Parteien und Szenarien in Griechenland:Wut der Straße gegen Wut der Märkte

Ist endlich Schluss mit den Schmerzen? Vor der Wahl in Griechenland versprechen die Parteien den Bürgern Linderung vom Sparkurs. Die Geldgeber blicken mit Argwohn auf Athen und fürchten einen Triumph des Populismus, der Märkte und Euro-Zone in größte Schwierigkeiten bringen könnte. Ein Überblick über Parteien, Konflikte und mögliche Szenarien.

Johannes Kuhn

Die Frühsommer-Sonne treibt die Temperaturen auf weit über 30 Grad, doch die Stimmung in Griechenland ist düster. Von den sozialen Folgen der Sparmaßnahmen geplagt, wählen die Bürger des Landes bereits zum zweiten Mal innerhalb von sechs Wochen ihr Parlament.

A supporter of Socialist PASOK party stands amidst confetti during pre-election rally at Korydallos suburb near Athens

Pasok-Anhänger bei einer Wahlkampf-Veranstaltung: Kein Vertrauen in die Politik.

(Foto: REUTERS)

Nach der letzten Abstimmung hatten sich die Parteien trotz tagelanger Verhandlungen nicht auf eine Koalition einigen können - nun soll sich bis Ende Juni eine Regierung formieren, die mit Sparforderungen der Troika in Höhe von weiteren 11,5 Milliarden Euro konfrontiert wird. Die Alternativen: eine Fortsetzung des Sparkurses und die weitere Verschärfung der sozialen Situation, oder die Verweigerung des Hilfsdiktats und der drohende wirtschaftliche Kollaps inklusive Austritt aus dem Euro.

Wie die Wahl ausgehen wird, ist absolut offen - Umfragen vertrauen die Griechen inzwischen beinahe so wenig wie ihren Politikern. Umso erbitterter kämpften die Parteien in den vergangenen Wochen um Stimmen. Ein Überblick über die Parteien, die gesellschaftlichen Konflikte und mögliche Szenarien.

Die Parteien

[] Syriza: Der Tsipras-Faktor

Bei der letzten Wahl gehörte die radikale Linkspartei Syriza mit 18 Prozent Stimmanteil zu den Überraschungssiegern, nun wird ihr alles zugetraut. Parteichef Alexis Tsipras stellte in den vergangenen Tagen sein jugendliches Siegerlächeln beinahe demonstrativ zur Schau: Syriza liegt bei Umfragewerten von mehr als 20 Prozent, könnte sogar die Konservativen als stärkste Partei ablösen und damit die begehrten 50 Extra-Mandate ergattern.

Der 37-Jährige wettert gegen das EU-Spardiktat und die Forderungen der Bundesregierung. Er verspricht den Griechen "ein Programm der Würde und Hoffnung" und droht damit, die Abkommen mit den internationalen Geldgebern zu kündigen. Dabei spekuliert er darauf, dass Brüssel und Berlin seiner Regierung entgegenkommen, um die Zahlungsunfähigkeit und den damit möglicherweise einhergehenden Euro-Austritt des Landes zu verhindern. Innenpolitisch verspricht er 150.000 Stellen im öffentlichen Dienst, eine Privatisierung der Banken, Renten in Höhe von 80 Prozent des letzten Gehalts und ein Arbeitslosengeld von 75 Prozent des Tariflohns über fünf Jahre. Wie dies finanziert werden soll, ist ebenso unklar wie die Stabilität der Partei, die sich aus vielen kleinen Splittergruppen zusammensetzt.

[] Nea Dimokratia: Last der Vergangenheit

An Charisma und Rhetorik ist Antonis Samaras, Chef der konservativen Nea Dimokratia (ND), seinem Kontrahenten Tsipras unterlegen. Deshalb positioniert sich der 60-Jährige als Politiker mit Rückgrat. "Elf Jahre war ich wegen meiner Ansichten am Rande des politischen Geschehens. Nun werde ich nicht plötzlich meine Meinung ändern", betont er immer wieder. Bei der letzten Wahl erhielt ND die meisten Stimmen, doch die Regierungsbildung scheiterte. Im Kopf-an-Kopf-Rennen mit Syriza betont Samaras immer wieder, die Wahl der Linken würde einen Euro-Austritt zur Folge haben. Syriza-Vertreter wiederum verweisen darauf, dass ND in der Regierungszeit zwischen 2004 und 2009 viele der aktuellen Probleme erst verursacht hat.

Obwohl ND als Juniorpartner der Übergangsregierung Kürzungen von Mindestlohn und Beamtenstellen mittrug, fordert Samaras inzwischen ebenfalls Nachverhandlungen zu den Sparvorgaben. Er favorisiert die Variante, die angedachten Milliardenkürzungen um zwei Jahre zu verschieben. Das ND-Wahlprogramm stellte er unter das Motto "Arbeit, Arbeit, Arbeit", es sieht weitere Privatisierungen, aber auch niedrigere Steuern und Jobgarantien für Beamte geschlossener Staatsunternehmen vor. Auch hier ist die Finanzierungsfrage ungeklärt - allerdings sollen viele Versprechen erst umgesetzt werden, wenn es Griechenland wieder besser geht.

[] Pasok: Angst vor der Bedeutungslosigkeit

Die Regierungskrise im November 2011 nutzte Angelos Venizelos, um den damaligen Pasok-Chef und Ministerpräsidenten Georgos Papandreou abzuservieren. Doch der ergatterte Parteivorsitz brachten ihm und Pasok kein Glück: Die Griechen nehmen den Sozialisten den harten Sparkurs der vergangenen zwei Jahre übel. Aus 44 Prozent Wählerstimmen im Jahr 2009 wurden zuletzt schlappe 13,2 Prozent. Auch Pasok hält nun Detailänderungen beim Spardiktat für notwendig, bekennt sich aber am stärksten von allen Parteien zum grundsätzlichen Sanierungskurs. Das Versprechen, im öffentlichen Dienst keine Stellen mehr abzubauen zeigt aber, dass auch die Sozialisten keinen großen Spielraum für weitere Härten gegenüber der Bevölkerung sehen. Venizelos hat bereits häufiger angedeutet, auch als Juniorpartner einer Koalition bereitzustehen.

[] Chrysi Avgi: Entzauberte Blender

Der Parlamentseinzug der "Goldenen Morgenröte" schockierte die Mehrheit der Griechen und auch europäische Beobachter: Mit offen faschistischem Auftreten und Hetze gegen Ausländer erreichte Chrysi Avgi sieben Prozent der Stimmen. Im Wahlkampf blieb die Vereinigung ihrer Masche treu und kündigte an, künftig Migranten und ihren Angehörigen Krankenhausbetten zu verwehren, damit dort wieder Griechen Platz hätten. Für Schlagzeilen sorgten der Vorsitzende, als er den Holocaust als Erfindung bezeichnete, ein Abgeordneter der Partei, als er in einer TV-Diskussion einer Syriza-Vertreterin ins Gesicht schlug, sowie die Festnahme von Parteimitgliedern nach einem tätlichen Angriff auf einen Pakistaner in Athen. Die Drei-Prozent-Hürde dürfte Chrysi Avgi wiederum überschreiten, allerdings zeichnet sich ab, dass die Zustimmung deutlich nachgelassen hat. Mit Parteien wie den Unabhängigen Griechen gibt es zudem einige weitere rechtspopulistische Konkurrenten.

[] Dimar: Das Zünglein an der Waage?

Hätte die Demokratische Linke (Dimar) vor einigen Wochen einer Dreierkoalition mit ND und Pasok zugestimmt, wären keine Neuwahlen ausgerufen worden. Auch dieses Mal dürfte das kleine Bündnis, in dem sich viele ehemalige moderate Syriza-Mitglieder finden, als Koalitionspartner stark begehrt sein. Zu den zentralen Forderungen gehören die Nachverhandlung des Bailouts und größere Transparenz in der als verfilzt geltenden öffentlichen Verwaltung.

Warum die Griechen so wütend sind

Die Themen

Der Wahlkampf wird von der schlechten wirtschaftlichen Situation und der Euro-Krise dominiert, doch auch das Thema Zuwanderung spielt eine wichtige Rolle. Ein Überblick.

[] Schulden

Die griechischen Geldreserven reichen nur noch wenige Wochen, bevor das Land ohne fremde Hilfe pleite wäre. Vom Wahlausgang und den weiteren Entwicklungen hängt es aber ab, ob EU und IWF die Auszahlung der nächsten Kreditrate weiterhin verweigern. Bedingung hierfür war bislang, dass Griechenland bis Ende Juni Sparmaßnahmen in Höhe von 11,5 Milliarden Euro in den nächsten beiden Jahren beschließen muss. Inzwischen ist der Geldmangel so groß, dass viele öffentlich finanzierte Bereiche wie die Stromversorgung mittelfristig vor dem Zusammenbruch stehen.

[] Die Euro-Frage

Syriza-Chef Tsipras kokettiert immer wieder mit einem einseitigen Schuldenmoratorium - eines der möglichen Szenarien, die zu einem Euro-Austritt Griechenlands führen könnte. Eine Volksabstimmung über den Euro ist die Wahl allerdings nicht: Acht von zehn Griechen wollen die Einheitswährung behalten, zumal bei einer Rückkehr zur Drachme eine Abwertung von Vermögen und Pensionen drohen würden. Um für ein solches Szenario gerüstet zu sein, bringen immer mehr griechische Bürger ihr Vermögen als Euro-Bargeld in Sicherheit. Das wiederum entzieht den griechischen Banken wichtige Einlagen und verschärft die Krise.

[] Arbeitslosigkeit

Eine Arbeitslosenquote von 21,9 Prozent, bei Griechen unter 25 Jahren sogar 52,7 Prozent: Schlechte wirtschaftliche Situation und Sparkurs haben gravierende Folgen für die Bürger, gerade der einst breiten Mittelschicht droht der Absturz in die Armut. Alle drei großen Parteien versprechen deshalb, die Bezugsdauer des Arbeitslosengelds auf zwei Jahre anzuheben und den öffentlichen Dienst, der viele Griechen beschäftigt, künftig zu schonen. Auch der übereinstimmende Wunsch nach Geld für Investitionen zielt darauf, zumindest vorübergehend neue Jobs zu schaffen.

[] Zuwanderung

Der rechtsextremen Chrysi Avgi gelang es zwar nicht, das Thema Einwanderung in den Mittelpunkt des Wahlkampfes zu rücken, dennoch spielt es bei der Wahlentscheidung eine Rolle. 80 Prozent aller illegalen Einwanderer kommen über Griechenland in die EU, inzwischen sollen sich eine Million Illegaler im Land befinden. Sowohl die Partei der "Goldene Morgenröte", als auch die konservative Nea Dimokratia wollen Massenabschiebungen einleiten, Syriza hingegen möchte die Einwanderer mit Papieren ausstatten, damit diese in andere europäische Länder reisen können.

[] Medizinische Versorgung

Der Zustand des Gesundheitssystems macht die Bevölkerung wütend: Mit Kürzungen wollte die Regierung unnötige Untersuchungen und zwielichtigen Verschreibungen verhindern. In der Realität hat dies allerdings dazu geführt, dass die staatlichen Krankenhäuser vor dem Kollaps stehen und sich gerade ärmere Griechen bestimmte Medikamente nicht mehr leisten können. Hinzu kommt, dass die Pharmafirmen aufgrund der schlechten Zahlungsmoral einige Arzneien nur noch liefern, wenn Patienten in Vorleistung gehen. Die Parteien spekulieren darauf, dass eine Lockerung des Sparkurses das Gesundheitssystem entlastet.

[] Der öffentliche Dienst

Fast ein Fünftel aller werktätigen Griechen arbeiten im öffentlichen Dienst - genau deshalb sind weitere Kürzungen hier ein sensibles Thema. Alle Parteien versprechen, auf weitere Einschnitte zu verzichten oder sie zumindest sozialverträglicher zu gestalten. Gleichzeitig sollen die Behörden produktiver und bürgernäher werden - ein Ziel, an dem bislang noch jede Regierung gescheitert ist.

Was nach der Wahl passiert

[] Wut der Straße, Wut der Märkte?

Je nach Wahlergebnis scheint Ärger vorprogrammiert. In einem internen Papier der deutschen Botschaft in Athen, aus dem Reuters zitiert, rechnet man mit "Turbulenzen in den Märkten", falls Syriza gewinnt, oder "Ärger auf den Straßen", falls Nea Dimokratia die stärkste Partei werden sollte. Die Zentralbanken wollen einer Panik auf den Märkten vorbeugen und sollen stabilisierende Eingriffe planen.

[] Schwierige Koalitionsverhandlungen

Egal, wer stärkste Partei wird und damit die von der Verfassung vorgesehenen 50 Extra-Sitze erhält: Der Druck zur Bildung einer handlungsfähigen Regierung ist noch größer als vor einigen Wochen. ND hat bereits signalisiert, gerne eine Koalitionsregierung anzuführen. Mit Pasok stünde der einstige Erzfeind als Partner bereit, der allerdings kaum mit Zugewinnen rechnen dürfte. Ein weiterer Faktor könnte Dimar sein, die aber mehr Gemeinsamkeiten mit Syriza hat. Pasok hat seinerseits bereits ausgeschlossen, mit der Tsipras-Partei zusammenzugehen.

[] Verhandlungen mit EU und IWF

Die Troika aus Europäischer Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF) dürfte sich auf den Weg nach Athen machen, sobald Griechenland eine neue Regierung besitzt. Dort werden sie höchstwahrscheinlich feststellen, dass das Land die im März ausverhandelten Sparverpflichtungen nicht erfüllt. Wie es dann weitergeht, ist schwer abzusehen: Die Euro-Zone dürfte verhandlungsbereit sein, um Griechenland in der Gemeinschaftswährung zu halten. Allerdings könnten allzu hohe Forderungen Athens zu einem Scheitern der Gespräche und damit zur Zahlungsunfähigkeit des Landes führen. Unklar ist, ob der IWF zusätzliche Finanzmittel für Griechenland akzeptiert, sie an einen Schuldenschnitt knöpft oder sogar ganz aus den Verhandlungen aussteigt.

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