Süddeutsche Zeitung

Wahl in Großbritannien:Der lachende Dritte

Die erste Fernsehdebatte der britischen Spitzenkandiaten gewinnen weder Premier Brown noch Tory-Chef Cameron - sondern Clegg, der Chef der Liberaldemokraten, überzeugt.

Wolfgang Koydl, London

Ob das die Initialzündung war, die sich Britanniens Politiker für den Wahlkampf erhofft hatten? Zwischen Apathie und Antipathie schwankt die Stimmung bei den Wählern mehr als eine Woche nach Beginn des Wahlkampfs. Nun sollte die erste von drei Fernsehdebatten der Führer der drei größten Parteien wenn schon nicht Sympathien so doch Interesse wecken.

Geschlagene 90 Minuten diskutierten Premierminister Gordon Brown, Konservativenchef David Cameron und der Führer der Liberaldemokraten Nick Clegg vor einem handverlesenen Studiopublikum in Manchester und vor Millionen von Zuschauern am Bildschirm. Noch nie hatte es ein derartiges Zusammentreffen vor Kameras in Britannien gegeben, und entsprechend nervös waren alle Beteiligten.

Anderthalb Stunden währt auch ein Fußballspiel, nur dass die TV-Debatte subjektiv länger zu dauern schien, was wohl auch dem Umstand geschuldet war, dass es keine erholsame Halbzeitpause gab. Ein spannendes Spiel lieferten sich Brown, Cameron und Clegg nicht unbedingt. Denn neue Argumente hatten sie nicht zu bieten. Sie spulten im Wesentlichen die bekannten Standpunkte ihrer Parteien ab.

Aber spielen Inhalte wirklich eine entscheidende Rolle bei einem solchen Schlagabtausch? Oder sind es nicht Auftreten, Aussehen, Charisma, auf die Zuschauer achten? Oder auf jenen Moment, in dem einer der Protagonisten sich einen entscheidenden Schnitzer leistet? Äußerlichkeiten waren ja schon zu Beginn der Woche entscheidend, als die drei Parteien ihre Wahlprogramme vorstellten. Es wird nicht viele Wähler geben, die sich in diesen Zeiten von Soundbites, Twitter-Häppchen und ultrakurzen Video-Clips die Mühe machen, solche oft in undurchdringlicher Politprosa verfasste Dokumente durchzulesen. Britanniens Parteien aber machten es den Wählern leicht. Ein Blick auf den Umschlag der Manifeste genügte, um zu wissen, was sich in ihnen verbarg.

Labour entschied sich für eine Art von realsozialistischem Plakatmotiv, auf dem eine glückliche Familie einen Sonnenaufgang bestaunt. Die Botschaft: In krisenhaften Zeiten ist nur auf den Staat Verlass. Das Wahlprogramm der Torys erinnerte an den Jahresbericht eines Unternehmens: Hardcover statt broschiert, in seriösem, nüchternen Dunkelblau. Kein Bild schmückt den Einband, sondern nur der schmucklose Titel "Einladung in die britische Regierung". Jeder Bürger sollte wohl das Gefühl haben, dass er nur dieses Büchlein vorweisen müsse, um sich um einen Kabinettsposten zu bewerben: Alle Macht dem Bürger, denn er weiß besser, was für ihn richtig ist, als eine gesichtslose Staatsbürokratie.

Die kleinen Liberaldemokraten verpackten ihre Wahlversprechen in einer Publikation, die an jene Broschüren erinnert, die in den Warteecken von Arbeits- oder Sozialämtern herumliegen: mit nichtssagendem Streifenmuster in Pastellfarben. Wir meinen es gut, wir sind vernünftig, sagte dieser Titel, aber leider sind wir auch ein wenig langweilig. Weder diese Programme noch die Debatte dürften die Wähler in den 650 Wahlkreisen zwischen Cornwall im Südwesten und den Shetland-Inseln im Nordosten elektrisiert haben. Gleichgültigkeit oder gleich Zorn über eine als korrupt und selbstsüchtig verschrieene Politikerkaste überwiegen wohl weiterhin das Interesse an Programmen.

Klare Verhältnisse bevorzugt

Großes Vertrauen bringen die Wähler keiner Partei und ihren Führern entgegen. Der Spesenskandal, der die unehrlichen Bereicherungsversuche von Hunderten von Abgeordneten aller Parteien enthüllte, hat lediglich den Zynismus verschärft, den viele Briten ohnehin der Politik entgegenbringen. Nur vier Prozent der Befragten vertrauen laut einer Umfrage darauf, dass die Steuerpläne der Parteien glaubwürdig sind.

Ungewöhnlich ist zudem, dass sich fast jeder dritte Wähler nach dem Wahltag eine Situation wünscht, in der keine Partei eine Mehrheit hat. In diesem Fall, so die Überlegung, wären Brown oder Cameron zu einer Art Koalition mit Cleggs Liberaldemokraten gezwungen. Bislang galt ein sogenanntes "hung parliament" als Horrorszenario in einem Land, das klare Verhältnisse bevorzugt. Es ist möglich, dass die Fernsehdebatte eine derartige Situation einen Schritt näher gebracht hat.

Denn der offenkundige Sieger der ersten Fernsehdebatte war fraglos Nick Clegg. Er war sympathischer, überzeugender, einfach mehr ein Mensch aus Fleisch und Blut als seine wächsern wirkenden Konkurrenten. Vor allem Tory-Führer Cameron schien zu merken, welch gefährlicher Rivale ihm da zu erwachsen droht. Dies spürte offenkundig auch der Premierminister. Doch Gordon Brown zog daraus andere Konsequenzen: Ganz unverhüllt umwarb er den Liberaldemokraten: Nick, so schmeichelte er ihm ein ums andere Mal, stimme doch mit ihm überein, nicht wahr? Am 7. Mai wird man wissen, ob er damit recht behält.

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SZ vom 16.04.2010/juwe
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