Waffenlieferung an Kurden im Nordirak:Von wegen "historische" Entscheidung

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Kämpfer der kurdischen Peschmerga sollen deutsche Waffen bekommen - historisch ist das nicht. (Foto: REUTERS)

U-Boote für Israel, Kampfhubschrauber für den Irak - Deutschland hat mehrfach Waffen in Krisengebiete geschickt. Mit den Waffenlieferungen an die Kurden wird also kein Tabu gebrochen. Die Entscheidung ist sogar ein Schritt zurück.

Kommentar von Christoph Hickmann, Berlin

Wenn für politische Entscheidungen das Wörtchen "historisch" bemüht wird, lohnt es sich immer, etwas genauer hinzuschauen. Das gilt auch für die Entscheidung der Bundesregierung, Waffen an die kurdischen Kämpfer zu liefern, die sich im Nordirak den Mordbanden des Islamischen Staats entgegenstellen. Warum soll der Beschluss eigentlich historisch sein?

Prantl zu Waffenlieferungen, Heikle Frage nach dem richtigen Mittel (Video: Süddeutsche.de)

Rein formal ist er das jedenfalls nicht, schließlich hat Deutschland, obwohl stets das Gegenteil beteuert wird, schon bislang Waffen in Krisengebiete geliefert: U-Boote nach Israel etwa, die atomar bewaffnet werden können. Der Irak wiederum hat in den vergangenen Jahren, als es dort auch nicht sehr friedlich zuging, Kampfhubschrauber aus deutsch-französischer Produktion bekommen.

Und die eigentlich historischen Entscheidungen sind um die Jahrtausendwende gefallen, als sich die Bundesrepublik an den Kriegen auf dem Balkan und in Afghanistan beteiligte. Trotzdem geht die Bedeutung des aktuellen Beschlusses samt vorheriger Debatte weit über die Lieferungen selbst hinaus: Zu besichtigen ist, in welchem Dilemma sich die deutsche Außenpolitik eineinhalb Jahrzehnte nach diesen historischen Entscheidungen befindet.

Tabus wurden in Afghanistan gebrochen, aber nicht jetzt

Man könnte die Waffenlieferungen ja sogar als Schritt zurück einstufen: Während man sich etwa in Afghanistan noch aktiv beteiligt hat, beschränkt man sich jetzt darauf, andere auszurüsten. Schon klar, im Herbst 2001 waren die Voraussetzungen andere: Nach dem Terrorangriff auf die USA galt das Diktum von der uneingeschränkten Solidarität, es gab eine internationale Koalition. Aber sonst: Sind die Voraussetzungen wirklich so anders?

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Die Taliban übten eine Schreckensherrschaft aus, es stand zu befürchten, dass Afghanistan dauerhaft zum Rückzugsort von Terroristen würde. Beides gilt genauso für den Islamischen Staat und das von ihm kontrollierte Gebiet - potenziert. Die Taliban wirken im Rückblick beinahe zivilisiert, wenn man sie mit dieser Terrormiliz vergleicht. Und kaum jemand bezweifelt, dass sie das Potenzial hat, die Region weiter zu destabilisieren - was dann unmittelbare Folgen für die Sicherheit auch in Europa hätte. Trotzdem wurde die Möglichkeit eines direkten Eingreifens hierzulande nicht einmal im Ansatz diskutiert.

Das ist vor allem deshalb bemerkenswert, weil auch entschiedenste Befürworter der Lieferungen gar nicht erst den Versuch machen, das größte Risiko zu leugnen: dass die Waffen am Ende nicht nur gegen IS-Kämpfer gerichtet, sondern für andere Zwecke eingesetzt werden könnten. Oder gar in andere Hände geraten.

Wer die eigene Armee schickt, hat solche Probleme nicht oder minimiert zumindest das Risiko. Natürlich ist das eine grobe Vereinfachung, doch genau das ist letztlich die Abwägung, wenn man einmal entschieden hat, nicht nur zuschauen zu wollen: Entweder tote und verletzte eigene Soldaten oder das Risiko, dass Waffen da landen, wo man sie nicht haben will.

Zumindest mal reden

Die Regierung hat diese Abwägung getroffen, sie folgt nun einer Linie, die Angela Merkel bereits vor einiger Zeit vorgegeben hat und die als "ertüchtigen statt einmischen" zusammengefasst wurde: Erst einmal sollen die direkt Betroffenen die Probleme lösen. Dafür gibt es tatsächlich gute Gründe. Trotzdem hätte man über eine direkte Intervention in den vergangenen Wochen ja zumindest mal reden können. Dass dies nicht geschah, bedeutet: Die vor einem guten halben Jahr durch die Reden des Bundespräsidenten, des Außenministers und der Verteidigungsministerin ausgelöste Befürchtung, nun werde die deutsche Außenpolitik militarisiert, wird so schnell nicht wahr werden.

Das liegt nicht nur am viel zitierten Pazifismus in der deutschen Bevölkerung. Es liegt vor allem daran, dass die Militäreinsätze der vergangenen Jahre noch einmal gezeigt haben: So einfach ist die Sache nicht. Ist Mali heute ein stabiler Staat? Was ist mit Libyen? Und vor allem: Was wird aus Afghanistan, wenn in vier Monaten der Einsatz der internationalen Schutztruppe Isaf endet? Schon jetzt dringen immer wieder Schreckensmeldungen aus den Gebieten, aus denen sich die Verbündeten bereits zurückgezogen haben. Und man kann nicht behaupten, dass es sich in Afghanistan um einen brachialen Rein-raus-Einsatz gehandelt hat. Stattdessen hat man sich zwölf Jahre lang mit viel zivilem Aufwand bemüht.

Was heißt es, wenn Deutschland mehr Verantwortung übernehmen soll? Die Frage ist ebenso wenig trivial wie die Konflikte dieser Welt. Die Entscheidung, Waffen in den Nordirak zu liefern, ist trotz aller möglichen Nebenwirkungen richtig. Historisch wäre sie erst, wenn aus ihr weitere, ausgereifte Antworten auf die Herausforderungen dieser Zeit entstünden. Die Suche danach hat gerade begonnen.

© SZ vom 02.09.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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