Wahl in Frankreich:Kickboxer im Maßanzug

Ein junger Polit-Novize ohne wahlkampferprobte Partei will Frankreichs neuer Präsident werden: Emmanuel Macron hat es in die Stichwahl gegen Le Pen geschafft - und gilt sogar als Favorit.

Von Leo Klimm, Paris

Bei Marine Le Pen gäbe es so etwas nicht: Als die Anhänger von Emmanuel Macron am Sonntag bis spät abends auf ihren Helden warten müssen, beschallt sein Team sie mit lauten Beats. "Feel the magic in the air", dröhnt es derart aus den Boxen, dass der Boden bebt. Die Messehalle, die Macron für den Abend gemietet hat, verwandelt sich in die größte Disco von Paris, die Menschen tanzen. Bei Macron liegt die Betonung nicht nur auf "Wahl", sondern auch auf "Party". Die Musik ist auf Englisch, das Publikum wie Macron: jung, großstädtisch, europäisch-weltoffen.

Schon dieser bunte Abend ist ein Statement des jugendlichen Favoriten der französischen Präsidentschaftswahl, ausgerichtet auf die zwei Wochen bis zum Stichentscheid gegen Le Pen: Zwei Wochen, in denen sich der Favorit zugleich als ein der Welt Zugewandter und als "Präsident der Patrioten" beweisen will - "gegen die Gefahr der Nationalisten". So sagt er es unter dem Jubel seiner Anhänger und "Helpers", wie seine Unterstützer sich neufranzösisch nennen.

Macron nimmt den Kampf an, natürlich

Früher am Abend hat Le Pen die Stichwahl am 7. Mai zum "Referendum über die Globalisierung" erklärt, zu einer Abstimmung über das "Überleben Frankreichs". Macron nimmt den Kampf an, natürlich. Kampfsport kann der Mann im Maßanzug und mit den treuen blauen Augen - er war früher sogar ziemlich gut in Savate, einer historischen französischen Spielart des modernen Kickboxens. Den Wählern gegenüber übt er sich aber schon so präsidentenhaft-versöhnlich, wie er nur kann: "Meine Aufgabe ist, ab sofort die Franzosen hinter mir zu versammeln."

Der 39-jährige Polit-Novize rüttelt heftig am Tor des Élysée-Palasts. Dort hat er vor seiner Zeit als Wirtschaftsminister schon zwei Jahre lang in einem Büro-Kabuff unterm Dach als Berater von François Hollande gedient. In zwei Wochen könnte er als Staatschef in die goldverzierten Salons dort einziehen.

Vertreter der Pariser Elite

Das ist Emmanuel Macron: Ein prototypischer Vertreter der Pariser Elite - Absolvent der Kaderschmiede ENA, Ex-Investmentbanker beim noblen Geldhaus Rothschild, eine Zeitlang Lenker der Wirtschaftspolitik des glücklosen Sozialisten François Hollande. Aber Macron ist auch ein gewiefter Taktiker, der aus Frust über Hollandes mangelnden Reformwillen eine eigene politische Bewegung geschaffen hat: "En Marche!"

Der Wahlverein, der binnen eines Jahres 200 000 Mitglieder gewonnen hat, trägt die Initialen seines Namens. Nicht wenige frühere Wegbegleiter halten Macron eine gute Portion Narzissmus vor. "In der Politik sind Helden nötig", hat er vor ein paar Monaten entgegnet.

Es war im Herbst 2015, er war gerade Minister, als er gekränkt oder jedenfalls tief frustriert wurde. Wer ihn damals in seinem Ministerium traf, erlebte einen ungewöhnlich reizbaren Macron. Der damalige Premierminister Manuel Valls hatte ihm die Zuständigkeit für eine Arbeitsmarktreform genommen, die Macron viel liberaler gestalten wollte.

Und Hollande betrieb nach den Pariser Anschlägen die Aberkennung der französischen Staatsbürgerschaft für Terrorverdächtige. Mit beidem war Macron nicht einverstanden. Das war der Auslöser, in dieser Zeit reifte der Gedanke, "En Marche!" zu gründen. Selbst an die Macht zu streben.

Elitär, aber unkonventionell

Wenn Macron am 7. Mai in den Élysée einziehen sollte, wird er die Macht aus dem Inneren des Systems heraus erobert haben. Als ein Bewerber, der sich - genau wie Le Pen - als Gegner des Systems präsentiert. "Ich habe die Leere von innen gesehen", sagt er. Es gehört zu Macrons Widersprüchen, dass er geschliffen-elitär und unkonventionell-rebellisch zugleich daherkommt.

Unkonventionell ist auch die Ehe mit einer 24 Jahre älteren Frau. Genauer: mit seiner früheren Lehrerin am Jesuitenkolleg seiner nordfranzösischen Geburtsstadt Amiens, in die er sich als 17-Jähriger verliebte. Im Wahlkampf ist Brigitte Macron ständig an seiner Seite. Am Sonntagabend wird auch sie von der Menge in der Pariser Messehalle mit Sprechchören bejubelt: "Brigitte, Brigitte!" Dann wieder: "Macron Président!"

Noch vor einem halben Jahr belächelten die meisten im Pariser Establishment den Polit-Aufsteiger. Schließlich hatte sich Macron vor Sonntag noch nie einer Wahl gestellt. Nicht einmal einer Kommunalwahl. Da wirkten die Ambitionen auf das Präsidentenamt wie Größenwahn. Aber Macron hat erkannt, dass das Parteiensystem morsch ist und das Bedürfnis der Franzosen nach politischer Erneuerung groß.

Sein Programm missachtet die hergebrachte Logik von links und rechts

Und er hatte das Glück, das auch selbsternannte Helden brauchen. In den Monaten vor der Wahl sortierte sich das politische Tableau in Frankreich optimal für ihn - weil die breite Mitte frei wurde: Hollande verzichtete auf eine erneute Kandidatur. Die Bürgerlichen bestimmten mit François Fillon einen Erzkonservativen zum Kandidaten, der später auch noch in einem Finanzskandal versumpfte. Die Sozialisten erwählten mit Benoît Hamon einen Parteilinken.

Macron tritt mit einem Programm an, das die hergebrachte französische Lager-Logik von links und rechts missachtet. Es ist, genauer betrachtet, ein klassisch sozialliberales Programm, das Egalité, den Kernwert der Französischen Republik, vor allem als Gleichheit der Chancen betrachtet. Und das nur vorsichtige Wirtschaftsreformen und Kürzungen der Staatsausgaben in Frankreich vorsieht, um gegenüber Deutschland an Glaubwürdigkeit zu gewinnen und eine Reform jenes Europas einfordern zu können, das die Franzosen bei dieser Wahl so spaltet. Des Europas, gegen das Le Pen wettert.

Sein früheres Profil als entschiedener Liberaler hat Macron während des Wahlkampfs sehr absichtsvoll verwässert. Seit die Macht in greifbare Nähe gerückt ist, achtet er peinlich darauf, nicht mehr anzuecken. Vorbei die Zeiten, als er linken Gewerkschaftern empfahl, mehr zu arbeiten, um sich auch so schöne Anzüge zu leisten wie er. Vorbei die Zeiten, als er provokant Frankreichs Jugendlichen empfahl, sie sollten den Ehrgeiz haben, Milliardäre zu werden.

"Ich weiß, wie die Globalisierung funktioniert"

"Meine Vergangenheit als Bankier sehe ich als Trumpf an", sagt er zwar. "Ich weiß, wie die Globalisierung funktioniert und ich weiß, was die private Wirtschaft ist." Aber mit Blick auf die linken Wähler, die er für die Wahl zum Staatschef braucht, geißelt er zugleich die "kapitalistische Abdrift". Seine politischen Gegner werfen ihm vor, man wisse vor lauter Phrasen nicht, wofür Macron wirklich stehe. Seine Wähler hat die Schwammigkeit seiner Positionen am Sonntag nicht gestört.

Zumindest das wissen sie sicher: Macron ist der Kandidat des offenen Frankreichs. Der einzige Bewerber in diesem Wahlkampf, der sich vorbehaltlos zu Europa bekennt. Und sollte Demokratie Populismus sein, so sei er gerne Populist, sagt er. Sein Ziel sei, so Macron einmal, das freundlich-weltoffene Gegenangebot zu Marine Le Pen an Frankreichs Frustrierte zu sein. Er hat beste Chancen, dass sie dieses Angebot am 7. Mai annehmen.

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