Süddeutsche Zeitung

Wahl in Griechenland:Keine Angst mehr vor dem finanziellen Nichts

Die Hinterlassenschaften der Regierung Tsipras erlauben dem Nachfolger Mitsotakis keine Schonfrist. Doch die Voraussetzungen für einen Neuanfang sind gut.

Kommentar von Christiane Schlötzer, Athen

Für Griechenland gilt, was man auch aus anderen Fällen im Leben kennt: The winner takes it all. Der Sieger bekommt das Glück auch noch hinterhergeworfen. Nach dem griechischen Wahlrecht erhält die Partei mit den meisten Stimmen 50 Sitze Zuschlag. Das gibt dem neuen konservativen griechischen Regierungschef Kyriakos Mitsotakis eine komfortable absolute Mehrheit von 158 Stimmen im 300-köpfigen Abgeordnetenhaus in Athen. Diesen großzügigen Bonus hatte Mitsotakis' linker Vorgänger Alexis Tsipras eigentlich abgeschafft, aus Gründen der Gerechtigkeit. Aber das gilt erst für die nächste Parlamentswahl. Vermutlich werden die Konservativen das Wahlrecht davor wieder ändern, um für möglichst lange Zeit an der Macht zu bleiben.

Dass das Ergebnis für Mitsotakis - Zugabe hin oder her - mit fast 40 Prozent der Stimmen so deutlich ausfiel, darf sich der Premier auch als persönlichen Erfolg anrechnen. Der 51-Jährige ist liberaler als die alte Garde seiner Partei Nea Dimokratia. Die ND hat Griechenland einst mit in die Krise geführt, indem sie den Staat über seine Verhältnisse leben ließ. Mitsotakis hat die Partei für neue Leute geöffnet, er schätzt stille Macher mehr als laute Ideologen. Dass er aus einer alten Politikerdynastie kommt, hat ihm bei traditionellen Wählern eher genutzt als geschadet. Die politischen Wurzeln seiner Familie aus Kreta reichen bis ins 19. Jahrhundert zurück. Ein Großonkel regierte das Land Anfang des 20. Jahrhunderts. Mitsotakis' Vater war auch schon Premier.

Im Wahlkampf hat der ND-Chef viele Hoffnungen geweckt: dass er die Wirtschaft beleben und die hohen Steuern wieder senken kann. Mitsotakis war zwar vorsichtig genug, nicht allen das Blaue vom Himmel zu versprechen, aber viele, die ihm jetzt ihr Vertrauen geschenkt haben, wollen gewiss bald Ergebnisse sehen.

Das Erbe, das ihm sein linker Vorgänger hinterlässt, erlaubt ohnehin keine Schonfrist. Griechenland konnte unter Tsipras zwar aus dem Schatten des europäischen Rettungsschirms treten, aber die Kreditgeber haben immer noch ein Auge auf Athen, sie kommen regelmäßig zu Kontrollgängen. Von ihrem Urteil hängt ab, ob Athen zum Beispiel mit den Gewinnen der Europäischen Zentralbank aus griechischen Staatspapieren rechnen kann. Mitsotakis will das Parlament über die Sommerpause hinweg arbeiten lassen. Das ist auch nötig, weil keineswegs gewiss ist, dass Griechenland 2019 den von der EU verlangten Haushaltsüberschuss von 3,5 Prozent erwirtschaften wird. Die Steuereinnahmen blieben zuletzt hinter den Erwartungen zurück, das Wachstum ist zu gering. Tsipras hat vor der Wahl eine "soziale Dividende" verteilt, Geld für Rentner vor allem, und die Mehrwertsteuer gesenkt.

Auch Konservative geben zu, dass die Linke in ihren viereinhalb Regierungsjahren versucht hat, die sozialen Kosten der Finanzkrise zu mildern. Dass Tsipras nun trotzdem für die Krisenjahre "büßen" musste, wie er selbst sagte, hat viele Gründe. Er hatte den Griechen einen weit weniger schmerzhaften Weg aus der Krise versprochen. "Naiv" sei er anfangs gewesen, was die Verhandlungen mit den Geldgebern betrifft, hat er jüngst gesagt, und dass er zuerst die falschen Leute für sein Kabinett gewählt habe. Das zielte auf Ex-Finanzminister Yanis Varoufakis, den Tsipras nach gut fünf Monaten aus der Regierung warf. Tsipras machte Varoufakis für den Konfliktkurs mit der EU verantwortlich. Der hat nun persönlich Rache an Tsipras genommen und mit einer linken Partei Syriza Konkurrenz gemacht. Er schaffte es knapp ins Parlament.

Tsipras schnitt aber trotz allem besser ab, als seine Partei befürchtet hatte. Er präsentierte sich als Verlierer mit erhobenem Haupt und gratulierte geradezu gelassen seinem Nachfolger. Denn mit dem Ergebnis von 31,5 Prozent ist Syriza auch weiterhin die einzige wirkliche Alternative zu den Konservativen.

Zu den Hinterlassenschaften von Syriza gehört eine weitgehend geordnete Außenpolitik. Die linke Regierung hat - entgegen vielen Erwartungen - das Verhältnis Griechenlands zu den USA und zu Israel verbessert. Die griechische Linke pflegte lange einen habituellen Antiamerikanismus. Mit dem Namensabkommen mit Nordmazedonien hat Tsipras Schluss gemacht mit einer ideologischen Altlast. Davon wird Mitsotakis profitieren, auch wenn seine Partei das Abkommen heftig bekämpft hat. Es öffnet den Nachbarn den Weg in die EU und baut Spannungen auf dem Balkan ab.

Zu den Lasten der Tsipras-Regierung gehört die politische Instrumentalisierung der Justiz. Deutlich wurde dies etwa bei der kafkaesken Verfolgung des früheren Statistikchefs Andreas Georgiou, dem man unterstellte, er habe Griechenlands Defizit "künstlich" erhöht. Solche Obsessionen sollte die neue Regierung beenden. Sie muss nicht mehr befürchten, dass Griechenland aus der Euro-Zone oder ins finanzielle Nichts fällt. Das ist eine gute Voraussetzung für einen Neuanfang.

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SZ vom 09.07.2019/bepe
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