Georgiens Präsidentin Salome Surabischwili hat die Parlamentswahl in ihrem Land als durchgehend gefälscht bezeichnet. Sie erkenne das Ergebnis nicht an, sagte sie in Tiflis und rief für Montag zu Protesten auf.
In der an Russland grenzenden Südkaukasusrepublik streiten die prowestliche Opposition und die nationalkonservative Regierungspartei über das vorläufige Ergebnis der Parlamentswahl. Sowohl die Partei des reichsten und mächtigsten Mannes des Landes, Bidsina Iwanischwili, als auch die proeuropäische Opposition beanspruchen den Sieg für sich.
Das Land am Schwarzen Meer hat 3,7 Millionen Einwohner und ist seit Ende 2023 EU-Beitrittskandidat. Der Beitrittsprozess liegt aber wegen umstrittener Gesetze auf Eis. Die traditionell gespaltene und mit mehreren Wahlbündnissen angetretene Opposition befürchtet, dass sich Georgien unter Führung des in Moskau reich gewordenen Oligarchen Iwanischwili noch stärker dem großen Nachbarn Russland zuwendet und endgültig von seinem EU-Kurs abkommt.
Die von ihm gegründete Regierungspartei Georgischer Traum versprach im Wahlkampf hingegen Frieden und Stabilität - und schürte Ängste vor einem Krieg mit Russland, sollte die Opposition gewinnen.
Iwanischwili macht die Vereinte Nationale Bewegung von Expräsident Saakaschwili für den Krieg mit Russland im Jahr 2008 verantwortlich, in dessen Folge Moskau die abtrünnigen georgischen Gebiete Abchasien und Südossetien als unabhängige Staaten anerkannte. So verlor Georgien 20 Prozent seines Staatsgebiets. Iwanischwili kündigte mehrfach an, die Partei verbieten zu wollen, sollte seine Partei bei der Wahl eine Zweidrittelmehrheit im Parlament erlangen. Wahlrechtsexperten hatten schon im Vorfeld einen Missbrauch staatlicher Ressourcen durch die Regierungspartei beklagt.
Oppositionsbündnisse wollen um Sieg kämpfen
Die Wahlkommission hat die Regierungspartei zur Siegerin erklärt. Der Georgische Traum kam nach Auszählung fast aller Wahlzettel auf 54,09 Prozent der Stimmen, wie Wahlleiter Giorgi Kalandarischwili am Sonntagmorgen in Tiflis mitteilte. Nach Auszählung der Stimmen aus 99,6 Prozent der Wahlbezirke fehlten noch einige aus dem Ausland, sagte er. Das vorläufige amtliche Endergebnis stehe deshalb noch aus.
Mehrere proeuropäische Oppositionsbündnisse erkennen dieses vorläufige Ergebnis nicht an und haben Proteste angekündigt. Iwanischwili präsentierte sich schon kurz nach Schließung der Wahllokale bei einer Feier mit seinen Anhängern und Feuerwerk in Tiflis als Sieger, ohne dass aussagekräftige Ergebnisse vorlagen. Das Oppositionsbündnis mit den meisten Stimmen will aus Protest seine Mandate nicht antreten. „Wir werden dem Stimmendiebstahl am georgischen Volk keine Legitimität verleihen, wir geben unsere Parlamentsmandate ab“, sagte Nana Malaschchia von der Koalition für Wandel laut Medienberichten.
Georgien:Wovor habt ihr mehr Angst?
Georgien wählt ein neues Parlament. Die Regierungspartei behauptet: Wer gegen sie und ihre Russland-Nähe stimmt, entscheidet sich für Krieg und Zerstörung. Und die Opposition fürchtet um den Weg nach Europa. Über ein Land am Scheideweg.
Die oppositionsnahe proeuropäische Staatspräsidentin Salome Surabischwili hingegen verkündete nach Veröffentlichung der ersten Prognosen, dass die in die EU strebenden Parteien auf 52 Prozent der Stimmen gekommen seien. Sie berief sich dabei auf Nachwahlbefragungen des US-Instituts Edison, das eine Niederlage der Regierungspartei vorhergesagt hatte.
Die prowestlichen Oppositionsbündnisse erkennen die offiziellen Ergebnisse nicht an und wollen um den Sieg kämpfen. Sie sind zwar untereinander zerstritten, haben als gemeinsamen Nenner aber das Ziel, den 68 Jahre alten Milliardär Iwanischwili loszuwerden und einen EU-freundlichen Kurs einzuschlagen. Die Wahlleitung habe nur Iwanischwilis Befehlen gehorcht, sagte die Chefin der Partei Vereinte Nationale Bewegung von Expräsident Michail Saakaschwili, Tinatin Bokutschawa. Ein Aktionsplan der Regierungsgegner werde abgestimmt.
„Verfassungsrechtlicher Staatsstreich“
„Die Wahlen sind der Opposition gestohlen worden. Dies ist ein verfassungsrechtlicher Staatsstreich und ein Missbrauch der Macht“, sagte Nika Gwaramia von der Koalition für den Wandel. Die Wahl sei gefälscht worden nach einem komplizierten technologischen Schema. Details nannte er nicht.
Der georgische Regierungschef Irakli Kobachidse wiederum hat Vorwürfe einer Wahlfälschung zurückgewiesen. Jede Anschuldigung, dass die Wahl im Zuge der elektrischen Stimmauszählung manipuliert worden sei, sei zum Scheitern verurteilt, sagte Kobachidse. „Unser Sieg ist offensichtlich“, sagte er.
In dem Land waren Hunderte Wahlbeobachter von Dutzenden verschiedenen Nichtregierungsorganisationen im Einsatz. Die vorläufigen Wahlergebnisse spiegelten nicht den Willen der Wähler wider, hieß es in einer Erklärung des proeuropäischen NGO-Bündnisses Myvote, die auch von der georgischen Stelle der bekannten Antikorruptionsorganisation Transparency International verbreitet wurde.
Am Sonntagnachmittag beklagte auch die Mission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE) unter anderem Fälle von Einschüchterung der Wähler, Druck auf Behörden, Gewalt gegen Beobachter, Stimmenkauf sowie Mehrfachabstimmungen und das Stopfen von Wahlzetteln in Urnen. Die 500 Wahlbeobachter der OSZE in Tiflis forderten eine Untersuchung der Fälle und mahnten weitere demokratische Reformen an.
Höhere Wahlbeteiligung als noch 2020
Zugleich lobte Missionschef Pascal Allizard die „demokratische Vitalität“ – trotz einzelner Rückschritte. Insgesamt gab es 18 Wahlmöglichkeiten auf den Stimmzetteln. Die Abstimmung sei insgesamt gut organisiert gewesen, sagte der Franzose. Auch andere Beobachter hoben hervor, dass die Zivilgesellschaft stark präsent gewesen sei, um die Stimmabgabe und die Auszählung zu kontrollieren.
Insgesamt waren rund 3,5 Millionen Georgier im In- und Ausland zur Stimmabgabe aufgerufen. Die Wahlbeteiligung lag nach vorläufigen Angaben bei rund 59 Prozent – drei Prozentpunkte höher als noch 2020.
EU wirft Georgiens Regierung antieuropäischen Kurs vor
Die OSZE-Beobachter zeigten sich besorgt über die von der EU und den USA kritisierten neuen autoritären Gesetze des Landes und die insgesamt polarisierte Lage. Das Land stehe nach negativen Tendenzen der vergangenen Monate am Scheideweg, hieß es.
Die EU wirft der Führung des Landes einen antieuropäischen Kurs vor und hat den Beitrittsprozess auf Eis gelegt. So hatte die Regierung trotz massiver Proteste Gesetze durchgesetzt, wie es sie ähnlich auch in Russland gibt – darunter eines zur Kontrolle der Finanzierung von Nichtregierungsorganisationen und Medien aus dem Ausland, das angebliche Einflussnahme von außen verhindern soll. Auch die Rechte von Schwulen, Lesben und anderen sexuellen Minderheiten wurden beschnitten – zum Wohlgefallen der georgisch-orthodoxen Kirche, die in Georgien weiter großen Einfluss hat.