Marine Le Pen ist in Frankreich nicht vom Himmel gefallen. Ihr Front National ist eine weitgehend erforschte Erscheinung. Die Partei darf als etabliert gelten, auch wenn es dem französischen Wahlrecht zu verdanken ist, dass die Extremisten und Rechtspopulisten nicht schon längst mehr Macht im Land erbeutet haben.
Dennoch löst der Triumph des Front bei den Regionalwahlen einen Schauder aus. Nun wurde auch in Frankreich nachgemessen, was nahezu überall im Westen die Parteiensysteme verändert: Populistische Gruppen versammeln mit rechtsnationalen, extremistischen Parolen und sozialistischer Kapitalismuskritik gewaltige Wählerscharen hinter sich. Sie nutzen ein eskalierendes Gefühl der Unsicherheit bei vielen Wählern, denen - simpel ausgedrückt - das Leben zu kompliziert und die Krisen zu viel werden.
Le Pen gelingt in diesem Moment zweierlei: Sie schürt die Angst und bestärkt die Bürger in ihrem Gefühl der Hilflosigkeit. Dann verspricht sie Abhilfe - schnell und einfach. Liefern musste sie freilich noch nie. Die französische Linke und die traditionelle Rechte finden gegen diese Einkreisungsstrategie kein Mittel, weil sie in der Logik der Populistin ja die eigentliche Ursache der Miseren sind.
In Europa und den USA hat eine böse Verführung Konjunktur
Falsch ist die Kritik an den etablierten Parteien nicht. Gerade in Frankreich zeigt die traditionelle Politik ein beängstigendes Beharrungsvermögen. Die klassischen Lager bremsen sich gegenseitig, die komplexen Entscheidungsstrukturen mit regionalen Interessen und dem Einfluss der vielen Interessensgruppen vermitteln ein Gefühl der Lähmung. Dazu kommt eine politische Kaste, die ihre Privilegien nicht überprüft. Kaum ein anderes Land in Europa bringt eine derart feudalistisch agierende Führungselite hervor. Wir gegen die - das funktioniert in Frankreich besonders gut.
Beim Rechtspopulismus und beim Rechtsextremismus wird gerne von einem Phänomen gesprochen, als ob es sich um einen Spuk handelt, der auch wieder verschwinden wird. Le Pen und viele andere Beispiele in Europa und selbst darüber hinaus zeigen aber, dass hier eine politische Kraft Gewicht gewinnt, die so schnell nicht vergeht. Vielmehr kann sie zur Bedrohung des westlichen Parteiensystems und damit zur Gefahr für die westlichen Demokratien überhaupt heranwachsen.
Der größte unter den Populisten ist Donald Trump
Als Lehrmeister aller Populisten führt sich momentan der Republikaner-Kandidat Donald Trump auf, der die USA geradezu hypnotisiert mit seinem spalterischen und brutalen Wahlkampf. Trump zeigt wie unter einem Brennglas die Zutaten einer erfolgreichen Verführungs-Kampagne: Er lügt ungeniert, er hämmert seine spalterischen Botschaften wieder und wieder in die Köpfe, er berauscht seine Anhänger mit brutalen Fantasien, und er versorgt die Menschen mit genügend Feindbildern: die da in Washington, Bartträger oder Dunkelhäutige von jenseits der Grenze.
Trump zeigt auf der Großbühne, was in Europa im Kleinen gespielt wird: Populistische und extreme Parteien erzwingen abenteuerliche Kapriolen: In Österreich, Dänemark oder Schweden sind etablierte Mitte-Parteien weit an den rechten Rand gerutscht, um die Populisten abzuwehren - ohne Erfolg. Andernorts haben sie die Systeme bereits gekapert: In Ungarn und Polen, um nur die wichtigsten Staaten zu nennen, haben Rechtspopulisten die Macht übernommen und die Prinzipien der Gewaltenteilung nachhaltig verändert. In Warschau steigert sich die Regierungspartei PiS in diesen Tagen in einen Machtrausch hinein, der zutiefst undemokratische Züge zeigt und nach einer Bestrafung durch die EU geradezu schreit.
Deutschland ist nicht unschuldig am Aufkommen des Rechtspopulismus
Das westliche System hat also gefährliche Fliehkräfte entwickelt - nicht zuletzt auch mit deutscher Hilfe, was nicht verschwiegen werden darf. Die Dominanz der Nation in der Mitte Europas führt zu Abstoß-Reflexen in der Nachbarschaft: So war es in Griechenland, so ist es in Dänemark, so wird es in Frankreich sein. Le Pen spielt gekonnt auf der antideutschen Klaviatur, wenn sie etwa Präsident François Hollande als Vizekanzler verspottet.
Schwächen lässt sich dieser Populismus nur schwer. Er schert sich nicht um Tatsachen, er verfälscht Zahlen, er behauptet einfach und schafft im Zweifel neue Feinde. Wir gegen die da - das ist die Losung, die auch bei der AfD gilt: Regierungen und, Gott bewahre, traditionelle Medien werden für unglaubwürdig erklärt. Demagogie und Personenkult sind die Schlüssel zur Macht. In Washington sind sie sicher, dass Trump diese letzte Macht nie bekommen wird. Über Le Pen spricht man in Paris ähnlich. Tatsächlich lehrt die Realität eine andere Lektion.