Wahl im Irak:"Der Wähler allein bestimmt den Fortgang"

Unter strengen Sicherheitsvorkehrungen haben die Wahllokale im Irak geöffnet - begleitet von Anschlägen mit Toten und Verletzten.

Thomas Avenarius, Bagdad

Das öffentliche Leben in Bagdad und dem Rest des Landes liegt bereits seit Samstag danieder: verschärfte Sicherheitsvorkehrungen, ein weitgehendes Fahrverbot und nächtliche Ausgangssperren. Dennoch hat der Wahlsonntag für die irakische Bevölkerung mit Terror und Schrecken begonnen.

Bei Bombenanschlägen und Granatenangriffen sind nach jüngsten Angaben 38 Menschen getötet und rund 110 weitere verletzt worden. Dies teilte das Innenministerium am Sonntagnachmittag mit. Das Terrornetzwerk al-Qaida hatte bereits vor den Wahlen gedroht, diese zu sabotieren.

Unterdessen schlossen um 15 Uhr (17 Uhr Ortszeit) die Wahllokale. 19,8 Millionen Stimmberechtigte waren aufgerufen, aus 6200 Kandidaten die 325 Abgeordneten im nationalen Parlament zu wählen. Die Kandidaten traten für insgesamt fast 300 verschiedene Parteibündnisse, Listen und Einzelparteien an.

Mit einem vorläufigen Wahlergebnis wird nach Angaben der Vereinten Nationen erst am 18. März gerechnet. Das offizielle Ergebnis dürfte Ende des Monats verkündet werden.

Der TV-Sender Al-Scharkia berichtete, in der Nähe eines Wahllokals im Stadtteil Karch habe sich eine Selbstmordattentäterin in die Luft gesprengt. Auch aus den Provinzen Anbar, Ninive und Salaheddin wurden Explosionen gemeldet. In Ninive wurden nach Attacken drei Wahllokale geschlossen. Der Nachrichtensender Al-Arabija meldete, im Nordosten von Bagdad seien bei einer Hausexplosion zwölf Menschen ums Leben gekommen. Dies wurde jedoch offiziell zunächst nicht bestätigt.

Adnan al-Schahmani, Kandidat der radikalen schiitischen Sadristen, entging einem Anschlag. Die streng bewachte so genannte "Grüne Zone", in der die Politiker wählen, wurde von vier Mörsergranaten getroffen. Dort wurde aber niemand verletzt.

Vor allem in den Siedlungsgebieten der Sunniten hatten Extremisten Flugblätter verteilt, auf denen sie jedem drohen, der sich an der Wahl beteiligt.

Ammar al-Hakim, Chef des hohen Islamischen Rates (ISCI), zeigt sich dennoch zuversichtlich, dass sich das irakische Wahlvolk nicht vom Urnengang abbringen lassen wird: "Diese Explosionen werden die Wähler nicht davon abhalten können, ihre Stimmen abzugeben."

Auch am Tag der irakischen Parlamentswahl ist indes völlig offen, wer der zukünftige Premierminister des Landes sein wird. Letzte Umfragen sprechen für die Unzufriedenheit der Wähler mit der Regierung von Premier Nuri al-Maliki und der mit ihm verbündeten religiösen Parteien der Schiiten.

Führungsstärke gesucht

Wegen der desolaten sozialen Lage nach sieben Jahren Krieg und bürgerkriegsartiger Gewalt könnte die säkularen Parteiliste "Irakiya" bei der Wahl daher knapp vorne liegen: Das Irakiya-Bündnis spricht sowohl weltlich orientierte Schiiten als auch die politisch im Aus stehenden Sunniten an. Und es wird mit Ex-Premier Iyad Allawi von einem Politiker geführt, der ähnlich wie Maliki von einem Image der Führungsstärke profitiert.

Wegen der Unzuverlässigkeit von Umfragen im Land halten viele Beobachter trotz eines leichten Vorteils für Irakiya ein relatives Patt bei der Wahl noch immer für wahrscheinlich.

Der Gleichstand einiger großer politischer Bündnisse entlang der 20-Prozent-Marke also: Die Abstimmung, die zweite Parlamentswahl seit dem Sturz des Saddam-Regimes, könnte damit der Startschuss sein für einen wochenlangen Verhandlungspoker zwischen den konfessionell oder säkular organisierten Parteienlisten um die Person des neuen Regierungschefs. Obwohl Malikis Regierung das Land als Übergangsregierung weiter verwalten würde, könnte der Irak damit politisch für längere Zeit gelähmt sein.

Die Schiiten-Parteien, die großteils islamistisch orientiert sind und die Wahlen 2005 klar gewonnen hatten, hätten die Abstimmung eigentlich auch diesmal dominieren müssen: Die Schiiten bilden die Bevölkerungsmehrheit im Irak. Sie haben bei dieser Wahl allerdings einen klaren Nachteil: Ihre Parteien treten zerstritten an.

Ál-Hakim, als Chef des ISCI einer der wichtigsten Parteiführer der Schiiten, hält sich daher notgedrungen alle Optionen offen. Er nennt eine Zusammenarbeit mit den populärer gewordenen säkularen Parteien bei der Bestimmung des neuen Premierministers für möglich: "Es geht nicht um Ideologien, es geht um Programme", sagte er der Süddeutschen Zeitung in Bagdad. "Wir wollen einen starken Irak aufbauen. Jeder, der bei der Wahl das Vertrauen der Iraker gewinnt, ist uns willkommen."

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie Premier al-Maliki das Bündnis der schiitischen Parteien geschwächt hat.

"Der Wähler allein bestimmt"

Hakim hat keine Wahl: Obwohl seine eigene Partei mit einigen Ministern in Malikis Regierung sitzt, hat der Regierungschef selbst sich mit seiner schiitischen Dawa-Partei aus dem Bündnis mit ISCI und den ebenfalls schiitschen Sadristen abgesetzt.

Maliki hatte seine islamistische Dawa-Partei aus der großen Schiitenliste "Nationalen Allianz" herausgelöst - und präsentiert sich dem Wähler stattdessen seit längerer Zeit unverdrossen als weltlicher Politiker mit einer harten Hand in Sicherheitsfragen und einer nationalistischen Agenda.

Hakim sagt: "Wir haben uns bemüht, alle schiitischen Gruppen gemeinsam auf einer gemeinsamen Liste zu versammeln. Aber Malikis Dawa-Partei hat es bevorzugt, auszuscheren. Es ging weniger um Inhaltliches als den Wunsch der Dawa, alleine zu stehen."

Lage der Bevölkerung bessert sich nicht

Der Alleingang Malikis hat die ISCI-Schiiten verärgert und ihnen geschadet: Bei den Provinzratswahlen 2009 hatte die Iran-freundliche Partei enttäuschend abgeschnitten. Maliki hingegen konnte zulegen. Ob sich dieser Trend ändern wird, ist offen.

Nach den jüngsten Terroranschlägen mit Dutzenden von Toten dürften die Wähler dem Regierungschef nicht mehr ohne weiteres abnehmen, dass er der Einzige ist, der dem Land Sicherheit bringen kann. Vor allem aber halten sie ihm über alle religiösen Bruchlinien im Land hinweg vor, dass sich die soziale Lage nicht bessert - trotz des Ölreichtums und der ins Land gepumpten US-Hilfe.

Von diesem Unmut können die großen Schiitenparteien nicht automatisch profitieren: Sie sitzen mit Maliki in der Regierung. Weshalb Hakim gewunden formuliert: "Wir sind von der Leistung einzelner Ministerien und ihrer Vertreter enttäuscht."

Hakim äußert seine Kritik an Maliki nur verschleiert: "Unser Staat muss gezielt seine Institutionen stärken. Dabei ist es notwendig, dass alle Institutionen und nicht nur ein Verfassungsorgan ausgebaut wird."

Was der Schiiten-Führer meint, ist klar: Der Regierungschef hat seine Energie auf den Aufbau der Sicherheitskräfte konzentriert - vor allem auf die neue irakische Armee. So konnte er sein Image als Garant der öffentlichen Sicherheit pflegen. Hakim sagt: "Viele denken, dass Maliki weniger die Institutionen aufbaut als seine eigene Person stärkt."

Führungsrolle im Schiitenbündnis umkämpft

Der ISCI-Chef hat aber noch andere Unwägbarkeiten zu berücksichtigen. Auch innerhalb seines schiitischen Bündnisses der "Nationalen Allianz" kann er sich der Führungsrolle nicht länger sicher sein. Mit im Boot sitzen die Sadristen, eine weit radikalere Schiitengruppe, deren bewaffneter Arm während der bürgerkriegsartigen Zustände 2005 bis 2008 vor allem die sunnitische Minderheit terrorisiert, aber auch gegen die US-Truppen und gegen die irakischen Sicherheitskräfte gekämpft hatte.

Unter der Führung des Klerikers Muqtada al-Sadr haben sich die Sadristen 2008 nach einer blutigen Offensive Malikis fürs erste für ein politisches Vorgehen entschieden. Als "Partei der Freien" treten sie an und könnten vor allem in der schiitischen Unterklasse viele Stimmen bekommen und so dem ISCI die Führungsrolle im Schiitenbündnis streitig machen.

Hakim, vor der Wahl zum Taktieren in alle Richtungen gezwungen, sagt über seine innerschiitischen Konkurrenten: "Wir treten in einem Bündnis an. Unsere gemeinsamen Stärken übertreffen unsere Differenzen." Auch was den zukünftigen Premierminister angeht, bei dessen Benennung die Sadristen möglicherweise nach der Abstimmung mehr zu sagen haben könnten als seine eigene ISCI-Partei, hält er sich daher alle Türen offen: "Es sind einige Namen im Gespräch. Aber jetzt müssen wir die Ergebnisse der Wahl abwarten. Der Wähler allein bestimmt den Fortgang."

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