Bundespräsident:Rita Süssmuth: "Das Volk soll direkt wählen"

Rita Süssmuths Meinungen sind immer etwas anders als die der Union. Ein Gespräch über die Vorteile einer Direktwahl des Bundespräsidenten und die Kandidaten Wulff und Gauck.

Lars Langenau

Rita Süssmuth, 73, lehrte als ordentliche Professorin für Erziehungswissenschaft. 1981 trat sie in die CDU ein, wurde 1985 Bundesministerin für Jugend, Familie, Gesundheit und später für noch für den Bereich "Frauen". Doch mit vielen Parteifreunden geriet die hartnäckige und fortschrittliche Sozialpolitikerin zunehmend aneinander. 1988 wurde sie in das Amt der Bundestagspräsidentin weggelobt und stürzte 1991 beinahe über die sogenannte Dienstwagen-Affäre. 1998 verlor sie ihren Göttinger Wahlkreis, zog aber über die niedersächsische CDU-Landesliste wieder (bis 2002) in den Bundestag ein. Kanzler Gerhard Schröder (SPD) übertrug ihr den Vorsitz der Zuwanderungskommission, an der sich die CDU/CSU nicht beteiligte. Noch immer ist Süßmuth Ehrenvorsitzende der Frauenunion, setzt sich für eine verstärkte Integration von Ausländern ein und ist am Aufbau der deutsch-türkischen Universität in Istanbul beteiligt.

Rita Suessmuth haelt nichts vom Ruhestand

"Wir sind nicht mehr in der Weimarer Republik, sondern in einer gefestigten Demokratie", sagt Rita Süssmuth und ergänzt: "Der Bundespräsident ist der Präsident des gesamten Volkes! Warum sollte man ihn dann nicht auch durch das Volk wählen lassen?"

(Foto: ag.ddp)

sueddeutsche.de: Frau Süssmuth, Kurt Biedenkopf hat vorgeschlagen, dass die Parteien bei der Bundesversammlung am Mittwoch das Stimmverhalten freigeben. Können Sie den Vorstoß des einstigen Ministerpräsidenten von Sachsen nachvollziehen? Immerhin haben sich dieser Meinung inzwischen ja auch die ehemaligen Präsidenten Richard von Weizsäcker und Roman Herzog angeschlossen.

Rita Süssmuth: Es gibt keine Vorgaben im Grundgesetz zur Einschränkung des freien Stimmverhaltens, sondern im Gegenteil: Es geht gerade um das eigenverantwortliche freie Stimmverhalten.

sueddeutsche.de: Schön und gut. Aber die Realität sieht anders aus. Die thüringische CDU-Politikerin Dagmar Schipanski ließ Sympathien für den Kandidaten Joachim Gauck erkennen - und war danach als CDU-Wahlfrau nicht vorstellbar.

Süssmuth: Das ist die Praxis. Ich rede davon, was das Grundgesetz sagt. Realität ist auch, dass bereits im Vorfeld versucht wird, Gewinner und Verlierer klar auszumachen und seinen Kandidaten auch erfolgreich durchzusetzen. Um es so auszudrücken: Es wird im höchsten Maße darum geworben, dass die Stimmberechtigten einer Fraktion geschlossen abstimmen.

Wir sind nicht mehr in der Weimarer Republik

sueddeutsche.de: Lassen wir das mal so stehen. Aber Sie haben ja noch einen ganz anderen Vorschlag, wie man zu einem neuen Staatsoberhaupt kommt.

Süssmuth: Ich werbe schon seit langem für die Direktwahl des Bundespräsidenten. In den meisten Ländern, werden Staatspräsidenten oder Bundespräsidenten - wie in Österreich - direkt gewählt. Und das auch in Ländern, die wie wir eine parlamentarische Demokratie haben. In unserm Grundgesetz ist es anders geregelt - Wahl durch die Bundesversammlung. Aber es schwächt unsere Demokratie keineswegs, wenn der Bundespräsident/in direkt vom Volk gewählt wird, im Gegenteil!

sueddeutsche.de: Dann hätte der Bundespräsident ja eine höhere Legitimation als die Kanzlerin.

Süssmuth: Das kann nicht der Hauptgrund gegen eine Grundgesetzänderung im Sinne einer Direktwahl des Staatsoberhauptes sein. Das muss keine Änderung der jetzigen Kompetenzverteilung zur Folge haben. Es ist schon ein Unterschied, ob die Abgeordneten der Parlamente - erweitert um andere Personen, die der Meinung der Fraktion und Partei nahestehen - wählen, oder ob es um die Beteiligung des ganzen Volkes geht. Die Parteien wären weiterhin noch immer beteiligt, weil sie ja die Kandidaten aufstellen. Dazu sehe ich auch keine Alternative.

sueddeutsche.de: Dagegen sprechen die Erfahrungen mit Reichspräsident Paul von Hindenburg in der Weimarer Zeit. Was würde jetzt, 80 Jahre danach, wirklich dafür sprechen?

Süssmuth: Wir sind nicht mehr in der Weimarer Republik, sondern in einer gefestigten Demokratie. Der Bundespräsident ist der Präsident des gesamten Volkes! Warum sollte man ihn dann nicht auch durch das Volk wählen lassen? Jeder Einzelne kann so mitentscheiden, wer Bundespräsidentin oder Bundespräsident sein wird. Und das macht für mich einen großen Unterschied zur Bundesversammlung aus.

sueddeutsche.de: Mal ironisch gefragt: Sollten wir denn auch unseren Bundestrainer wählen, wenn es um eine repräsentative Persönlichkeit geht?

Was für eine Direktwahl spricht

Süssmuth: (lacht) Das ist doch selbstverständlich nicht vergleichbar und gehört nicht hierhin. Der Bundespräsident spricht für das ganze Volk, nicht für einzelne Gruppierungen. Er gehört zwar nicht zur Exekutive, aber ein Großteil der Bürger identifiziert sich mit ihrem Präsidenten und sieht ihn eben nicht nur als Repräsentationsfigur. Gerade an zentralen Reden unserer Bundespräsidenten hat sich doch gezeigt, welch hohen Stellenwert das Wort, das unsere Bundespräsidenten gedanklich und sprachlich in die Öffentlichkeit einbringen, hat. Das gilt für die bedeutenden Reden, die in Erinnerung sind: Die 8.-Mai-Rede von Richard von Weizäcker, die "Ruck-Rede" von Roman Herzog oder die Berliner Rede von 2009 zur Finanz- und Wirtschaftskrise von Horst Köhler.

sueddeutsche.de: Da wären wir bei Joachim Gauck. Was halten Sie von ihm?

Süssmuth: Es steht außer Frage, dass er ein sehr respektabler Kandidat ist. Gerade in diesen Tagen erleben wir, wie die Menschen ihm zuhören, wie gewichtig sein Wort ist und das man ernst nimmt, was er sagt.

sueddeutsche.de: Was sind Christian Wulffs Vorzüge für das höchste Staatsamt?

Süssmuth: Ich kenne Christian Wulff sehr lange aus meiner politischen Heimat Niedersachsen. Politik ist kein Kinderspiel und er weiß darum. Ich habe ihn als sehr lernfähigen Politiker erlebt. Er hat gelernt, den Menschen das Gefühl zu geben, dass hier jemand ist, der sich für sie einsetzt, der zusammenführt und hinhört. Gauck und Wulff haben sehr unterschiedliche, nicht vergleichbare Biographien. Wulff ist sehr jung zur CDU gestoßen und verfügt über eine langjährige politische-, auch parteipolitische Erfahrung. Inzwischen auch als langjähriger, erfolgreicher und auf Integration ausgerichteter Ministerpräsident. Joachim Gauck kommt aus der Bürgerrechtsbewegung und ist parteilos.

sueddeutsche.de: Für wen hätten Sie sich entschieden?

Süssmuth: Das hätte ich im Vorfeld nicht mitgeteilt. Wenn wir es mit der Gewissensentscheidung wirklich ernst nehmen, dann ist dieses Votum geheim. Es geht um zwei sehr respektable Persönlichkeiten. Auch Gauck hat nie einen Hehl daraus gemacht, wie nah er Angela Merkel steht und wie sehr er viele ihrer Positionen teilt.

sueddeutsche.de: Hätten Sie es begrüßt, wenn man sich im Vorfeld auf einen parteiübergreifenden Kandidaten geeinigt hätte?

Süssmuth: Wenn das möglich gewesen wäre: ja. Aber hier hat man das nicht gekonnt oder nicht gewollt. Und jetzt ist es müßig, darüber zu reden.

sueddeutsche.de: Sie dürfen nicht mitwählen. Warum nicht?

Süssmuth: Darüber müssen wir nicht lange spekulieren ...

sueddeutsche.de: Warum hat es niemals eine Bundespräsidentin Rita Süssmuth gegeben? Oder treten Sie zur nächsten Wahl in fünf Jahren mit der Weisheit einer 78-Jährigen an?

Süssmuth: Nein (lacht). Es ist nicht so, dass ich mir diese Aufgabe nicht zugetraut hätte, aber mir fehlten während meiner politisch aktiven Zeit die Mehrheiten in meiner Fraktion. Und heute stellt sich diese Frage für mich nicht mehr.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: