Süddeutsche Zeitung

Wahl in Hamburg:Rot-grüne Koalition - ein Weiter so mit Hindernissen

Lesezeit: 4 min

Von Peter Burghardt und Ralf Wiegand, Hamburg

Liebe Genossinnen und Genossen, was für ein großartiger Abend", sprach Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher am Sonntag in der Hamburger Markthalle, seine SPD feierte eine heitere Wahlparty. Schon in den Umfragen hatte Tschentschers Partei deutlich geführt, und das bestätigte sich jetzt: Nach ersten Hochrechnungen erhielt die SPD knapp 38 Prozent der Stimmen - weniger als 2011 und 2015 unter Olaf Scholz, aber sehr viel mehr als derzeit die Bundes-SPD im Deutschlandtrend.

Wo sonst haben Sozialdemokraten heutzutage dermaßen gute Laune? Der frühere Laborarzt Tschentscher, 54 Jahre alt, verteidigt trotz Berliner Turbulenzen Scholz' Erbe in einer der letzten Hochburgen der Sozialdemokratie und feiert seinen ersten eigenen Wahlsieg. Seine Stellvertreterin Katharina Fegebank hat ihr Ergebnis von vor fünf Jahren mit etwa 25 Prozent mehr als verdoppelt, das zweitbeste Resultat der Grünen in ihrer Geschichte. "Ich bin total gerührt", verkündete die zupackende Wissenschaftssenatorin Fegebank. Auch sie hatte natürlich bereits geahnt, dass sie trotz ihres Erfolgs wohl Zweite Bürgermeisterin bleiben wird.

Die beiden Parteien und die beiden Politiker werden aller Wahrscheinlichkeit nach gemeinsam weitermachen, als momentan einziges rot-grünes Bündnis in einem deutschen Länderparlament. Wie sollte es anders sein? Die Hamburger Union, von 2001 bis 2011 an der Macht, lange unter Ole von Beust, ist abgestürzt, auch haben sich SPD und CDU in Hamburg wenig zu sagen. Der CDU-Spitzenmann Marcus Weinberg bietet Gespräche an, doch er wird bestenfalls Oppositionsführer, nachdem Weinberg den historischen Tiefstand der CDU von 2015 (15,9 Prozent) mit mutmaßlich etwa elf Prozent noch unterboten hat. Jamaika ist ohnehin keine Option, falls es die FDP überhaupt in die Bürgerschaft geschafft hat, es schien knapp zu werden. Jubel brach in den meisten Lagern aus, als erste Zahlen bekannt wurden, die darauf deuteten, dass die AfD erstmals wieder aus einem Landtag fliegen könnte.

Neben dem Klimawandel wurde die Cum-Ex-Affäre zum großen Thema im Wahlkampf

Hamburg setzt seine Tradition also fort. In dem Dreivierteljahrhundert seit Kriegsende hatte nur 14 Jahre lang die Union an Alster und Elbe regiert, sonst immer die SPD. Hamburgs Groko ist seit 2015 Rot-Grün, die Kombination von wirtschaftsliberalen Sozialdemokraten und Realo-Grünen entspricht dem Lebensgefühl der meisten Hamburger. Zusammen haben sie wie gehabt eine bequeme Mehrheit. "Ein klares Wählervotum" erkennt Katharina Fegebank von den Grünen, es sei ja "eine gut funktionierende und erfolgreiche Koalition" gewesen. Sie wünscht sich eine Fortsetzung "mit starkem Grün". Auch Peter Tschentscher von der SPD hält Rot-Grün für "die naheliegende Option". Allerdings hatte sich das Tandem zuletzt beäugt und gestritten, seitdem die grüne Vize ihren Chef von der SPD herausgefordert hatte. Das und die neue Stärke der Grünen dürfte Verhandlungen nicht erleichtern.

Je länger der Wahlkampf dauerte, desto eisiger wurde das Verhältnis. "Man kann nicht Opposition und Regierung gleichzeitig sein", klagte Tschentscher wenige Tage vor der Abstimmung. Aber das ging durchaus, jedenfalls aus Sicht der Grünen. Sie hatten am Ende außer dem Klimawandel noch ein Thema, das beide auch nach der Wahl beschäftigen dürfte: Cum-Ex.

Die Steueraffäre belastete das Verhältnis in den diesen Tagen erheblich. Es geht dabei um die Frage, ob die SPD-geführte Finanzbehörde der Hamburger Privatbank Warburg 2016 fast 47 Millionen Euro an möglicherweise fälligen Steuerforderungen erspart hatte. Erster Bürgermeister damals: Olaf Scholz. Finanzsenator damals: Peter Tschentscher. Im Tagebuch eines führenden Warburg-Bankers ist ein Gespräch mit Scholz vermerkt, doch Scholz und Tschentscher weisen den Verdacht politischer Einflussnahme von sich.

Die Grünen werfen der SPD beim Umweltschutz Blockadehaltung vor

Am Wahlabend war wenig über die Causa Cum-Ex zu hören, doch in den vergangenen Tagen verlangten die mitregierenden Grünen ebenso wie die Opposition Aufklärung, sie wollten für diesen Fall sogar das Steuergeheimnis aufheben lassen. Von Vertrauensverlust war die Rede, obwohl Tschentschers Partnerin und Rivalin Fegebank im letzten TV-Duell eher gebremst angriff. Tschentschers Büroleiter hatte den Grünen vor Wochen in einem Tweet obendrein Gewaltbereitschaft unterstellt, weil der kleine Partner die Vermummung von der Straftat zur Ordnungswidrigkeit herabstufen wollte. Und Tschentscher stichelte bei jeder Gelegenheit: "Man muss nicht nur wollen, man muss auch können."

Ärger gab es kürzlich auch, als sich Hamburg bei der Abstimmung über ein Tempolimit auf Autobahnen im Bundesrat enthielt. "Typisch für den Bürgermeister", schrieb der Grünen-Umweltsenator Jens Kerstan auf Facebook. "Trotz wohlfeiler Reden für mehr Klimaschutz. Wenn es dann zum Schwur kommt, kneift er." Hamburgs SPD sieht das anders, der Senat habe vor der Abstimmung im Bundesrat freie Hand vereinbart. Beim Thema Klimaschutz geraten die Koalitionäre häufiger aneinander. Die Grünen warfen der SPD bei Umweltthemen Blockaden vor. Sie haben außerdem den Verdacht, dass die Genossen ihre Pläne für ein autoarmes Stadtzentrum abgekupfert haben. Und sie wunderten sich, dass die SPD plötzlich den Umbau eines Kohlekraftwerks bekannt gab, ohne das offenbar besprochen zu haben.

Welche Rolle Verkehrswende und Ökologie spielen, war am Freitag bei der Großdemo "Fridays for Future" zu besichtigen. Zehntausende zogen durch Hamburg, angeführt von Greta Thunberg aus Schweden, die Grünen Fegebank, Annalena Baerbock und Robert Habeck waren auch dabei. Das Wahlkampffinale dagegen fiel nach dem Terroranschlag von Hanau aus, die Schlusskundgebungen wurden abgesagt. Stattdessen trafen sich mehrere Parteien zur Trauerkundgebung, die Fahnen vor dem Rathaus wehten auf Halbmast.

Es waren triste Tage in der Hansestadt, das chronisch miese Wetter tut ein Übriges. Blendender Laune war zunächst hauptsächlich der Stadtteil St. Pauli, dessen Fußballmannschaft das Zweitligaderby beim Hamburger SV und mithin die inoffizielle Stadtmeisterschaft gewonnen hatte. "Hamburg ist braun-weiß", hieß es auf einem Spruchband im Volksparkstadion, Braun und Weiß sind die Farben des FC St. Pauli. Das politische Hamburg wird rot-grün bleiben, mit einem Ersten Bürgermeister Tschentscher, dem Nachfolger des Finanzministers und Vizekanzlers Scholz. Aber SPD und Grüne müssen sich wohl schütteln, ehe sie ihren Pakt fortsetzen.

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SZ vom 24.02.2020
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