Wiederholungswahl in Berlin:Giffey: SPD will "starke, führende Rolle" spielen

In Berlin gewinnt die CDU, aber Sozialdemokraten und Grüne bevorzugen, die Koalition mit der Linken fortzusetzen. FDP-Chef Lindner will sich im Bund stärker von seinen Koalitionspartnern abgrenzen.

Von Kassian Stroh

Trotz der Verluste bei der Wahl beansprucht die SPD nach den Worten ihrer Spitzenfrau Franziska Giffey weiter eine "starke, führende Rolle" für sich in der Berliner Landespolitik. Ihr Ziel sei gewesen, dass das Rathaus rot bleibe, sagte die Regierende Bürgermeisterin. Nun müssten die Gespräche mit den anderen Parteien zeigen, inwieweit das möglich sei. Die SPD habe aber den "Anspruch, diese Stadt weiter mitzugestalten". Die Frage, ob das in jedem Fall bedeute, dass sie selbst im Amt bleiben müsse, beantwortete Giffey nicht.

Aus ihrer Sicht gehe es in den Gesprächen mit CDU, Grünen und Linken darum, inhaltliche Schnittmengen auszuloten, eine stabile politische Mehrheit im Abgeordnetenhaus zu finden und "Veränderungsnotwendigkeiten" anzunehmen, sagte Giffey. Bei einer Fortsetzung des rot-grün-roten Bündnisses heiße das, dass der Koalitionsvertrag aus dem vergangenen Jahr "nicht einfach so bleiben" könne. Bei den Themen innere Sicherheit, Verkehrspolitik, Wohnungsmarkt und Verwaltungsreform müsse es Änderungen geben.

Aus der Wiederholungswahl am Sonntag war die CDU klar als stärkste Kraft hervorgegangen, sie holte mit 28,2 Prozent der Stimmen etwa zehn Prozentpunkte mehr als bei der Wahl im September 2021. CDU-Spitzenkandidat Kai Wegner wertete das als "klaren Regierungsauftrag" für seine Partei. "Die Berlinerinnen und Berliner haben den Wechsel gewählt." Auch CDU-Chef Friedrich Merz sagte: "Der jetzige Senat mag noch über eine rechnerische Mehrheit im Abgeordnetenhaus verfügen, politisch hat er die Mehrheit gestern verspielt."

Mit SPD und Grünen, mit denen er jeweils eine Koalition bilden könnte, will Wegner nun "sehr schnell" Sondierungsgespräche führen. Grünen-Spitzenkandidatin Bettina Jarasch sagte aber, dass sie die derzeitige rot-grün-rote Koalition "gerne" fortsetzen wolle - auch unter Giffey. An der Linken werde dies nicht scheitern, sagte Linken-Spitzenkandidat Klaus Lederer. SPD-Bundeschef Lars Klingbeil warb ebenfalls für diese Koalition - und zwar unter Giffeys Führung: "Sie ist die Richtige", sagte er.

Giffey machte zugleich klar, dass die derzeitige Regierung so lange im Amt bleibe, bis eine neue gebildet sei. "Der Senat ist voll handlungsfähig." Ihre Partei kam wie die Grünen auf 18,4 Prozent, die SPD lag mit 105 Stimmen mehr hauchdünn vor den Grünen. Gedankenspiele, dass angesichts dieses knappen Vorsprungs Grüne und SPD jeweils die Hälfte der restlichen Legislaturperiode die Regierende Bürgermeisterin stellen könnten, lehnte Giffey klar ab: Dafür sei sie "nicht zu haben". Auf die Frage, ob sie selbst auch in einer von der CDU geführten Landesregierung mitarbeiten würde, antwortete Giffey, das könne sie derzeit nicht sagen. Erst müsse sich der Vorstand der Berliner SPD mit dem Ergebnis befassen.

Der Landeswahlleiter stößt derzeit keine Neuauszählung an

Bei der Wahl scheiterte die FDP mit 4,6 Prozent an der Fünf-Prozent-Hürde und wird im Abgeordnetenhaus nicht mehr vertreten sein. Auf die Linke entfielen 12,2 Prozent, auf die AfD 9,1 Prozent. Das vorläufige amtliche Endergebnis wurde tief in der Nacht vom Landeswahlleiter veröffentlicht. Trotz des sehr knappen Vorsprungs der SPD vor den Grünen sieht er derzeit keinen Anlass für eine Nachzählung. Nur der kleine Abstand oder die politische Bedeutung der Reihenfolge für die Regierungsbildung seien noch kein Grund dafür, sagte Stephan Bröchler bei einer Pressekonferenz.

Die Differenz sei "in der Tat sehr knapp", sagte Bröchler. "Aber 105 Stimmen sind auch ein Fakt." Bislang gebe es keine Hinweise auf konkrete Zählfehler. Am Morgen hatte Bröchler noch gesagt, man werde sich die Zahlen genau ansehen und das Ergebnis mit den Juristen besprechen. Das sei inzwischen erfolgt, sagte er am späten Mittag. Zuständig seien nun erst einmal die Bezirkswahlleitungen und -ausschüsse. Würden Parteien oder einzelne Abgeordnete eine neue Auszählung in bestimmten Wahlkreisen verlangen, müssten sie sich dorthin wenden.

SPD-Landesvize fordert Neuanfang in seiner Partei

In der Berliner SPD rumort es nun allerdings. Der stellvertretende Landesvorsitzende Kian Niroomand forderte eine ehrliche Aufarbeitung. "Das Ergebnis ist für uns eine Zäsur", sagte er der Deutschen Presse-Agentur. "Es kann nicht so weitergehen." Die SPD müsse ihre Wahlniederlage "mit Demut annehmen" und hinterfragen, wie sie sich für die Zukunft aufstellen wolle - was als Kritik an Giffey verstanden werden kann. Niroomand plädierte dafür, darüber in Ruhe zu diskutieren und sich nicht vorschnell auf Bündnisse festzulegen.

In der rot-grün-roten Koalition hatte es im vergangenen Jahr immer wieder geknirscht. Daraus wollen SPD und Grüne offenkundig Konsequenzen ziehen. "Egal, in welcher Konstellation wir agieren: Es braucht Veränderungen in der Stadt und in der Zusammenarbeit in der Regierung - da ist schon einiges aufzuarbeiten", sagte Giffey. Angesichts des denkbar knappen Wahlergebnisses erwarte sie einen "wirklich partnerschaftlichen" Umgang, betonte wiederum Jarasch. Ihre Partei, die Grünen, verloren am Sonntag deutlich weniger Stimmen als die Sozialdemokraten.

Im Bund will sich die FDP stärker von Grünen und SPD abgrenzen

Als Konsequenz aus der neuerlichen Niederlage seiner Partei bei einer Landeswahl kündigte FDP-Bundeschef Christian Lindner an, in der Ampelkoalition im Bund stärker liberale Positionen durchsetzen zu wollen. "Eine Politik gegen das Auto ist ganz offensichtlich nicht im Interesse der Menschen", sagte er an den grünen Koalitionspartner gerichtet. Auch müsse illegale Einwanderung nach Deutschland begrenzt werden, forderte Lindner. Die Menschen ließen sich Probleme bei der Integration nicht "von politisch korrekten Argumenten" ausreden.

Die Vorsitzenden von SPD und Grünen gingen bei ihren Pressekonferenzen am Montag darauf nicht ein. Vielmehr gaben sich Saskia Esken (SPD) und Ricarda Lang (Grüne) betont versöhnlich. Man bedauere, dass es die FDP nicht in das Berliner Abgeordnetenhaus geschafft habe, sagten beide nahezu unisono. Das habe man sich nicht gewünscht.

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