Davon kann die SPD anderswo nur träumen: Trotz Stimmenverlusten sind die Sozialdemokraten klare Sieger der Bürgerschaftswahl in Hamburg. Mit 39 Prozent wurden sie laut der vereinfachten Auszählung der Stimmen für die Landeslisten von 23.10 Uhr mit Abstand stärkste Partei im Stadtstaat. Da die zweitplatzierten Grünen mit 24,2 Prozent ihr Ergebnis von 2015 fast verdoppelten, verfügt die bundesweit einzige rot-grüne Koalition auf Landesebene über eine sichere Mehrheit. Am Wahlabend erklärte sich der Erste Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) zur Fortsetzung des Bündnisses als "naheliegende Option" bereit. Über das Ergebnis sagte er auf der Wahlparty: "Was für ein großartiger Abend."
Für die SPD war es das erste Erfolgserlebnis nach einer Serie deprimierender Wahlniederlagen in Bund und Ländern. Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) erhofft sich "einen Push für die SPD im Bund". Jubel gab es auch bei den Grünen, die zwar Juniorpartner bleiben, ihr Abschneiden aber als "sensationell" feierten, so Spitzenkandidatin und Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank.
Die Linke verbesserte sich von 8,5 auf 9,1 Prozent. Eine verheerende Schlappe erlitten dagegen Christdemokraten und Liberale. Die CDU, die 2008 noch auf stolze 42,6 Prozent gekommen war, fuhr mit nur 11,2 Prozent ihr schlechtestes Ergebnis in der Hansestadt ein (2015 waren es 15,9 Prozent, die schon als Desaster galten). In Berlin sagte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU): "Das Ergebnis muss uns alle ein Stück wachrütteln."
Die FDP wiederum, die vor fünf Jahren 7,4 Prozent erreicht hatte, verlor fast ein Drittel der Stimmen und muss, da sich die Auszählung weiterer Stimmen noch in den Montag hineinzieht, um ihren Wiedereinzug in die Bürgerschaft bangen, zuletzt stand sie bei 5,0. Offenbar hat der Ärger der Wähler über das Verhalten von FDP und CDU in Thüringen bis nach Hamburg abgefärbt. Beiden Parteien dürfte die Wahl des FDP-Manns Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten mit den Stimmen von CDU und AfD geschadet haben.
Wegen der dadurch ausgelösten Querelen hatte CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer einen starken Autoritätsverlust erlitten und ihren Rückzug angekündigt. Seitdem streitet die Partei über die Nachfolge und ihre Ausrichtung. Generalsekretär Paul Ziemiak sprach von einem "bitteren Tag für die CDU". Die "Vorgänge in Thüringen haben nicht geholfen", sagte er. In Hamburg hatten CDU und Liberale aber auch Probleme gehabt, ein zündendes regionales Wahlkampfthema an die Leute zu bringen.
Auch der AfD scheint die - von ihr ausgelöste - Thüringer Krise geschadet zu haben. Sie verlor an Zustimmung und kam mit 5,3 Prozent knapp über die Fünf-Prozent-Grenze. Ihr Spitzenkandidat Dirk Nockemann sprach vom "Ergebnis einer maximalen Ausgrenzungskampagne" gegen seine Partei.
Schon der Wahlkampf in Deutschlands zweitgrößter Stadt hatte im Schatten des Thüringer Konflikts um eine Regierungsbildung gestanden. Noch am Wochenende war es zu neuem Streit gekommen, weil sich prominente Vertreter der Bundes-CDU wie Friedrich Merz und Jens Spahn scharf gegen den Plan der Thüringer Landtagsfraktion aussprachen, einer rot-rot-grünen Minderheitsregierung bis zu Neuwahlen bei bestimmten Projekten wie dem Haushalt zu Mehrheiten zu verhelfen.
Hamburgs CDU-Spitzenkandidat Marcus Weinberg machte die "bundesweiten Ereignisse" mitverantwortlich für das Debakel im Stadtstaat: "Der Orkan der letzten Wochen aus Thüringen, der hat uns noch mal ganz schön durchgerüttelt." In Hamburg wäre nun also eine Fortsetzung der seit 2015 amtierenden rot-grünen Koalition leicht möglich. Wie Tschentscher leitete auch die grüne Spitzenkandidatin Fegebank aus dem Ergebnis ab, "dass es so weiter gehen soll", das sagte die Politikerin in der ARD.
Grünen-Parteichef Robert Habeck wertete das Wahlergebnis als klaren Auftrag an SPD und Grüne, ihre Koalition fortzusetzen. "Wenn die SPD sich anders entscheiden würde, würde ich ganz schön dumm gucken", sagt Habeck im ZDF. Rein rechnerisch wäre auch ein Bündnis von SPD und CDU möglich, doch gilt eine solche Option als höchst unwahrscheinlich.
Tschentscher hatte die Hamburger SPD erstmals als Spitzenkandidat in die Wahl geführt. Wie sein Landesverband gilt er als wirtschaftsnah, er hatte jedoch mit Slogans wie "Grüner wird's nicht" auch auf das Thema Klimaschutz und auf junge Wähler gesetzt. Sein Sieg wäre womöglich noch deutlicher ausgefallen, wäre Tschentscher nicht auf der Zielgeraden durch Berichte über angeblich nicht eingeforderte Steuerrückforderungen gegenüber der im "Cum-Ex"-Skandal unter Verdacht stehenden Warburg-Bank unter Druck geraten. Tschentscher wies den Vorwurf der politischen Einflussnahme zurück.
Die Hamburger hatten die Wahl zwischen 15 Parteien, die Wahlbeteiligung lag mit 63,3 Prozent deutlich höher als 2015 (56,5). Wähler konnten auf der Landesliste und den Wahlkreislisten je fünf Stimmen vergeben und diese beliebig auf Parteien und Personen verteilen oder anhäufen. Dieses System macht die Auszählung komplizierter. Das vorläufige amtliche Endergebnis wird daher erst für Montagabend erwartet. Die Wahlbehörde gibt die endgültigen Zahlen aber erst am 11. März bekannt.