Wahl in Frankreich:Was der Angriff von Paris für die Präsidentschaftswahl bedeutet

  • Drei Tage vor der ersten Runde der Präsidentschaftswahl in Frankreich hat ein mutmaßlicher Terrorist auf den Champs-Élysées einen Polizisten erschossen und drei Menschen verletzt.
  • Das Thema Innere Sicherheit rückt damit wieder verstärkt in den Fokus.
  • Die Kandidaten François Fillon, Marine Le Pen und Emmanuel Macron beenden ihren Wahlkampf wegen des Anschlags einen Tag früher und verzichten auf ihre Auftritte am Freitag.

Von Lilith Volkert

Jetzt ist das passiert, was in Frankreich viele befürchtet haben: Kurz vor der Präsidentschaftswahl gab es einen terroristischen Anschlag. Am Donnerstagabend hat ein Angreifer einen Polizisten erschossen und drei Menschen verletzt, bevor er von Sicherheitskräften getötet wurde. Der IS hat die Tat umgehend für sich reklamiert, ein zweiter Täter soll noch auf der Flucht sein. Die Details sind nach wie vor unklar.

Zyniker mögen einwenden, dass der Anschlag deutlich weniger Opfer forderte als die letzten in Paris oder Nizza und der Tote durch seinen Beruf ein erhöhtes Risiko trug. Trotzdem wird die Attacke die Wahl am Sonntag beeinflussen: Sie weckt Erinnerungen an den Terror der vergangenen Jahre. "Der Terror schlägt wieder mitten in Paris zu", titelt die konservative Zeitung Le Figaro. Seit 2015 wurden in Frankreich 239 Menschen bei Anschlägen getötet.

Noch dazu ist jeder vierte Wähler Umfragen zufolge noch unsicher, wen er am Sonntag wählen soll. Von den elf Kandidaten, die während des Anschlags für Live-Interviews vor der Kamera standen, haben vier besonders gute Chancen. Zwischen ihnen gibt es ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Eine Umfrage, die am Donnerstag vor dem Anschlag veröffentlich wurde, sieht den Sozialliberalen Emmanuel Macron (24 Prozent) vor der rechtsextremen Marine Le Pen (22,5 Prozent).

Chancen, in die entscheidende Stichwahl am 7. Mai einzuziehen, haben aber auch der Konservative François Fillon (19,5 Prozent) und der linke Jean-Luc Mélenchon (18,5 Prozent). Nachdem die Kandidaten zuletzt vor allem mit ihren Vorschlägen gegen die Arbeitslosigkeit oder für den richtigen Umgang mit der Europäischen Union für sich warben, rückt nun das Thema Innere Sicherheit wieder in den Mittelpunkt.

Fillon ruft spontan das Ende des Wahlkampfs aus

Am Abend des Anschlags lief im öffentlich-rechtlichen Sender France 2 eine Serie mit Kurzinterviews mit den Kandidaten. Nach längerem Hin und Her hatte man sich gegen eine weitere Debatte mit allen elf Anwärtern entschieden. "Ich möchte nicht, dass wir uns an islamistischen Terror gewöhnen", sagte Marine Le Pen in ihrem Plädoyer am Ende der Sendung. "Schluss mit der Nachgiebigkeit, Schluss mit der Naivität!" Die Chefin des rechtsextremen Front National dürfte sich durch das Attentat bestätigt fühlen und auf weitere Wähler hoffen. Terrorgefahr, Kriminalität und Einwanderung sind ihre großen Themen, sie wirbt seit Jahr und Tag für geschlossene Grenzen.

Am meisten dürfte aber François Fillon von der neuen Verunsicherung profitieren. Der Konservative galt als eindeutiger Favorit, bis er wegen der Scheinbeschäftigung seiner Frau deutlich an Ansehen verlor. Sein Hauptthema waren bisher die nötigen Wirtschaftsreformen. In dem Live-Interview sprach Fillon nun fast ausschließlich über Terror. Der Kampf gegen den Terrorismus müsse die "absolute Priorität" des künftigen Staatschefs sein, sagte er. "Es wird meine absolute Priorität sein."

Für alle überraschend schlug Fillon vor, den Wahlkampf an diesem Abend zu beenden. Er werde seine für Freitag vorgesehene Abschlusskundgebung absagen. Ein geschickter Schachzug: Der Wahlkampf endet ohnehin einen Tag später in der Nacht von Freitag auf Samstag, danach sind weder Auftritte noch die Veröffentlichung von Meinungsumfragen erlaubt. So kann Fillon mit einem mitfühlenden Vorschlag punkten und seinen betont staatsmännischen Auftritt als Beschützer der Nation wirken lassen. Gut möglich, dass sich am Sonntag Wähler für Fillon entscheiden, die angesichts einer Bedrohung lieber auf Bewährtes setzen, ohne diesen Anschlag aber dem jüngeren Reformer Emmanuel Macron eine Chance gegeben hätten.

Vor allem für Macron kommt der Anschlag zur Unzeit. Der 39-jährige ehemalige Wirtschaftsminister wirbt mit seiner Bewegung "En Marche!" für ein offenes, solidarisches Europa. Es ist möglich, dass sich einige Wähler angesichts seines Alters und seiner geringen politischen Erfahrung nun doch gegen ihn entscheiden. Auch Macron hat aus Solidarität mit den Opfern und ihren Familien den Wahlkampf beendet. Nun bleibt ihm keine Möglichkeit mehr, mit besonnenen Worten auf den Anschlag zu reagieren.

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