Kommentar - Prantl über Bremen:Triumph im grünen Urland

CDU und FDP erleben bei der Wahl ein Desaster, die SPD schneidet passabel ab - und die Grünen glänzen: Bremen ist ein deutsches Biotop. Dort haben sich im Kleinen immer wieder politische Tendenzen fürs Große abgezeichnet. Sollte der Partei im Herbst bei der Wahl in Berlin der Hattrick gelingen, würde 2011 zum grünen Jahr: Schwarz-Rot-Gold-Grün.

Heribert Prantl

Immer wenn in Bremen gewählt wird, fällt dem übrigen Deutschland auf, dass Bremen so klein ist. Nun ja, es ist wirklich das allerkleinste der Bundesländer. Das hindert die Bremer nicht daran, auf ihr Land so stolz zu sein wie die Bayern auf ihres - nur dass Letztere sich nicht ständig dafür rechtfertigen müssen.

Dabei hat Bremen einiges aufzubieten: erstens eine Fußballmannschaft, die in der ewigen Bundesliga-Erfolgstabelle gleich hinter Bayern München kommt; zweitens eine Freiheitsstatue aus dem Jahr 1404, die also 482 Jahre älter ist als die von New York; drittens ein Nationalgericht, das in Bremen nicht Grün- sondern Braunkohl mit Pinkel heißt. Viertens die Bremer Stadtmusikanten.

Fünftens unglaublich hohe Schulden. Sechstens eine Partei, die diese Schulden gemacht hat - zusammen mit FDP, CDU und Grünen, die alle schon gemeinsam mit der bremischen Staatspartei SPD regiert haben.

Die Haushaltszahlen in Bremen sind so rot wie die Partei, die dort seit Jahrzehnten herrscht - und dies auch weiterhin tun kann, mit starker grüner Hilfe. Die Wahl in Bremen ist in etwa so gelaufen wie erwartet: desaströs für CDU und FDP, glänzend für die Grünen, passabel für die SPD. Die Wahlbeteiligung freilich ist noch schlechter als erwartet.

Die kapitalen Schulden gelten oft als ein Argument, Bremen abzuschaffen, es aufzulösen im großen Land Niedersachsen. Aber damit wären die Schulden nicht weg; und es gibt auch große Bundesländer mit gewaltigen Schulden. Natürlich kostet die Landesherrlichkeit Geld; die Bremer rechtfertigen diese Kosten gern mit dem Satz, dass die kleinen Bundesländer Lieblingskinder der Verfassung seien.

Das steht zwar nicht so im Grundgesetz, trotzdem steckt einige Wahrheit darin - weil es auch so etwas gibt wie ein mentales Kapital, also Traditionen und Identitäten, die einem Gemeinwesen Kraft geben. Zur bremischen Identität gehört neben dem Hanseatischen offenbar auch die SPD; sie ist, und dies macht ihr nicht einmal die CSU in Bayern nach, seit 66 Jahren ununterbrochen an der Regierung; daran ändert sich auch nach dem Wahlsonntag nichts. Bremen bleibt rot und wird immer grüner.

Bremen im Norden und Baden-Württemberg im Süden stehen für den historischen Erfolg der grünen Partei, die Anti-Parteienpartei war und jetzt die Partei ist mit dem meisten Potential - reich an Chancen, und noch reicher, zumal in Stuttgart, an Risiken. An der Weser sind die Grünen vor 32 Jahren zum ersten Mal in einen Landtag eingezogen. Bremen ist also grünes Urland. Baden-Württemberg ist grünes Neuland.

Eine Volkspartei neuen Typs

Es kann sein, dass die beiden Wahlerfolge im Süden und im Norden schon den Höhe- und Endpunkt des Erfolgs der Grünen markieren, es kann sein, dass sie in Stuttgart an der Quadratur von Stuttgart 21 scheitern, es kann sein, dass Regierungs-Missgeschicke dort einen grünen Hattrick in Berlin verhindern. Dort wird im September das Abgeordnetenhaus gewählt, und ein grüner Erfolg auch in der Hauptstadt würde dem Jahr 2011 einen historisch grünen Anstrich verschaffen: Es würde zum grünen Jahr, Schwarz-Rot-Gold-Grün.

Grünen-Spitzenkandidatin Linnert und Finanzsenatorin Karoline Linnert und die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Renate Künast

Grünen-Spitzenkandidatin Linnert und Finanzsenatorin Karoline Linnert und die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Renate Künast

(Foto: dapd)

Treibende Kraft in Bremen ist nicht die Opposition, es sind nicht die zerstrittenen Linken, nicht die dort saft-, kraft- und hilflosen Christdemokraten. Es sind die Grünen; sie profitieren nicht nur von einem generell ökologischen und atomkritischen Zeitgeist, sondern speziell von einer geschickten Arbeit als Regierungspartner der SPD in den vergangenen vier Jahren. Dass sie nicht mit der CDU koalieren wollen, schwächt sie nicht, sondern stärkt ihre Glaubwürdigkeit.

Die bremischen Grünen halten sich an die SPD, die in Bremen eine verspießerte Staatspartei ist. Aber die bremische SPD hatte und hat, das zeichnet sie aus, immer wieder Staatsmänner an der Spitze - und das haben die Wähler immer wieder honoriert. Da gab es einst, fünf Kabinette lang, Hans Koschnick; dann kam, bundesweit geachtet, Henning Scherf; ihm ist, soigniert, diszipliniert und sozial engagiert, Jens Böhrnsen nachgefolgt.

Er gilt, nicht nur im Norden, als Anti-Gabriel, als dessen sachlicher Gegentyp. Vor einem Jahr übernahm er als Bundesratspräsident nach dem Rücktritt von Horst Köhler für vier Wochen das Amt des Bundespräsidenten - mit einer bescheidenen Souveränität. Wenn die SPD selbst mit einem so guten Mann nicht zu einem Wahlergebnis kommt, das an alte Zeiten anknüpft, muss ihr das zu denken geben.

Bremen ist zwar das kleinste Bundesland, aber ein deutsches Biotop: Dort haben sich im Kleinen immer wieder politische Tendenzen fürs Große abgezeichnet. In Bremen begann der Aufstieg der Grünen. Dort zogen 2007 erstmals im Westen die Linken in ein Parlament ein. Dort wurde 1991, zum ersten Mal in den alten Bundesländern, eine Ampel-Koalition aus SPD, FDP und Grünen aufgestellt.

Bremen ist ein Experimentierfeld. Manchmal sind zwar die Einschätzungen voreilig, dass historisch sei, was dort passiert. Der Erfolg der Linken etwa war mitnichten schon der Durchbruch dieser Partei im Westen.

Die Erfolgsgeschichte der Grünen in Bremen freilich ist wirklich exemplarisch. In der neuen Bürgerschaft werden sie wahrscheinlich sowohl die jüngste Abgeordnete als auch den Alterspräsidenten stellen. Die Grünen sind eine Volkspartei neuen Typs.

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