Wahl in Baden-Württemberg: Stefan Mappus:Nukleus der Angst

Der baden-württembergische Ministerpräsident ist bislang nur als Verfechter der Atomkraft aufgefallen. Wenn Stefan Mappus deshalb abgewählt wird, geht er in die Geschichte ein: als der Mann, der die Festung Baden-Württemberg für die CDU verloren hat.

Roman Deininger

Diese Halle ist so wie das Land einmal war, eine Festung der CDU. 5000 Menschen sind aufgestanden am Mittwochabend in der Arena Ludwigsburg. Ursula von der Leyen klatscht, Wolfgang Schäuble klatscht, Angela Merkel klatscht. Es ist der Applaus für einen Kämpfer vor der letzten Runde. Oben auf der Bühne hat Stefan Mappus seine Rüstung angelegt. Die Rüstung ist aus Statistiken geschmiedet: Niedrigste Arbeitslosigkeit! Größtes Wirtschaftswachstum! Meiste Exzellenz-Unis! Die Rüstung hat die CDU einst unverwundbar gemacht in Baden-Württemberg: Ein Land, dem es so gut geht, kann man nicht verlieren. Mappus könnte das schaffen. Die 5000 in Ludwigsburg stemmen sich gegen eine historische Niederlage.

Mappus waves after his speech at an election campaign meeting in Ludwigsburg near Stuttgart

Wahlkämpfer Mappus in Ludwigsburg: Angesichts des großen Widerstands in der Bevölkerung gegen das Bahnprojekt Stuttgart 21 und die Diskussion über die Atomenergie muss Baden-Württembergs Ministerpräsident Stefan Mappus am Sonntag mit einer Wahlniederlage rechnen.

(Foto: REUTERS)

Politik sei für Stefan Mappus ein Kampf, das sagen seine Gegner - und seine Freunde. Im Herbst lag er schon mal am Boden, der Bürgerzorn um Stuttgart21 hatte ihn niedergeworfen. Aber er rappelte sich wieder auf, vier Wochen vor der Wahl sahen ihn die Demoskopen wieder als Sieger. "Man muss stehen, wenn der Wind von vorne kommt", sagte er. Dann kam der Tsunami über Japan. Der Kämpfer taumelt seitdem. Die Demoskopen sagen, er wird stürzen. In der neuesten Forsa-Umfrage liegt Schwarz-Gelb bei 43 Prozent, Rot-Grün bei 48.

Mappus ist mit 43 Jahren Ministerpräsident geworden, seine Kritiker behaupten, er hätte nie ein anderes Programm gehabt als diese Karriere. Wirklich aufgefallen ist er in seinen 14 Monaten im Amt nur als Verfechter einer einzigen Sache: der Atomkraft. Der Mann, der immer stand, muss nun erklären, warum er sich plötzlich dreht. Zwei der vier Reaktoren in Baden-Württemberg hat er abschalten lassen, einen für immer. Die Angst der Menschen vor der Atomkraft ist der Kern seiner Angst vor der Niederlage.

Wenn Mappus am Sonntag abgewählt wird, geht er in die Geschichte ein als der Mann, der die Festung Baden-Württemberg für die CDU verloren hat nach 58 Jahren. Seine Partei hat sich in Ludwigsburg hinter ihm versammelt, aber diesen Augenblick der Einigkeit kann er wohl nur verlängern, wenn er gewinnt. Ohne Macht wird der Machtmensch die CDU kaum führen dürfen.

Mappus spricht von Baden-Württemberg wie andere von Amerika, von einem Land der Möglichkeiten. Hier hat es er, der Schustersohn aus Pforzheim, zum Ministerpräsidenten geschafft. Auch das gehört zu seiner Rüstung: die Heimat, die Tradition, der Glaube. Der Fleiß, die Disziplin, der Anstand. Die 5000 in Ludwigsburg warnt er vor der linken Gefahr, vor einer rot-grün-roten Regierung: "Wenn das kommt, machen die Baden-Württemberg platt."

Mappus gab sich immer als Politiker, der für seine Gewissheiten lebte. Jetzt sind manche dieser Gewissheiten erschüttert. Zum Beispiel die, dass es reicht, wenn alles bleibt, wie es ist. Die Verwandlung des Stefan Mappus ist eine Herausforderung für ihn, aber auch für die Wähler. Sie haben Mappus als Polarisierer kennengelernt, als einen, der gern weiter vorprescht, als es recht und klug zu sein scheint. Jetzt will er Versöhner sein, etwa im Konflikt um Stuttgart 21. Sie haben ihn als Atomlobbyisten kennengelernt, als einen, der dem Bundesumweltminister sagt, wo's lang geht, nämlich weiter mit der Kernkraft. Und jetzt?

Wenige Tage nach der Katastrophe von Fukushima stand Stefan Mappus am Rednerpult des Landtags. Stefan Mappus war jedenfalls angekündigt. Der Mann am Pult sagte, er sei nie ein "Atomideologe" gewesen. Und dass es nun vor allem um "die Ängste und Sorgen der Menschen" gehe. Nach dem neuen Mappus sprach Nils Schmid, der Spitzenkandidat der SPD. Schmid sagte: "Herr Mappus, wer soll Ihnen das abnehmen?"

"Da ändert sich die Denkweise"

Die Villa Reitzenstein, der Dienstsitz des Ministerpräsidenten, liegt auf einer Anhöhe über Stuttgart, der Landtag ist ein kleiner quadratischer Kasten von hier oben. Mappus empfängt in einem Salon bei Kaffee und Keksen. Er erzählt, wie er bei einer Podiumsdiskussion in einem Autohaus die ersten Fernsehbilder aus Japan sah. "Ein solches Unglück in einem Hochtechnologieland", sagt er, "da ändert sich die Denkweise schon". Und gerade weil er für die Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke eingetreten sei, empfinde er eine "persönliche Verantwortung" für die Energiepolitik nach Fukushima. Alles ist persönlich jetzt, die ganze Wahl ist eine persönliche Sache.

Es geht zwar angeblich um die ganz großen Fragen, um die Energiewende eben oder um Stuttgart 21. Aber am Ende geht es doch immer um Stefan Mappus. Die Demonstranten, die ihm überall hin folgen, schreien nicht: "Politikwechsel jetzt!" Sie schreien: "Mappus weg!" Sogar in die Festung Ludwigsburg hatten es ein paar Krawallmacher geschafft. Ihr Echo hallt durchs ganze Land.

Mappus ist dünnhäutig geworden deshalb, misstrauisch, wohl auch nervös. Wenn man ihn fragt nach seinem Rauhbein-Image, sagt er: "Den Ball gebe ich gerne weiter. Wer vermittelt denn dieses Bild? Ich schreibe weder Leitartikel noch Porträts." Er fühlt sich ungerecht behandelt, er redet nicht gern über seine Fehltritte wie die Attacke auf den Stuttgarter OB Schuster. Er erinnert stattdessen an den Sarg, den Bahnhofsgegner auf ein Plakat malten und darunter schrieben: "Wenn Mappus unter die Erde will, wir können ihm helfen." Er ist ein Bulle von Mann, aber auch Bullen sind verletzlich.

Seine Frau hat der Bunten gerade noch rechtzeitig vor der Wahl mitgeteilt, ihr Mann sei ein fröhlicher, witziger Mensch.

Er mag genau das sein, aber er war zu kurz im Amt, und es ist zu viel passiert in dieser kurzen Zeit, als dass sich Vertrautheit hätte bilden können bei den Bürgern, geschweige denn Vertrauen. Jetzt bleibt ihm nur seine Rüstung und da vor allem ein einziges Wort, das er vor sich herträgt wie einen Schild. Er packt es in jeden zweiten Satz, es ist die Chiffre für alles, an das er glaubt: "Baden-Württemberg". Mappus ruft: "So ist das in Baden-Württemberg!" Er ruft: "So geht das in Baden-Württemberg!" Man kann sich ausmalen, dass er abends zu Hause zur Familie sagt: "Ich dusche jetzt, so muss das sein in Baden-Württemberg!"

Die Beschwörungsformeln hatten noch einen volleren Klang, als Erwin Teufel regierte. Der war 14 Jahre der Landesvater, der aus Mappus bisher nicht geworden ist. Nun eilt er seinem Erben zu Hilfe, es ist eine schwierige Mission. Der politische Ziehsohn Mappus ist in der alten Welt aufgewachsen, in Teufels Welt. Jetzt muss er sich in der Neuen behaupten, der Welt der Atom- und Bahnhofsgegner. Am Ende seiner Auftritte sagt Teufel immer, die Wähler sollten sich an der Urne bitte nur eines fragen: "Möchten Sie in einer anderen Zeit oder in einem anderen Land leben als jetzt?" Sie haben sich das lange nicht vorstellen können, Teufel nicht und Mappus nicht. Aber die Menschen in Baden-Württemberg könnten tatsächlich wollen.

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