VerteidigungspolitikPistorius setzt auf weniger Transparenz bei Waffenlieferungen

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Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) plant einige Änderungen in der Verteidigungspolitik.
Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) plant einige Änderungen in der Verteidigungspolitik. (Foto: JOHN MACDOUGALL/AFP)

Kanzler Merz und Verteidigungsminister Pistorius schränken die öffentliche Information über Waffenlieferungen an die Ukraine ein. Auch an anderer Stelle deutet sich ein Kurswechsel an.

Von Georg Ismar, Berlin

Neulich, beim Werben an der SPD-Basis um Zustimmung zum Koalitionsvertrag, da ist Boris Pistorius etwas der Kragen geplatzt. Er wurde nach einer Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine gefragt. Er kenne kein Land, „in dem über die Lieferung einzelner Waffensysteme so sehr in der Öffentlichkeit diskutiert wird, wie in Deutschland“, sagte der Verteidigungsminister. Und er frage sich, woher „dieses erotische Verhältnis zu Waffen“ komme.

Der SPD-Politiker Pistorius dürfte nicht unglücklich sein, dass es nun in Absprache mit dem neuen Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) zu einer Kehrtwende in der bisherigen Informationspolitik zu Waffenlieferungen an die Ukraine kommt. Nach fast drei Jahren wird nicht mehr derart öffentlich über Waffenlieferungen in die Ukraine informiert.

Friedrich Merz war die Änderung wichtig, auch Pistorius begrüßte sie

Man wolle so eine „strategische Ambiguität“ in der Kommunikation erreichen, um Russland keine strategischen Vorteile mehr zu verschaffen. Denn, so die Argumentation, durch die deutschen Debatten, den Druck auf die Regierung von Merz’ Vorgänger Olaf Scholz (SPD), ihre Lieferungen transparent zu machen, bekam auch Russland genaue Kenntnis über den Umfang der Lieferungen, die Dauer von Produktionszeiten für Nachschub, den Umfang der Bundeswehrbestände und die dort entstandenen Materiallücken.

Merz war die Änderung ein zentrales Anliegen. Am Dienstagabend, bei der ersten Kabinettssitzung, besprach er sie mit Pistorius, der sie begrüßte. Beim Besuch am Folgetag in Paris wurde auch der französische Staatspräsident Emmanuel Macron informiert, der ebenfalls erfreut war über das Ende dieser vielleicht nicht ganz optimalen deutschen Offenheit. Im Zuge der Reise des Kanzlers in die Ukraine wurde die Neuerung nun öffentlich gemacht.

Am 21. Juni 2022 hatte der damalige Regierungssprecher Steffen Hebestreit mit der Pressemitteilung Nr. 214 erklärt, dass von nun an die Waffenlieferungen in einer öffentlich einsehbaren, ständig aktualisierten Liste veröffentlicht würden. Vorausgegangen waren Debatten, dass die Regierung von Kanzler Scholz zu zögerlich handele; am Anfang schickte man der Ukraine lediglich 5000 Helme. Mit der Liste wollte man zeigen, was man alles tut, Deutschland wurde nach den USA zum zweitgrößten Unterstützer der Ukraine.

Das Parlament werde weiter über Lieferungen an die Ukraine informiert, sagt ein Sprecher des Verteidigungsministeriums

Letztmals wurde die Liste am 6. Mai 2025, dem Tag der Wahl von Merz zum Kanzler, aktualisiert. Neu hinzukamen laut Liste 330 000 Schuss Gepard-Flakpanzermunition (zuvor: 292 000), Flugkörper für das Luftverteidigungssystem Iris-T-SLM, 269 Minen-geschützte Fahrzeuge (zuvor: 203) und neue Munition für Leopard-2-Kampfpanzer. Der Liste zu entnehmen ist, dass inzwischen zum Beispiel 18 Leopard-2-Kampfpanzer, 103 Leopard-1-Kampfpanzer und 140 Marder-Schützenpanzer geliefert worden sind. Darüber hatte es zunächst lange Debatten gegeben, Scholz warnte vor der Eskalationsgefahr.

Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums betont, dass das Parlament weiterhin transparent über Lieferungen informiert werde. Doch die öffentliche Liste wird nun nicht mehr aktualisiert. „Die Bundesregierung wird sich künftig bei Details zurückhalten, vor allem bei Systembezeichnungen und Stückzahlen, weil es sich dabei um Informationen handelt, die Russland in seinem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine nutzen.“

Damit dürften sich auch weitere öffentliche Debatten um eine Taurus-Lieferung erübrigen, wenngleich eine Lieferung sich nicht dauerhaft geheim halten ließe. Allerdings ist mangels Einigkeit zwischen Union und SPD auch nicht damit zu rechnen – Letztere hatte eine Lieferung im Wahlprogramm ausgeschlossen.

Die größte Baustelle von Pistorius ist das fehlende Personal

Pistorius ist der einzige Minister der Ampel-Zeit, der in seinem Amt weitermacht. Und so hat er sich auch kein 100-Tage-Programm auferlegt, sondern ein Auftaktprogramm. Der Etat soll von knapp auf 52 auf rund 60 Milliarden Euro steigen. Durch die Lockerung der Schuldenbremse an dieser Stelle fallen alle Verteidigungsausgaben über einem Prozent des Bruttoinlandsprodukts (derzeit 43 Milliarden Euro) nicht unter die Schuldenregel. Wegen der Bedrohung durch Russland und erhöhten Nato-Anforderungen wird im Ministerium damit gerechnet, dass der Etat in dieser Legislaturperiode auf etwa 3,5 Prozent des BIP steigen muss, das wären aktuell 150 Milliarden.

Klarheit hierzu dürfte der Nato-Gipfel Ende Juni in Den Haag bringen. Da fehlendes Geld nun keine Ausrede mehr ist, wächst auch der Druck auf Pistorius, zu liefern. Helfen soll zum Beispiel ein Planungs- und Beschaffungsbeschleunigungsgesetz. Auch beim Bauen von Kasernen soll einiges vereinfacht werden, denn hier braucht es schon wegen des Mehrbedarfs an Personal mehr Tempo.

Kommt es doch zu einem Pflichtelement?

Die Personalfrage wird eines der wichtigsten Themen zum Auftakt. Intern wird mittelfristig mit einem Bedarf an 460 000 Soldaten und Reservisten gerechnet. Aktuell gibt es 181 000 Soldaten und 34 000 aktive Reservisten. Pistorius will nun zügig einen neuen Anlauf für einen neuen Wehrdienst starten. Ein Entwurf soll noch vor der Sommerpause in das Parlament eingebracht und spätestens Anfang 2026 dann in Kraft treten.

Nach SZ-Informationen wird hier anders als bei dem vom alten Bundestag nicht mehr beschlossenen Entwurf auch ein Pflicht-Element erwogen. Alle Männer und Frauen, die 18 Jahre alt werden, sollen einen Fragenbogen zur körperlichen Fitness und der Bereitschaft zu dienen ausfüllen. Bei Männern wird der Fragebogen demnach Pflicht, bei Frauen freiwillig.

Wenn sich nicht genug freiwillige Männer finden, könnten, das wäre neu, auch geeignete Kandidaten verpflichtet werden. Eine Option dafür könnte ein Losverfahren wie in Dänemark sein. Es ist aber fraglich, ob ein solches Vorgehen juristisch tragfähig wäre. Schon die erste Woche zeigt, dass die Herausforderungen für Pistorius enorm sind. Und dass, wie das Beispiel des neuen Schweigegelübdes bei Waffenlieferungen zeigt, auch einiges anders werden soll.

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