Wahl in Afghanistan:Farce am Hindukusch

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Statt die Demokratie zu stärken, hat die afghanische Präsidentenwahl zu einem Machtkampf geführt. Eigentlich ist eine Stichwahl nötig. Doch die birgt Logistikprobleme und Sicherheitsrisiken.

Tobias Matern

Es sollte ein Schritt zur Demokratie werden in einem instabilen, von Krisen und dem Aufstand der Taliban geschüttelten Land. Aber es war eher ein Schritt zurück: Die Präsidentschaftswahl in Afghanistan und die Auszählung der Stimmen hat sich zu einer gefährlichen Hängepartie entwickelt. Der Ausgang ist zwei Monate nach dem Urnengang noch immer ungewiss.

Noch hängen in Kabul die Plakate, die zur Wahl aufrufen. Doch angesichts des Chaos bei der Stimmenauszählung sind die meisten Afghanen enttäuscht von der Politik. (Foto: Foto: AP)

Zwar gab die von den Vereinten Nationen getragene Beschwerdekommission (ECC) am Montag in Kabul das Ergebnis ihrer Ermittlungen zu den massiven Betrugsvorwürfen bekannt - aber das Lager des Präsidenten will dies nicht akzeptieren. "Die Situation ist sehr verfahren, wir befinden uns in einem politischen Graben", sagte ein Beobachter in Kabul.

Nach Ansicht der ECC, deren Aufgabe es ist, Wahl-Unregelmäßigkeiten zu untersuchen, waren die Mauscheleien so massiv, dass Amtsinhaber Hamid Karsai offenbar nicht wie von afghanischer Seite bisher kolportiert in der ersten Runde eine absolute Mehrheit erzielt hat. Dies berichtete am Montag die britische BBC. Das offizielle Wahlergebnis gibt aber nicht die ECC, sondern die afghanische Wahlkommission bekannt, und die ist mit Vertrauten des Präsidenten besetzt.

Eigentlich müsste sich der Amtsinhaber laut afghanischer Verfassung einer Stichwahl gegen seinen Herausforderer Abdullah Abdullah stellen, wenn sein Resultat unter die 50-Prozent-Marke rutscht. Nach ersten Ergebnissen hatte er fast 55 Prozent erreicht. Doch Karsai verweigert sich offenbar, will die Erkenntnisse der ECC nicht akzeptieren.

Ein Vertrauter des Präsidenten hatte sich jüngst aus dem Gremium zurückgezogen, als sich abzeichnete, dass es die Legitimität des Wahlerergebnisses anzweifeln werde. Und ein ihm nahestehender Politiker hatte schon vor der Entscheidung am Montag in Kabul davon gesprochen, falls der Stimmenanteil auf unter 50 Prozent gedrückt werde, sei dies eine "politische Entscheidung".

Karsai fühlt sich unter Druck gesetzt

Die internationale Gemeinschaft sieht sich nun nicht nur dem massiven Aufstand der stärker werdenden Taliban ausgesetzt, sie muss sich auch darum bemühen, einen Ausweg aus der politischen Krise zu vermitteln. In den vergangenen Tagen waren bereits mehrere hochrangige westliche Vertreter in Kabul, um über die Möglichkeit zu diskutieren, eine Einheitsregierung in Afghanistan auf den Weg zu bringen.

Ein Beobachter in Kabul, der über die Vorgänge informiert ist, sagte, das Karsai-Lager fühle sich vom Westen massiv unter Druck gesetzt, Abdullah in sein Kabinett aufzunehmen. Demnach könnte der Rivale einen hohen Posten erhalten, um eine zweite Wahlrunde zu verhindern - was er bisher aber abgelehnt hat. Allerdings scheint das Land bereits jetzt extrem polarisiert zu sein: Sowohl im Süden, wo die meisten Menschen zur Ethnie der Paschtunen gehören und somit hinter Karsai stehen, als auch im Norden, wo Abdullah von den Menschen geradezu verehrt wird, gebe es bereits Drohungen, mit Gewalt auf das Wahlergebnis zu reagieren, wenn es den Erwartungen widerspreche, sagte ein afghanischer Journalist.

"Die Zeit ist nicht auf unserer Seite"

Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen sagte, die Situation müsse schleunigst geklärt werden. "Die Zeit ist nicht auf unserer Seite", sagte Rasmussen am Montag in Brüssel vor Journalisten unter Bezug auf die von der Nato geführte knapp 68.000 Soldaten starke Afghanistan-Schutztruppe Isaf. "Wir brauchen rasche Entscheidungen. Aber wir brauchen auch eine Sicherheit, dass wir eine stabile Regierung in Kabul haben, mit der wir zusammenarbeiten können und die von der Bevölkerung als glaubwürdig akzeptiert wird."

Der französische Außenminister Bernard Kouchner hatte am Wochenende Gespräche mit Karsai und Abdullah geführt und anschließend von der Bereitschaft eines "gemeinsamen Programms" gesprochen. Ihr Verhältnis sei "nicht so schlecht". Allerdings müsse auch die Stichwahl eine weitere Option bleiben.

Diese abzuhalten, wäre allerdings logistisch inzwischen ein Problem, weil der Winter am Hindukusch bevorsteht und in der Region so massiv ausfällt, dass in vielen Teilen des unterentwickelten Landes keine Wahl mehr abgehalten werden könnte. Zudem war die Sicherheitslage bereits beim ersten Urnengang so prekär, dass sich nur etwa ein Drittel der wahlberechtigten Afghanen an der Abstimmung beteiligt hatten.

Karsai muss die Korruption bekämpfen

"Die meisten Menschen werden nun noch weniger Interesse daran haben, ihr Leben aufs Spiel zu setzen für einen Wahlgang, bei dem vorher überhaupt nicht gewiss ist, ob er sauberer als die erste Runde ablaufen wird", sagte der politische Beobachter in Kabul, der darum bat, namentlich nicht genannt zu werden.

In dieser Situation sei es das beste für Afghanistan, keine Stichwahl abzuhalten, sondern eine Regierung zu bilden, in der auch Abdullah einen Posten bekommt. Dabei müsse sich der Westen bemühen, Karsai dazu zu bewegen, eine Führung zusammenzustellen, die aus Experten bestehe und Mittel gegen die grassierende Korruption findet. "Der Präsident muss der internationalen Gemeinschaft versichern, dass ihr Geld nicht verschwendet wird", sagte der politische Beobachter.

© SZ vom 20.10.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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