Süddeutsche Zeitung

Krieg in Syrien:Einmischung mindert die Aussicht auf Frieden in Syrien

Die USA und Russland haben eine Feuerpause vereinbart. Aber wie viel Hoffnung darf man jetzt schöpfen? Die Statistiken sind ernüchternd.

Kommentar von Moritz Baumstieger

Die zwei größten Militärmächte der Welt drücken gemeinsam die Pausentaste. Wenn im syrischen Bürgerkrieg eine Woche die Waffen schweigen, wollen Moskau und Washington fortan im Kampf gegen die Islamisten kooperieren. Und schließlich dem Land helfen, auch politisch wieder zu einer gemeinsamen Zukunft zu finden - nach fünf Jahren der Grausamkeiten, nach Hunderttausenden Toten und elf Millionen Menschen, denen selbst die ungewisse Zukunft als Bürgerkriegsflüchtling sicherer erschien als ein Ausharren zu Hause.

Das Genfer Abkommen zwischen USA und Russland sollte eigentlich eine gute Nachricht für Syrien sein. Wer bitte, außer den mächtigen Vereinigten Staaten, kann genug Druck auf die zersplitterte Opposition ausüben, erst einmal stillzuhalten - obwohl ihre Kämpfer dem Regime zu Recht misstrauen? Und was, außer einem deutlichen Wort von Wladimir Putin, soll den syrischen Machthaber Baschar al-Assad davon abhalten, weiterhin Wohnviertel, Krankenhäuser und Märkte in Rebellengebieten zu bombardieren - mit Fass- und Brandbomben, teils mit Chemiewaffen?

Trotzdem sind viele Experten skeptisch, dass Syrien bald friedliche Zeiten erleben wird. Zum einen, weil bereits die kleinste Unbedachtheit eines eher nachgeordneten Akteurs das fragile Friedenskonstrukt der Großmächte zum Einsturz bringen kann. Doch abgesehen davon deuten vor allem die Grundstrukturen dieses Bürgerkrieges darauf hin, dass das Schlachten noch sehr lange weitergeht.

Sobald ausländische Mächte intervenieren, verlängern sich Bürgerkriege

Schon die rein statistische Betrachtung der Bürgerkriege der vergangenen Jahrzehnte mindert die Hoffnung. Im Schnitt dauerte ein solcher etwa eine Dekade, die von den USA und Russland angestrebte Waffenruhe würde da gerade die Halbzeit markieren. Noch pessimistischer muss aber stimmen, dass nun zwei Fremdmächte die Pausentaste drücken und nicht die Bürgerkriegsparteien selbst. Die Konfliktforschung belegt einen simplen, aber leider wirkmächtigen Zusammenhang: Sobald ausländische Mächte intervenieren, verlängern sich Bürgerkriege um ein Vielfaches. Die meisten dieser Konflikte enden nicht durch eine Einsicht der Kriegsparteien, sondern wenn Moral und Ressourcen einer oder aller Fraktionen erschöpft sind.

Im Falle von Syrien geschah das jedoch nicht. Im Gegenteil, immer mehr Waffen und Kämpfer fluteten das Land, bis es ein einziges Schlachtfeld war: Als das Regime 2012 in der Defensive war, griff Iran ein. Um dessen Hilfe auszubalancieren, schickten die Golfstaaten von 2013 an den Rebellen noch mehr Waffen, kurz darauf verstärkten die USA ihr Engagement. Seit 2015 ist Russland in der Luft und auf syrischem Boden aktiv, dort zieht seit August nun auch noch die Türkei ihr ganz eigenes Spiel auf. Zu diesen Mächten kommen die substaatlichen Gruppen: Milizen der Hisbollah aus Libanon, schiitische Verbände aus Afghanistan und dem Irak, Einzelpersonen aus allen Erdteilen, die für die Dschihadisten oder auf Seiten der Kurden kämpfen. Das einzige Interesse, das alle gemein haben: Sie wollen das Schlachtfeld nicht als Verlierer verlassen. Auch wenn die aktuelle Pattsituation keinen Sieg bringt, besser als eine Niederlage ist sie allemal.

Selbst wenn die Waffenruhe halten und es zu Friedensgesprächen kommen sollte, dämpft ein weiterer Blick in die Statistik die Hoffnung: Bei Bürgerkriegen, in denen sich nur zwei Parteien gegenüberstanden, erreichten Verhandlungen in zwei Dritteln der Fälle einen tragfähigen Frieden. Bekämpften sich aber mehrere Gruppen, gelang das nur in einem Viertel der Fälle, zu viele verschiedene Interessen machten das Finden eines Konsenses unmöglich. Im Falle Syriens dürfte es bereits unmöglich sein, die Anzahl der Bürgerkriegsparteien genau zu bestimmen.

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SZ vom 12.09.2016/fie
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