Süddeutsche Zeitung

Wahl in den Niederlanden:Rechtsliberale und Sozialdemokraten ringen um die Macht

Die Niederländer wählen heute ein neues Parlament. Beobachter rechnen mit einem Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen den Rechtsliberalen des geschäftsführenden Ministerpräsidenten Rutte und den Sozialdemokraten. Deren Spitzenkandidat war die große Überraschung des Wahlkampfs.

Thomas Kirchner

Nach etwas mehr als zwei Jahren wählen die Niederländer an diesem Mittwoch abermals ein neues Parlament. Beobachter rechnen mit einem Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen den Rechtsliberalen des geschäftsführenden Ministerpräsidenten Mark Rutte und der sozialdemokratischen Arbeitspartei von Diederik Samsom.

Beide können laut letzten Umfragen vom Dienstag auf je 35 von insgesamt 150 Sitzen im Parlament hoffen, die übrigen Parteien folgen mit weitem Abstand. Die vorgezogene Neuwahl war nötig geworden, nachdem Geert Wilders' Freiheitspartei einer Minderheitsregierung aus Rechtsliberalen und Christdemokraten im Streit über Haushaltskürzungen im April die Unterstützung entzogen hatte.

Rutte, 45, verstärkte in den vergangenen Tagen seine Attacken auf die Arbeitspartei, ein Zeichen, dass er den Gegner ernst nimmt. Im Fernsehen warnte er vor einem Linksruck; die Sozialdemokraten seien eine "Bedrohung" für das Land, das sich mitten in der Krise keinen Kurswechsel leisten könne. Samsom beschwerte sich daraufhin über "Angstmacherei" und einen rauen Stil Ruttes.

Samsoms Aufstieg zum Rivalen Ruttes ist die große Überraschung des kurzen, aber lebhaften Wahlkampfs. Dem 41-Jährigen gelang es in der Handvoll Fernseh-Debatten, sich als linke Alternative zu präsentieren; er erwies sich als telegen, themenfest und schlagfertig und schlug damit Emile Roemer, den Spitzenkandidaten der Sozialisten (SP), aus dem Feld.

Die ehemals maoistische SP, die auf nationaler Ebene noch nie in der Regierung saß, hatte zunächst von der Unzufriedenheit vieler Niederländer mit den etablierten Parteien profitiert. In den Umfragen lag sie kurzfristig sogar an erster Stelle, was zu Besorgnis in den Nachbarländern über die künftige Europapolitik Den Haags führte.

"Strafzahlungen - nur über meine Leiche"

Im Gegensatz zu Wilders will die SP weder aus der EU austreten noch den Gulden wieder einführen. Sie stemmt sich jedoch gegen den strengen Sparkurs, wie ihn vor allem Deutschland propagiert, und möchte die EU-Defizitvorgaben nicht sofort, sondern erst in einigen Jahren erfüllen. "Nur über meine Leiche", so Roemer, werde eine von ihm geführte Regierung die dann fälligen Strafsummen nach Brüssel überweisen.

Während in den vergangenen zehn Jahren der Umgang mit Einwanderern - das Lieblingsthema von Populisten wie früher Pim Fortuyn und jetzt Wilders - die Debatten geprägt hatte, stritten die Parteien nun erstmals ausführlich über Europa und den Euro.

Die eher europaskeptischen Rechtsliberalen plädieren für weitere massive Kürzungen, die traditionell EU-freundlichen Sozialdemokraten hingegen halten dies für kontraproduktiv und dringen auf staatliche Wachstumsimpulse auf der Linie des französischen Präsidenten François Hollande. Insgesamt schauen die Niederlande, ein Gründungsmitglied der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, inzwischen quer durch das politische Spektrum sehr viel kritischer auf Europa.

Wilders wie Roemer haben wenig Aussichten, Teil der nächsten Koalition zu werden. Wahrscheinlicher ist, dass sich drei oder vier Mitte-Parteien zu einem breiten Bündnis zusammenschließen, sodass Den Haag der EU als zuverlässiges Mitglied erhalten bleibt.

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SZ vom 12.09.2012/gal
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