Wahl in den Niederlanden:Die Nationalisten sind gebremst, aber nicht gestoppt

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Demonstranten in Berlin feiern das Wahlergebnis in den Niederlanden als ein gutes Zeichen für Europa. (Foto: AFP)

Die Wahl in den Niederlanden hat gezeigt: Die Menschen orientieren sich eher zur Mitte als zu den extremen Rändern. Doch die Pro-Europäer haben nur Zeit gewonnen.

Kommentar von Stefan Ulrich

Tod oder Gladiolen", sagten die alten Römer und der Fußballtrainer Louis van Gaal, wenn es um alles oder nichts ging. "Tod oder Gladiolen", das schien auch zu gelten, als die Niederländer jetzt ihre Abgeordneten wählten. Würde der europafreundliche, halbwegs moderate liberalkonservative Premier Mark Rutte gewinnen und mit ihm Europa? Oder würde der rechtsnationalistische Geert Wilders siegen und den Anfang vom Ende der EU einleiten? Doch am Donnerstag gab es dann weder Anlass zum Sterben noch für Schwertlilien. Zu ambivalent ist das Ergebnis der Wahl.

Der Hetzprediger Wilders ist mit seiner "Partei für die Freiheit" zweitstärkste Kraft im Parlament geworden, in das noch weitere stramm rechte Abgeordnete einziehen. Vor allem aber hat er durch seine aggressive Propaganda Parteien wie die regierenden Liberalkonservativen dazu gebracht, sich im Umgang mit Einwanderern zu radikalisieren. Das wirkt sich auf die ganze Gesellschaft aus.

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Allerdings hat Wilders in einer zersplitterten Parteienlandschaft nur 13 Prozent der abgegebenen Stimmen geholt. Das ist viel für eine Kraft, die den Islam verbieten und die EU verlassen will, ansonsten aber kaum ein Programm hat. Doch es ist nicht genug, um die liberale Demokratie zu gefährden. Wilders hat sich als Scheinriese erwiesen. Unter dem Eindruck des Brexit und der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten erschien er vielen wie der Gigant der Niederlande. Doch als es zur Wahl kam, schrumpfte er beträchtlich. Die nationalistische französische Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen erhält von Wilders keinen Schub. In den Niederlanden haben die Deiche gegen den Nationalpopulismus gehalten.

Trumps Gaga-Präsidentschaft schreckt Europakritiker ab

Interessanterweise trugen dazu zwei Männer bei, die selbst extreme Nationalisten sind. Das ist zum einen Trump, dessen Gaga-Präsidentschaft viele europa- und elitenkritische Menschen zum Zweifeln bringt, ob das Heil wirklich von fremdenfeindlichen Egomanen kommt. Und da ist zum anderen der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan, der die Niederlande im Streit um Wahlkampfauftritte türkischer Minister bösartig beschimpfte. Rutte nutzte dies, um sich als Staatsmann zu zeigen, der Erdoğan Grenzen setzt. Er demonstrierte so, dass sich die liberalen europäischen Demokratien nicht von Autokraten gängeln lassen. Es wäre gut, wenn dieses Beispiel Schule machte. Denn es entmutigt auf Dauer die moderaten Bürger, wenn deren Regierungen vor Männern wie Erdoğan kuschen.

Und noch eine Lehre hält die niederländische Wahl bereit: Die Angst vor den Rechtspopulisten ist teilweise überzogen. Diese stellen weder, wie sie gern behaupten, die "schweigende Mehrheit" noch das "wahre Volk" dar. Sie bilden vielmehr eine laute Minderheit, die nur einen Bruchteil des Volkes ausmacht. Die Mehrheit der Menschen orientiert sich eher zur Mitte als zu den extremen Rändern - auch wenn sie manches an der Flüchtlingspolitik, an der EU und beim Thema soziale Gerechtigkeit kritisiert. Daher ist in Frankreich, trotz dessen polarisierenden Wahlsystems, nun ein Mann der Mitte, Emmanuel Macron, der Favorit für die Präsidentschaftswahl. Und in Deutschland streiten sich zwei Moderate, Angela Merkel (CDU) und Martin Schulz (SPD), um die Kanzlerschaft.

Die Nationalisten sind gebremst, aber nicht gestoppt

Das heißt nicht, dass die EU beruhigt in alten Trott zurückfallen darf. Die Rechtsnationalisten sind bei der Präsidentenwahl im Dezember in Österreich und jetzt bei der Parlamentswahl in den Niederlanden gebremst worden. Doch gestoppt sind sie nicht. Vielmehr lauern sie auf die nächste Gelegenheit, wieder loszustürmen. Die Moderaten, die Pro-Europäer haben nur Zeit gewonnen, die Probleme anzugehen, welche die Bürger drücken.

Der demokratische, liberale Rechts- und Sozialstaat, welcher der EU als Leitbild dient, sollte seine Werte selbstbewusster betonen. Er muss offen sein für Flüchtlinge und sonstige Zuwanderer und zugleich die eigenen Regeln durchsetzen. Er muss die Meinungsfreiheit hoch-, aber diejenigen niederhalten, die diese Freiheit gefährden. Er muss die öffentlichen Haushalte sanieren und die Wirtschaft konkurrenzfähig für die Globalisierung machen, ohne die Gerechtigkeit, die soziale Sicherheit und die Würde der Bürger zu opfern.

Das alles erfordert ständige Selbstkorrektur, permanente Anpassung, stetigen demokratischen Streit über den richtigen Weg. Das ist schwer. Doch wer hat gesagt, dass es leicht wäre, Freiheit, Gerechtigkeit, Sicherheit und Wohlstand zugleich zu verwirklichen? Das Jahr der (Wahl-)Entscheidungen geht weiter. Für Gladiolen ist es zu früh. Über einen Strauß Tulpen aus Amsterdam aber darf sich Europa schon heute freuen.

© SZ vom 17.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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