Süddeutsche Zeitung

Waffenrecht:Achtung, tödliche Sportwaffe!

  • Am Tag des Amoklaufs in Winnenden gründete Roman Grafe die Initiative "Keine Mordwaffen als Sportwaffen".
  • Sein Buch über den "Sportwaffen-Wahn" ist erschreckende Dokumentation und Anklageschrift zugleich.

Rezension von Robert Probst

Der Mörder von Winnenden kam mit einer halbautomatischen, großkalibrigen Beretta-Pistole 92 FS, einer Militärwaffe, die etwa bei der US-Armee in Gebrauch ist. Er holte sie einfach aus dem Schlafzimmerschrank seines Vaters, einem Sportschützen. Am 11. März 2009 erschoss Tim K. an der Albertville-Realschule acht Schülerinnen, einen Schüler und drei Lehrerinnen. Auf der Flucht tötete der 17-Jährige drei weitere Menschen, bevor er sich selbst das Leben nahm.

Am selben Tag gründete der Journalist, Autor und Filmemacher Roman Grafe die Initiative "Keine Mordwaffen als Sportwaffen". Das Ziel: ein Verbot tödlicher Sportwaffen, egal welchen Kalibers. Zehn Jahre später hat Grafe nun Bilanz gezogen. Es ist eine bittere. Aus seiner Sicht hat er (noch) nichts erreicht.

Grafes Buch ist eine erschreckende Dokumentation und Anklageschrift zugleich. In Deutschland gibt es etwa 960 000 registrierte Waffenbesitzer (Stand 31.12.2018) mit etwa fünf Millionen Schusswaffen. Laut Grafes Initiative sind seit 1990 mehr als 240 Sportwaffenopfer in Deutschland zu beklagen, offizielle Statistiken gibt es nicht. Stattdessen gibt es laut Grafe den Mythos vom scharfen deutschen Waffenrecht. Eine Mythos, der vor allem der Beruhigung der Bürger dient. Und der scheinbar nach wie vor gut funktioniert.

Ja, dieses Buch hat viele Schwächen. Es betrachtet nicht die unterschiedlichen Motive der Mordschützen; es fehlt eine Definition, was als Amoklauf, als gezieltes Massaker oder als Terrorakt einzustufen ist; es gibt wenig fundierte Mutmaßungen über die psychologischen Gründe für die Begeisterung am Sportschützentum; es gibt Waffenmetaphern in Hülle und Fülle ("Das Dauerfeuer der Waffenmagazine", "Ein Volltreffer" für den Minister, "wie aus der Pistole geschossen" kontert Joachim Herrmann (CSU) ...), es gibt die nervige Aufzählung, welche Zeitung welche Pressemitteilung der Initiative aufgegriffen hat.

Außerdem hat Grafe sich entschieden, sein 600-Seiten-Werk konsequent chronologisch aufzubauen. Amoklauf folgt auf Amoklauf. Auf den ersten Blick ist auch das ein Problem. Doch letztlich ist diese Erzählweise (so muss man es nennen, denn es wird mehr erzählt als analysiert) auch die größte Stärke dieses Buches.

Denn alles wiederholt sich, die immer gleichen Sprüche der Sportschützen-Funktionäre (bedauerlicher Einzelfall, Brauchtum und Kultur in Gefahr, oder besonders zynisch: Wir sind die eigentlichen Opfer), der Zuspruch zahlreicher Politiker (Noch mehr Gesetze können keinen Amoklauf verhindern), salbungsvolle Worte beim Gedenken an Todesopfer, die Verzweiflung der Betroffenen, dass wieder nichts passiert. Zumindest nicht genug. Grafes Gegenvorschlag - Druckluftwaffen oder Lasergeräte - führt bei den Schützenvereinen meist nur zu höhnischem Gelächter.

Kampf gegen die Gleichgültigkeit der Öffentlichkeit

Grafe ist in dem Sinne auch mehr Aktivist als abwägender Autor, er ist ein Freund klarer Sprache. Immer am Rande der Verleumdung balancierend, wimmelt es beim ihm nur so von "bewaffneten Extremisten", "Demagogen" und "Gefangenen im Waffenwahn". Seine Gegner sind die Verbandsvertreter der Legalwaffen-Besitzer, Politiker, die offenbar die Lobbymacht der Waffenfreunde fürchten und Waffennarren, die ebenfalls nicht zimperlich sind in ihrer Wortwahl und ihn als Lügner, als Tatsachenverdreher oder als Mann mit paranoiden Zügen beschimpfen und seiner Familie Schlimmes androhen.

Das Buch ist verdienstvoll und aufrüttelnd, Grafes Engagement bewundernswert. Doch Grafe hat, obwohl 99 Prozent der Deutschen keine Sportschützen sind, nicht die Mehrheit auf seiner Seite. An wenigen Stellen gibt er Einblick in seine Seelenleben, schreibt über Zweifel und Tränen - und kämpft weiter unermüdlich gegen die Gleichgültigkeit der Öffentlichkeit, die sich bei allem momentanen Schrecken offenbar nicht bedroht fühlt.

Dass es anders geht, zeigt etwa das Beispiel Großbritannien, wo Faustfeuerwaffen seit 1997 verboten sind - nach einem Schulmassaker. Und nach einem Aufschrei der Bevölkerung.

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Quelle:
SZ vom 11.03.2019/gal
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