Wahl in Großbritannien:Die Frau, die zu viel wollte

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Sie hat gepokert und sie hat verloren: Premierministerin May hatte die Neuwahl ausgerufen, um ein klares Mandat für die Brexit-Verhandlungen zu erhalten. Doch nicht einmal in ihren Kernthemen konnte sie überzeugen.

Von Julia Ley

Wie oft dürfte Theresa May diesen Satz inzwischen bereut haben. "Ich habe soeben eine Kabinettssitzung geleitet, in der wir zu dem Entschluss gekommen sind, dass die Regierung Neuwahlen ausrufen wird." Es war der 18. April, May stand an einem Pult vor der Tür ihres Regierungssitzes in No. 10 Downing Street. Sie wollte eine stabile Mehrheit für die Brexit-Verhandlungen und zu diesem Zeitpunkt schienen Neuwahlen völlig risikofrei: Meinungsforscher nannten den Ausgang eine "ausgemachte Sache". Ihre Konservative Partei, die "Tories", lag in den Umfragen mit mehr als 20 Prozentpunkten vorne. Sieben Wochen später ist Mays Plan grandios schiefgegangen. Zwar sind die Tories immer noch stärkste Partei im Parlament, aber sie haben die absolute Mehrheit verloren.

An diesem Freitagmorgen hätte May wieder vor das schlichte Pult treten sollen, das ihre Mitarbeiter in solchen Fällen vor der Tür aufbauen, ein Statement war für elf Uhr deutscher Zeit angekündigt. Die Presse hatte sich versammelt, die TV-Stationen sendeten Wiederholungen aus der Wahlnacht, während sie auf die Premierministerin warteten. Doch diese war offenbar wieder einmal abgetaucht. Später sickerte durch, sie wolle stattdessen um 12.30 Uhr die Queen aufsuchen - und sie um Erlaubnis bitten, eine neue Regierung zu bilden. May will trotz des desaströsen Ergebnisses weitermachen.

Schuld an dem Debakel ist ein Wahlkampf, der ihre Schwächen als Politikerin überdeutlich zutage treten ließ. Statt in die Offensive zu gehen, setzte May auf Sicherheit. Statt auf unentschiedene Wähler zuzugehen, sprach sie vor ausgewählten Aktivisten. Statt ihre Partei ins Boot zu holen, verschanzte sie sich mit ihren engsten Vertrauten und ließ ein Wahlprogramm schreiben, mit dem sich viele in der Partei nicht identifizieren konnten. Statt die Stabilität zu bieten, die sie in Dauerwortschleifen forderte, folgte eine Kehrtwende auf die nächste. Ein Wahlversprechen, in der Presse nur als "Demenz-Steuer" verschrien, musste May wieder kassieren, bevor die Wahl überhaupt angefangen hatte.

Das Auftreten der Premierministerin wirkte umso verkrampfter, je gelassener sich ihr Herausforderer gab. Auch Labour-Chef Jeremy Corbyn konnte nicht alle seine Ziele im Wahlprogramm einbringen, ließ sich davon aber nicht aus der Ruhe bringen. Er sei "kein Diktator", erklärte Corbyn achselzuckend, manchmal sei die Partei eben anderer Meinung. Als May öffentlich erklärte, ein Premier Corbyn würde in den Brexit-Verhandlungen "allein und nackt" dasitzen, wirkte das nicht nur patzig, sondern auch unnötig aggressiv. "Ich halte es für unangemessen, irgendwen als 'nackt' zu beschreiben", konterte Corbyn trocken. "Sogar mich." Bei vielen seiner Landsleute, die Selbstironie so sehr schätzen wie Höflichkeit, traf er damit einen Nerv.

Als Schülerin sei sie ein "Tugendbold" gewesen, sagte May mal über sich selbst

Nun kann man einwenden, dass die Rolle des Herausforderers den Angriff erleichtert. Für all das, was während des Wahlkampfs passiert, muss sich ein Oppositionsführer nicht rechtfertigen. Und es ist viel passiert in diesem Wahlkampf. Zwei Terroranschläge haben das ohnehin verunsicherte Land erschüttert. Der Terror hätte, so zynisch das klingt, der Premierministerin helfen können. Denn in unsicheren Zeiten halten sich Wähler oft am Vertrauten fest.

Und die Pfarrerstochter May, die über ihre eigene Schulzeit nicht viel mehr zu berichten weiß, als dass sie ein "goody two-shoes" gewesen sei, ein Tugendbold, ist den Briten sehr vertraut. May studierte in Oxford Geografie, und war, so berichten es Kommilitonen, ziemlich langweilig. Ihre Biografin hat ihr Leben sehr detailliert nachgezeichnet und bemühte sich vergebens, auch nur ein Skandälchen zu finden. Nicht mal eine Liebelei soll es gegeben haben, bevor sie ihren Philip heiratete. Von Drogen und Alkoholexzessen, wie man sie von anderen führenden Tory-Politikern kennt, ganz zu schweigen. Nach dem Studium arbeitete May erst bei der Bank of England, dann wurde sie 1997 ins Parlament gewählt. 2010 holte sie der damalige Premier David Cameron in sein Kabinett, als Innenministerin.

Als Politikerin hat sich May den Ruf erarbeitet, ambitioniert zu sein, aber auch nachtragend und verschlossen bis zur Rätselhaftigkeit. Es heißt, sie sei angewidert gewesen vom Macho-Getue der "Cameroons", einer Männerriege, die sich aus Studienzeiten in Oxford kannten und die auch als Politiker zusammenhielten. Sie war schon in Oxford nicht Teil dieser Clique und musste nun den Balanceakt schaffen, Abstand zu halten, sich aber auch Respekt zu verschaffen. Das schaffte sie, indem sie als Innenministerin härter durchgriff als all die Männer, die das Amt vor ihr innehatten und es meist schnell wieder los waren.

Sie setzte die härtesten Anti-Terror-Gesetze der westlichen Welt durch, baute Überwachungsmaßnahmen aus und kämpfte unablässig darum, dass weniger Migranten ins Land kamen. Im Rahmen eines umstrittenen Anti-Radikalisierungs-Programmes ließ sie sogar Vorschulkinder überwachen. Einmal schaltete sie Anzeigen auf Lastwagen, die durch Migrantenviertel fuhren. Darauf stand: "Illegal hier? Gehen Sie nach Hause oder ins Gefängnis."

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