Jean-Luc Mélenchon liebt die große Geste. So wie vorigen Sonntag, als er am Alten Hafen von Marseille auf die Bühne klettert. 40 000, vielleicht sogar 70 000 Anhänger drängeln sich auf dem Quai und in den Gassen. Dem ergrauten Mann auf dem Podium gelingt es mit wenigen Worten, sie in seinen Bann zu ziehen. "Zwei Kinder ertrinken jeden Tag im Meer", donnert seine Stimme. Gravitätisch, fast wie ein Priester klingt Mélenchon, als er seine Gemeinde zu einer Minute des Schweigens aufruft. Diese Geste, so sagt er, sei "wie ein Liebeslied, um ihre Tränen zu trocknen und sie an unser Herz zu drücken - Silence!"
Das Echo war Schweigen. Absolute Stille, und Beifall, sehr viel Beifall danach. Wieder war es Mélenchon gelungen, ein Zeichen zu setzen. Obendrein war er gleich bei seinem Thema. Über "Krieg und Frieden" redete der linke Internationalist an diesem Tag. Er geißelte Gewalt und internationale Militärinterventionen als Fluchtursachen, erinnerte an den US-Einmarsch unter George W. Bush im Irak, verdammte die Attacke von Donald Trump auf eine syrische Luftwaffenbasis: Sie habe "keine internationale Legitimität!"
Mit Ausnahme von Marine Le Pen, der Vorsitzenden des Front National, hatten all seine wichtigen Widersacher im Kampf um die Präsidentschaft die US-Luftangriffe gebilligt. "Wenn ihr den Frieden wollt, dann irrt euch nicht mit eurem Stimmzettel", belehrte Mélenchon. "Und wenn ihr für den Krieg votiert, dann wundert euch nicht, wenn er am Ende auch kommt." Wieder Beifall, sogar Jubel; Mélenchon ist ein begnadeter Redner.
Jean-Luc Mélenchon ist der Typ Volkstribun
Das ist ein Grund, warum der 65-jährige Anführer von "La France insoumise", dem "unbeugsamen Frankreich", seine Umfragewerte seit Wochen steigen sieht. Jean-Luc Mélenchon ist der Typ Volkstribun, fast immer dröhnt seine Stimme empört: über die Ausbeutung der Arbeiter, über Europa, über Amerika. Über Putins Russland schimpft er seltener, Freunde erklären das mit seiner alt-roten Vergangenheit: "Gegenüber Moskau ist er intuitiv milder", bestätigt eine Gesinnungsgenossin.
Lange Jahre war Mélenchon Mitglied im "Parti socialiste". Unter dem sozialistischen Premier Lionel Jospin diente er 2000 bis 2002 als Staatsminister für Berufsausbildung. Immer stand er am linken Rand, rieb sich auf in den Flügelkämpfen der Partei. 2008 warf er hin. Der EU-Gegner gründete seine "Partei der Linken" - und kultiviert bis heute eine innige Feindschaft gegen den früheren PS-Parteichef und heutigen Präsidenten François Hollande. Leidtragender ist nun der sozialistische Kandidat Benoît Hamon, dem Mélenchon scharenweise linke Wähler abwirbt.
Front National:Le Pens Kampf im Internet
Kätzchen, Auftritte im Kuhstall und konservative Tweets: Die Präsidentschaftskandidatin inszeniert sich mit allen Mitteln als Retterin Frankreichs. Aber auch Macron ist ein Meister der Selbstdarstellung.
Mélenchon verheißt "la rupture", den Bruch
Und der Veteran hat umgelernt. Anders als vor fünf Jahren, als er nach Prognosen von 17 Prozent auf enttäuschende elf Prozent abstürzte, präsentiert sich Mélenchon jetzt als Bewerber, der Sozialismus und Ökologie versöhnt. Mit einem riesigen Investitionsplan will er Frankreich auf Nachhaltigkeit umrüsten und neue Jobs schaffen. Mélenchon verheißt "la rupture", den Bruch: Das allmächtige Präsidentenamt will er ebenso abschaffen wie die Sparzwänge Europas.
Der Unbeugsame belächelt den Drang französischer Aspiranten, reihenweise bei der Bundeskanzlerin um Termine zu bitten: "Jetzt Madame Merkel zu treffen, ist ein Fehler", schimpft er, "in der internationalen Politik gibt es keine Freunde." Der Linke will die EU-Verträge "völlig neu verhandeln" - und falls Berlin nicht nachgibt, will er raus aus Europa.
Immerhin 42 Prozent aller Franzosen, mehr als doppelt so viele wie noch Mitte März, glauben mittlerweile, Mélenchon würde "einen guten Präsidenten" abgeben. Das ist auch ein Resultat zweier gelungener Auftritte in TV-Debatten der Kandidaten. Er ist eitel, aber Personenkult verbittet er sich. "Hört auf damit!", ruft er in Marseille seinen Anhängern zu, als sie seinen Namen rhythmisch skandieren. "Mein Name ist kein Slogan - ich stehe für ein Programm.