Wahl des Bundespräsidenten:Papa gegen Pathos

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Joachim Gauck hat bei der Wahl zum Bundespräsidenten gegen Christian Wulff wohl keine Chance. Doch selbst wenn Merkels Kandidat gewählt wird: Den erhofften Befreiungsschlag für die Kanzlerin wird das nicht bringen.

Hans Werner Kilz

Wenn die Wahl des Bundespräsidenten am Mittwoch so ausgeht, wie sie nach Adam Ries ausgehen müsste, dann wird der bestbewachte Kinderhort künftig im Schloss Bellevue sein, dem herrschaftlichen Sitz des deutschen Staatsoberhauptes. Christian Wulff, der Kandidat von CDU/CSU und FDP, hat angekündigt, er werde in seinem Amtszimmer seinem jüngsten Sohn, dem zwei Jahre alten Linus Florian, eine Spielecke einrichten, um ihn in seiner Nähe zu haben.

Der routinierte Berufspolitiker Christian Wulff (li.) oder doch der furchtlose Quereinsteiger Joachim Gauck: Wer wird neuer Bundespräsident? (Foto: online.sdeauto)

Das macht sich gut: Ein junger Staatsbürger, der vor der Deutschland-Flagge die Legosteine türmt, das suggeriert Nähe zur Familie und Nähe zum Volk. Denn Väter, die auch in hohen politischen Ämtern die Familie nicht vergessen, so etwas mögen die Leute.

Umso trauriger für Wulff, dass ihm die Papa-Pose gar nichts nutzt. Die Leute mögen ihn nicht, sie hätten viel lieber seinen Gegenkandidaten, den Rostocker Pastor Joachim Gauck, zum Bundespräsidenten. Wulff wirkt langweilig, wie ein routinierter Berufspolitiker, ohne Ecken und Kanten, guckt immer sehr lieb und redete schon als ganz junger Mensch so staatstragend daher, als habe er seit seinem Abitur nichts anderes im Sinn gehabt, als Bundespräsident zu werden.

Gauck hingegen spielt seine Rolle als Überraschungskandidat hervorragend: ein furchtloser Quereinsteiger, der zwei Diktaturen erlebt hat und als Theologe so brillant formuliert, dass seine Zuhörer nach jeder Rede mit Tränen in den Augen das Manuskript verlangen. Wulff hat eine Laufbahn, Gauck ein Leben - so hat es der Schriftsteller Erich Loest formuliert und damit ausgedrückt, was sich im Internet, der wahren Volkspartei, seit Tagen manifestiert: Die große Mehrheit der Deutschen verlangt nach Gauck, weil sich plötzlich eine gewaltige Unzufriedenheit mit der Parteipolitik in eine gewaltige Zustimmung für Gauck transformiert.

Traurig für Gauck, dass ihm das alles auch nichts nutzt: Der Bundespräsident wird nicht vom Volk gewählt, sondern von der Bundesversammlung - und das ohne Aussprache, womit es ihm verwehrt bleibt, sein rhetorisches Geschick gegenüber Wulff kurz vor der Stimmabgabe auszuspielen. Außerdem verfügt die schwarz-gelbe Regierungskoalition über eine ausreichende Mehrheit, und alles andere als ein Sieg im ersten Wahlgang wäre eine faustdicke Überraschung.

Warum also diese ganze Aufregung, dieser auch von den Medien angefachte Zweikampf Wulff gegen Gauck, der am Ende die Politikverdrossenheit im Volk nur verstärken wird, weil der vermeintlich bessere Kandidat einem blassen Parteipolitiker unterliegt? Weil die Wahl eines Bundespräsidenten immer auch zu durchsichtigen taktischen Spielchen genutzt wird - auf beiden Seiten. Und deshalb schickt der Alt-68er Trittin mit seinen Grünen einen unverständigen Anti-68er ins Rennen, der seine arrogant-pathetische Überlegenheit für jene ausspielt, die ihn eigentlich nie mochten.

Angela Merkel steht Gauck menschlich und politisch viel näher, beide sind Protestanten, Pastor und Pastorentochter mit gemeinsamen politischen Wurzeln. Sie könnte mit ihm als Präsidenten besser leben als mit Wulff und besser als sie es mit Köhler konnte. Aufgestellt aber haben ihn SPD und Grüne, weil sie Merkel vorführen wollten. Dabei setzt die SPD, um in der gegenwärtig geläufigen Fußballsprache zu bleiben, auf Punktgewinn, nicht auf Sieg.

Sie hat sich bei früheren Präsidentenwahlen, als sie einen unabhängigen Kandidaten ohne SPD-Parteibuch hätte wählen können, immer dagegen entschieden. Sonst wäre der ostdeutsche Wissenschaftler Jens Reich oder die Liberale Hildegard Hamm-Brücher schon 1994 ins Präsidentenamt gekommen.

Die Kanzlerin wiederum hat sich im Umfragetief ihrer Partei nicht getraut, eine Politikerin wie Ursula von der Leyen durchzusetzen. Ihre Machtposition innerhalb der Union ist nach einem Jahr Koalition mit der FDP schwächer geworden, das bürgerlich-konservative Lager der Partei verlangt Zugeständnisse - und sei es durch die Wahl eines konservativen Karrierepolitikers. Grotesk, wenn die CSU jetzt Wulff demonstrativ ihre Unterstützung verspricht, da sie vor Jahren noch selber lieber Gauck gehabt hätte - nur eben als Kandidaten der Union.

Auch wenn Wulffes schafft, wird seine Wahl den erhofften Befreiungsschlag für Merkel nicht bringen. Nach Oettinger, Koch und Rüttgers wird der Kanzlerin der vierte Landesfürst von der Fahne gehen, der in der Union ganz oben war. Es wird allmählich einsam um Angela Merkel, so einsam wie bei Joseph Haydns Abschiedssymphonie, die der Musiker für den Fürsten Esterhazy komponierte und vorführen ließ.

Weil das Orchestermit seinen Arbeitsbedingungen unzufrieden war, verließen die Musiker im fünften Satz beim müden Adagio nacheinander die Bühne. Erst packt der Hornist nach klagendem Solo Instrument und Notenpult ein und trollt sich, ihm folgen Flötist und Oboist. Am Ende sitzen noch zwei Geiger da, die das Stück seufzend und kümmerlich beenden. Merkel und Westerwelle sollten wieder mal gemeinsam zum Konzert in die Berliner Philharminie gehen und Haydns Symphonie Nr. 45 hören. Dafür wird das Haushaltsgeld noch reichen.

© SZ vom 29.06.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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