Schon am frühen Sonntagmorgen, als Andreas Bovenschulte seine Stimme in einem Wahllokal abgibt, sieht er vergnügt aus. Er glaube, so sagt es der 57-Jährige in die Kameras, seine Partei könne wieder stärkste Kraft im kleinsten Bundesland werden. Wie sich später herausstellen wird, sollte der Amtsinhaber und SPD-Spitzenkandidat recht behalten. Um 18.12 Uhr kommt Bovenschulte zur SPD-Wahlparty, da bricht der Jubel in der "Ständigen Vertretung", einer Kneipe nahe dem Rathaus, aus. "Die Nummer eins in Bremen - das sind wir", schreit der Mann, den sie hier alle "Bovi" nennen, Applaus und Jubel brandet auf. "Ich werde weiter Bürgermeister sein, wir haben einen klaren Regierungsauftrag bekommen", ruft Bovenschulte seinen Genossinnen und Genossen zu. Er wolle in Bremen weiter, "eine Politik für alle Menschen machen, auch für die, die mich nicht gewählt haben." Er verspricht, "das ganze Land im Blick zu behalten".
Die SPD ist der klare Sieger bei der Bremer Bürgerschaftswahl. Fast 30 Prozent und damit bis zu fünf Prozentpunkte mehr als 2019 holte die SPD laut Hochrechnungen vom späten Sonntagabend und aus der Nacht - und das liegt auch an einem Wahlkampf, der komplett auf Bovenschulte zugeschnitten war. "Bovi-Power für Bremen" lautete sein Slogan, und die Analysen der Umfrageinstitute zeigen, dass das verfing. 76 Prozent der Bürger bescheinigten Bovenschulte gute Arbeit, 60 Prozent wünschten sich ihn auch als künftigen Regierungschef im Stadtstaat - und sie werden ihn bekommen. Eine Regierungsbildung ohne die SPD ist praktisch nicht möglich, was angesichts der Schmach von vor vier Jahren keine Selbstverständlichkeit ist.
2019 hatte erstmals in der Geschichte des Landes Bremen die CDU vorne gelegen. Die zweitplatzierte SPD war allerdings eine Koalition mit den Grünen und den Linken, die "R2G", eingegangen und hatte sich so trotzdem an der Macht halten können. Dieses Bündnis ist auch künftig möglich: SPD, Grüne und Linke in Bremen kommen laut Hochrechnung auf 50 Sitze in der Bürgerschaft, 44 reichen für die Mehrheit. Bovenschulte sagte zwar, er könne sich eine Fortsetzung dieser Koalition vorstellen, kündigte aber an, auch mit der CDU sprechen zu wollen. Man müsse sehen: "Was sind die Herausforderungen und wer kann die am besten gemeinsam schultern?"
Künftig wolle er mit seiner Partei die Themen Wirtschaft und Arbeit noch stärker in den Mittelpunkt rücken, kündigte Bovenschulte an. Das sei "die Grundlage, sozialen Zusammenhalt herzustellen und die anderen Politikfelder finanzieren zu können", so Bovenschulte, dessen zentrales Wahlkampfversprechen es war, "aus Bremen das wirtschaftsfreundlichste und zugleich arbeitnehmerfreundlichste Land der Republik zu machen". Damit begonnen hatte seine Regierung schon in den vergangenen vier Jahren: In keinem anderen Bundesland war 2022 das Wirtschaftswachstum so hoch wie in Bremen. Was aber auch stimmt: Nirgends sonst in Deutschland gibt es so viele von Armut bedrohte Kinder.
Solche Missstände hatte die CDU Bovenschulte im Wahlkampf immer wieder vorgeworfen, punkten konnte Spitzenkandidat Frank Imhoff damit aber offenbar nicht. Die Christdemokraten kommen auf circa 25,6 Prozent und landen klar hinter der SPD. Imhoff sagte, die CDU habe ihr Wahlziel verfehlt. Er bot Bovenschulte eine große Koalition an. Der 54 Jahre alte Landwirt und Präsident der Bremischen Bürgerschaft trat im Gespann mit der 27-jährigen Wiebke Winter an, die als "Luisa Neubauer der CDU" gilt, weil sie sich für vor allem in der Klimapolitik engagiert und junge Wähler ansprechen sollte. Deutlicher Wahlverlierer sind die Grünen mit nur noch etwa 11,8 Prozent; 2019 lagen sie noch bei gut 17 Prozent. Die grüne Spitzenkandidatin Maike Schaefer sagte, man müsse nicht schönreden, dass das "für uns ein enttäuschendes Ergebnis ist". Sie machte auch den "fehlenden Rückenwind aus Berlin" dafür verantwortlich - was Parteichef Omid Nouripour später zerknirscht einräumte.
Die Linke holte der Hochrechnung vom späten Sonntagabend zufolge ebenfalls circa elf Prozent und könnte damit sogar zu den Grünen aufschließen, was angesichts der schlechten Ergebnisse anderswo ein Erfolg ist. Die rechtspopulistische Wählervereinigung "Bürger in Wut" kam der Hochrechnungen zufolge auf etwa 9,4 Prozent; das sind sieben Punkte mehr als 2019. Die FDP liegt bei 5,2 Prozent und muss um den Einzug bangen. Sorgen sind das, die dem Wahlsieger Bovenschulte durch und durch fremd sind.
Am Freitagnachmittag hatte dieser Bovenschulte noch auf der Bühne am Bremer Marktplatz gestanden, ein Mikro in der Hand. "Stand by me", sang Bovenschulte, vor 1500 Menschen. Einer von ihnen war ein gewisser Olaf Scholz, der Bundeskanzler klatschte im Takt mit. Noch zwei Tage bis zur Wahl waren es da, SPD-Parteichef Lars Klingbeil begleitete Bovenschulte im weißen Hemd auf der Gitarre.
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Es war ausdrücklich keiner dieser Momente, in denen man sich als Zuschauerin schämt: Die beiden wussten, was sie taten. Bovenschulte zog vor seiner Politiker-Karriere als "Mucker" durch die Provinz, spielte Gitarre, Bass, sang. Niedersachsens SPD-Ministerpräsident Stephan Weil fing neben Scholz dann auch noch an zu tanzen. Die Stimmung bei der SPD konnte schon am Freitagnachmittag kaum besser sein - am Sonntag gab es dann die Bestätigung. "Wir haben mal wieder gewonnen", sagt ein Genosse Sonntagabend im Wahllokal grinsend in sein Handy.
Auf dem historischen Marktplatz in Bremen brannte am Freitag die Sonne vom Himmel, die Scharfschützen auf dem Dach des Rathauses trugen dunkle Brillen. Es war der Endspurt für den Amtsinhaber und Spitzenkandidaten Bovenschulte vor der Wahl - und die SPD hatte dafür ihre prominenteste Unterstützung geschickt. Bremen ist seit 1946 in den Händen der SPD; die Sozialdemokraten regieren dort länger als die CSU in Bayern. Ihre Hochburg wollten sie keinesfalls verlieren, und sie konnten zu Recht optimistisch sein. Schon die Umfragen hatten den Juristen Bovenschulte weit vor seinem CDU-Herausforderer Imhoff gesehen.
Die vergangenen vier Jahre regierte Bovenschultes Koalition nahezu geräuschlos das kleinste Bundesland. Aber es gibt auch Kritik, an Bovenschulte, aber auch an der SPD generell, wie man am Freitag sehen konnte. Eine Handvoll Störer hatte sich da auf dem Bremer Marktplatz hinter den Absperrungen der SPD-Veranstaltung versammelt. Sie brüllten immer wieder in Richtung Bühne "Scholz muss weg", "Kriegstreiber" und "Lügner", aus einer anderen Ecke schrie ein Mann immer wieder: "Wo ist mein Klimakanzler?" Scholz war seinen Gegnern energisch entgegengetreten, hatte die deutsche Unterstützung für die Ukraine mit Waffen nach dem russischen Angriffskrieg für seine Verhältnisse leidenschaftlich verteidigt. Mit dem Sieg in Bremen dürfte nun auch der Kanzler zufrieden sein