Wahl in Iran:Getwitter in Teheran

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Die iranische Präsidentschaftswahl hat die Gesellschaft in höchstem Maß mobilisiert. Sie entscheidet darüber, ob dort der Reformprozess wieder vorsichtig in Gang kommt.

Tomas Avenarius

Nächtliche Jubelfeiern auf Teherans Straßen, bittere Vorwürfe bei Fernsehduellen der Kandidaten, eine Flut von E-Mails, SMS- und Twitter-Meldungen mit Wahlkampfparolen: Die iranische Präsidentschaftswahl hat die Gesellschaft des angeblichen Gottesstaates in höchstem Maß mobilisiert. Was als schlapper Schaulauf zwischen dem Amtsinhaber Mahmud Ahmadinedschad und seinen drei Herausforderern begonnen hatte, endete als beinharte Keilerei um die Führung, ausgetragen vor und hinter den Kulissen der politischen Bühne.

Die Präsidentschaftswahl in Iran hat die Gesellschaft des angeblichen Gottesstaates mobilisiert. (Foto: Foto: dpa)

Klar, dass die Opposition mit ihrer Unterstützung bei der Jugend und den Frauen sympathischer wirkt als der die Welt provozierende Ahmadinedschad. Aber die bunten Szenen sollten niemanden täuschen. Die Opposition hat den Sieg an diesem Freitag nicht in der Tasche. Der Amtsinhaber mag im Westen als irrlichternder Polemiker betrachtet werden: In Iran hat er Chancen auf eine zweite Amtszeit. Es geht bei dieser Wahl nicht um den Atomstreit, nicht um die öffentliche Leugnung des Holocausts.

Diese Themen sind nur aus westlicher Perspektive entscheidend. Die Iraner interessieren sich bei dieser Abstimmung vor allem für Wirtschaft, Soziales und Alltagsfreiheiten. Es geht darum, wie viel Geld der persische Otto Normalverbraucher im Portemonnaie hat. Ob er nach der Ausbildung Arbeit findet, ob junge Paare heiraten, sich eine Wohnung und ein besseres Leben leisten können. Auch geht es darum, wohin die Gesellschaft sich orientiert. Welche Gestalt nimmt die in die Jahre gekommene islamische Revolution an? Welche Rolle wird das Erbe des Ayatollah Chomeini noch spielen?

Iran hat eine der jüngsten Bevölkerungen weltweit. Deren Wunsch nach Fort-schritt dürfte die Wahl entscheidend prägen. Dennoch hat keiner der Kandidaten das "islamische System" in Frage gestellt: Es ist in der gesamten Gesell-schaft, trotz aller Mängel, verwurzelt. Die Beharrungskräfte sind zu groß, das Establishment ist zu stark, der Zeitpunkt für eine Wende noch nicht gekommen. Also berufen sich alle Kandidaten auf den Umbruch von 1979, stellen sich als Erben des Revolutions-Ayatollahs dar.

Falls der von der Jugend und den Frauen mitgetragene Oppositionskandidat Mir Hussein Mussawi das Rennen machen sollte, könnte er allenfalls die 2005 unterbrochene Reformpolitik fortsetzen. Er könnte anknüpfen, wo der populäre Geistliche Mohammed Chatami aufgehört hat: beim Versuch, das Revolutionsregime Schritt für Schritt in ein System zu verwandeln, das sich an die Spielregeln der internationalen Politik hält. Und das innenpolitisch die Freiheiten gewährt, die große Teile der Iraner fordern.

Darin liegt die Bedeutung der Wahl für die Außenwelt: Mit einem Reformer könnte die internationale Gemeinschaft ins Gespräch kommen. Streitfragen wie das Atomprogramm könnten gelöst werden, zum beiderseitigen Vorteil. In einer zweiten Amtszeit von Ahmadinedschad wird dies kaum gehen.

© SZ vom 12.6.2009/vw - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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