz junge, EU-freundliche Partei hat es auf Anhieb auf zehn Prozent geschafft. Zum ersten Mal haben sich isländische Parteien vor der Abstimmung zu einem Block zusammengetan, um den Wählern Sicherheit zu geben. Sie haben das viel zu spät entschieden, aber es immerhin probiert. Überhaupt war es eine Wahl des Ausprobierens. Viele Isländer haben für Parteien gestimmt, die sie vorher noch nie gewählt haben. Sie suchen nach neuen Lösungen. So viel Revolution soll ihnen erst mal einer nachmachen.

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