Wahl in den Niederlanden: Job Cohen:Der Anti-Wilders in der Krise

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Er steht für ein weltoffenes Holland: Job Cohen soll den Islamgegner Geert Wilders entzaubern. Doch nun dreht sich alles um die Wirtschaft und der Sozialdemokrat gerät ins Stolpern.

Matthias Kolb, Amsterdam

Kurz vor dem Ausgang tappt Job Cohen doch noch in eine Falle. Das Kamerateam eines Internetsenders bittet den Sozialdemokraten zum Interview und überreicht ihm zwei Gegenstände: einen Tacker und ein Fläschchen Tipp-Ex, verziert mit dem Schriftzug seiner Partei PvdA. Beides könne er sicher gut gebrauchen, frotzelt der junge Journalist: den Tacker, um "den Laden zusammenzuhalten", und das Tipp-Ex, um das Wahlprogramm elegant umschreiben zu können. Der 62-jährige Cohen lächelt etwas gequält, bedankt sich und verschwindet aus dem Hörsaal der Universität Leiden, wo er zuvor eine Stunde mit Studenten diskutiert hatte.

"Yes we Cohen": Kaum hatte der frühere Amsterdamer Bürgermeister Job Cohen seine Kandidatur für die Wahl in den Niederlanden bekanntgegeben, bildete sich bei Facebook eine Gruppe zu seiner Unterstützung. Die Plakate tauchten an einigen Stellen in Amsterdam auf. (Foto: Ronald Frederick)

Es läuft nicht richtig gut für Job Cohen, den langjährigen Bürgermeister von Amsterdam. Als er im März zum Spitzenkandidaten der PvdA (Partei für die Arbeit) gekürt wurde, war fast so etwas wie Euphorie zu spüren. In Amsterdam wurden Poster und T-Shirts im Obama-Stil verkauft. Bei Facebook bildete sich eine Gruppe namens "Yes we Cohen", doch seit Tagen stagniert die Mitgliederzahl bei 14.000 Mitgliedern .Cohen, der "Brückenbauer", wollte die politische Debatte in den Niederlanden beruhigen und integrieren.

Das Kalkül der Parteistrategen für die Wahl am 9. Juni war klar: Cohen sollte das Gegenmodell zu Geert Wilders bilden, jenem blondtoupierten Islam-Hasser, der mit seiner populistischen Partei für die Freiheit (PVV) und Forderungen nach einem Einwanderungsstopp zwischenzeitlich die Umfragen anführte.

Das klappte, solange die 16 Millionen Niederländer vor allem über Integration diskutierten - doch seit einigen Wochen dreht sich im Nachbarland alles um die Folgen der Finanzkrise und wo gekürzt werden muss. Und hier offenbart Cohen Schwächen: In einer TV-Sendung konnte er nicht sagen, wie viele Niederländer monatlich arbeitslos werden (6000) und kam in mehreren Debatten bei Zahlen aus dem Budget ins Stolpern.

Diese unklaren Aussagen haben auch die Zuhörer im holzgetäfelten Hörsaal in Leiden im Hinterkopf, ehe Cohen zu sprechen beginnt. "Ich möchte keine Anekdoten aus seiner Studienzeit hören, sondern wissen, wohin er das Land führen wird", sagt der 24-jährige Philip. Er studiert Jura an jener Hochschule, die einst der Philosoph Descartes besuchte und an der auch Job Cohen seinen Abschluss in Rechtswissenschaften machte. Er werde für eine der liberalen Parteien stimmen, bekennt Philip, doch auf Cohen sei er gespannt. Deswegen habe man den 62-Jährigen eingeladen, erklärt Organisatorin Hanna: "Viele sind neugierig, er stand bisher nicht so sehr im Rampenlicht."

Cohen, elegant im dunklen Anzug mit weißem Hemd und dunkelroter Krawatte, schwärmt nur kurz über seine Studentenzeit in der malerischen Grachtenstadt, sondern kommt nach drei Minuten zum Punkt: Bildung sei die wichtigste Voraussetzung für die Integration, Sprachkenntnisse unerlässlich. Aber er macht deutlich: "Wir dürfen nicht immer die Unterschiede betonen, sondern auch das, was uns verbindet." Viele Einwanderer arbeiteten hart und hätten keine Probleme mit der Polizei, betont Cohen und sendet seine Botschaft aus: Er werde "den Laden zusammenzuhalten".

Er präsentiert sich locker: Die linke Hand in der Hosentasche, die rechte hält das Mikrofon. Während der Fragerunde schlägt sich Cohen wacker: Es geht um die Finanzierung der Hochschulen, die Euro-Krise und um mögliche Koalitionen. Am leidenschaftlichsten wird er aber, wenn es um Geert Wilders geht. "Seine PVV behandelt nicht alle Menschen gleich, das widerspricht unserem Rechtsstaat", betont der Sozialdemokrat. Er sei bereit, mit allen anderen Parteien über eine Koalition zu reden.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum Geert Wilders Job Cohen als "Multikulti-Schmusebär" bezeichnet.

Die Abneigung ist beiderseitig: Geert Wilders, das 46-jährige Enfant terrible der niederländischen Politik, verspottet Cohen als "Multikulti-Schmusebär" und greift ihn am schärfsten in den TV-Debatten an. In einem Werbevideo der PVV sind Flugzeuge zu sehen, die angeblich täglich Tausende Migranten ins Land bringen, um es zu islamisieren und in Saus und Braus zu leben. Die Niederlande, so orakelt der Sprecher, hätten die Kontrolle über ihre Grenzen verloren.

Sie sind die ärgsten Widersacher: Der Sozialdemokrat Job Cohen (l.) und der Rechtspopulist Geert Wilders stehen nebeneinander in einem Fernsehstudio. Am 9. Juni wählen die Niederländer ein neues Parlament. (Foto: AFP)

"Kopftücher, Verbrechen, Burkas, Minarette, es hört nicht auf", heißt es weiter, bevor ein gähnender Job Cohen zu sehen ist. Die unterschwellige Botschaft: Dieser Mann interessiert sich nicht für die Probleme der kleinen Leute und kapituliere vor dem Islam. Man sieht Cohen beim Besuch einer Moschee und im Gespräch mit Muslimen. "Tee trinken ist nun das letzte, was wir brauchen", heißt es am Ende.

Ahmed Marcouch hat andere Erfahrungen gemacht: "Job Cohen hat eine entscheidende Rolle gespielt, um die Lage in Amsterdam nach der Ermordung von Theo van Gogh zu entspannen." 2004 war der Filmemacher in Slotervaart getötet worden, die Niederlande standen unter Schock. Marcouch kennt sich mit Integration aus: Er war von 2006 an der erste marokkanischstämmige Bürgermeister in den Niederlanden. Im Problemviertel Slotervaart sorgte er für Ruhe und Ordnung, zitierte die Eltern von Problem-Jugendlichen ins Rathaus und sprach mit klaren Worten die Probleme an.

"Wenn ein Jugendlicher kriminell war, habe ich das seinen Eltern gesagt", erklärt Marcouch im Gespräch mit sueddeutsche.de in Amsterdam. Der 41-Jährige hält nichts von Ausreden und Beschönigungen, sondern setzt auf Bildung und seine eigene Vorbildfunktion: Er kam als Zehnjähriger aus Marokko nach Amsterdam und lernte schnell die Sprache. Später ging er zur Polizei, bevor er in die Politik wechselte.

"Cohen hat meine Arbeit immer unterstützt, obwohl es am Anfang viel Kritik gab", erinnert sich Marcouch, der sich nun für die Sozialdemokraten um einen Platz im Den Haager Parlament bewirbt. Neben einer türkischstämmigen Staatssekretärin gibt er den Vorzeige-Muslim, ohne sich allzu diplomatisch zu verbiegen. "Cohen weiß, wovon er spricht, wenn es um Integration geht. Geert Wilders kennt keine Muslime und schiebt alles auf die Religion." Und Job Cohens Vorschlag, Burka-Trägerinnen das Recht auf Arbeitslosengeld zu entziehen, stieß auf breite Zustimmung. Marcouchs Fazit: Cohen habe viel mehr getan als nur Tee mit Imanen zu trinken. Er gebe den Einwanderern, etwa eine Million Menschen, das Gefühl, willkommen zu sein.

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"Cohen strahlt etwas Väterliches aus, er steht für Manieren und Anstand", erklärt Peter Kanne vom Meinungsforschungsinstitut TNS Nipo. Ähnlich urteilt Hubert Smeets von der Tageszeitung NRC Handelsblad: "Cohen wirkt altmodisch, als ob er mit einer Zeitmaschine in den Wahlkampf geraten sei." Der bisherige Amsterdamer Bürgermeister sei kein "Straßenkämpfer" und habe sich bislang nie im Wahlkampf bewähren müssen, so Smeets: Das Stadtoberhaupt wird von der Königin ernannt. Ihn erinnert Cohen ein wenig an Johannes Rau.

Fehlende Wirtschaftskompetenz

Im Gegensatz zu seinem Vorgänger Wouter Bos, der als Finanzminister die Banken rettete, verfügt Cohen kaum über Wirtschaftskompetenz und verhaspelte sich bei manchen Zahlen. Dabei müssen die Niederlande bis 2015 fast 30 Milliarden Euro einsparen, wie eine Expertenkommission berechnet hat. Dass die PvdA wiederholt ihr Wahlprogramm ändert - beim höheren Renteneintrittsalter ebenso wie beim Afghanistan-Einsatz - kommt bei vielen Wählern nicht gut an und liefert den Medien und der politischen Konkurrenz Steilvorlagen.

"In den Umfragen liegt Cohen noch vorne, wenn es um den Posten des Ministerpräsidenten geht", berichtet Peter Kanne. Allerdings, so interpretiert der Demoskop seine Daten, würden die bisherigen Schwachpunkte - fehlende Wirtschaftskompetenz und Führungsstärke - nun immer stärker auffallen.

Eigentlich sehnten sich die meisten Niederländer nach Ruhe und mehr Anstand in der Politik, doch zugleich sehen sie Wirtschaftsreformen als unvermeidlich an. Hier kann Cohen anders als die rechtsliberale VVD nicht viel bieten - gleiches gilt übrigens für seinen Widersacher Geert Wilders. Seine Ein-Mann-Partei PVV gelte in Wirtschaftsfragen als wenig kompetent.

Auch dass Wilders eine von Ökonomen erstellte Studie vorlegte, wonach die Niederlande jährlich 7,2 Milliarden Euro für Integration ausgeben, hat die Wähler kaum beeindruckt. Die PVV kommt in der TNS-Umfrage momentan auf 19 der 150 Sitze und könnte laut Kanne eher noch verlieren. Die PvdA von Job Cohen liegt bei 31 Sitzen.

Die Studenten in Leiden sehen die Lage ähnlich wie der Rest des Landes: Cohen erhielt freundlichen Applaus und musste für einige Erinnerungsfotos posieren. Während die Journalisten den Ex-Bürgermeister zu den jüngsten Änderungen im Parteiprogramm befragten, fasst Jura-Student Philip seine Eindrücke zusammen: "Ich finde ihn überzeugend und sympathisch, aber ich werde ihn nicht wählen."

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