Waffengesetze in den USA:Obamas "Nie wieder" ist nur vage Verheißung

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27 Engelsfiguren aus Holz stehen unweit der Sandy-Hook-Grundschule in Erinnerung an die Opfer des Amoklaufs von Newtown, einschließlich der zuvor in ihrem Haus getöteten Mutters des Täters. (Foto: AFP)

Amerika weiß nach dem Massaker von Newtown sehr wohl, dass so etwas jederzeit und überall wieder passieren kann. Obamas Versprechen, den Menschen "mit jedem Mittel" beizustehen, ist jedoch lediglich nacheilende Nothilfe. Und kein vorbeugender Schutz. Denn geändert hat der Präsident seit den vergangenen Massenmorden nichts.

Ein Kommentar von Christian Wernicke, Washington

Nie wieder! Amerika ächzt unter dem Leid, das der Blutrausch eines 20-jährigen Amokläufers übers Land gebracht hat. 27 Opfer jagte der Mann mit der Gewalt seiner Waffen in den Tod, darunter 20, deren Leben gerade erst begonnen hatte: zwölf Mädchen und acht Jungen, sechs und sieben Jahre jung. Newtown, der Name der Kleinstadt im Staat Connecticut, wird in die Horror-Annalen der USA eingehen. So wie zuvor Columbine (1999, 13 Opfer), Virginia Tech (2007, 32 Opfer) oder Aurora (2012, 12 Opfer). Das Volk trauert, und der Präsident vergießt öffentlich Tränen.

Nie wieder? Amerika weiß sehr wohl: Das nächste Massaker kommt bestimmt. Irgendwann, irgendwo. Oder besser: Jederzeit, überall. Die verwundete Nation zelebriert ihre Agonie nach jedem neuen Massenmord, eingeübt wie die Rituale des sonntäglichen Gottesdienstes. Scheinbar verblüfft nimmt sie zur Kenntnis, dass die Täter - meist junge weiße Einzelgänger, oft mental gestört - ihr Mordwerkzeug problemlos und sogar legal ergattern konnten. Das Fernsehen heuchelt Beileid, Politiker beteuern Abscheu, nur die Waffenlobby verweigert - vorgeblich "aus Respekt vor den Opfern" - die Aussage. Den Rest überlässt man Therapeuten, Gefängniswärtern, Totengräbern. Alles Routine. Schon wieder!

Der 26-fache Mord in der Sandy Hook Elementary School ist bereits die 13. Massenschießerei in den USA anno 2012. Knapp 10.000 Bürger verlieren im "Land der Freien und der Heimat der Tapferen" alljährlich ihr Leben durch Schusswaffengewalt. 10.000 Schicksale, eine Ziffer dreimal so hoch wie die Zahl der Opfer der Anschläge vom 11. September 2001. Mit dem Unterschied freilich, dass dem heimatlichen Terror - befeuert von knapp 300 Millionen Waffen, beinahe einer Knarre pro Kopf - niemand den Krieg erklären mag.

"Nie wieder" ist bloß eine Trauerklage

Es klingt ohnmächtig, wenn der gerührte Präsident (und Vater zweier Töchter) Stunden nach dem Anschlag "gebrochene Herzen" beklagt und sagt, sein Land habe solcherlei "Tragödien zu viele Male durchgemacht". Tragödien . . . - als wäre die Verwüstung von Newtown nicht Menschenwerk, sondern die Folge einer vom Himmel gesandten Naturgewalt. Vage verheißt Barack Obama, er wolle solcherlei Horror "durch sinnvolle Taten" künftig verhindern. Ähnlich wohlfeile Worte über Gräbern hat der Demokrat bereits nach früheren Massakern von sich gegeben. Nur getan hat er nichts. Der Präsident hechelt dem Tod hinterher: Sein Versprechen, den Menschen in Connecticut nun "mit jedem Mittel" beizustehen, meint nacheilende Nothilfe - nicht vorbeugenden Schutz.

Des Präsidenten "Nie wieder" ist bloße Trauerklage. Er spendet Trost, Besserung verspricht er nicht. Während Obamas erster Amtszeit starben mehr als 40.000 seiner Landsleute im Kugelhagel; jedes zehnte Opfer war unter 18 Jahren. Den Mut, mit strengeren Gesetzen wenigstens einigen Killern die Waffe aus der Hand zu schlagen, brachte er nie auf. Das erfüllt, zumindest politisch, den Tatbestand unterlassener Hilfeleistung. Obama verweist auf das in der Verfassung verewigte US-Bürgerrecht auf Waffenbesitz. Vor allem aber scheut er den Kampf mit den Republikanern und der Gun-Lobby. Deren Widerstand gegen fast jedwede Kontrolle grenzt an politische Komplizenschaft bei Mord und Totschlag.

Ziviler Krieg gegen den Waffenwahn

Sicher, kein Verbot kann sämtliche Mörder stoppen. Auch Deutschland musste, trotz strengerer Regeln, die Amokläufe von Erfurt (2002, 16 Opfer) oder Winnenden (2009, 15 Opfer) durchleiden. Nur: Nirgendwo in Westeuropa grassiert die Gewalt aus Gewehrläufen so wie in den USA: Die statistische Wahrscheinlichkeit, von einer Schusswaffe getötet zu werden, ist dort 16-mal höher als in der Bundesrepublik. Warum? Weil Washingtons Politik den Besitz paramilitärischer Gewehre und halbautomatischer Pistolen, mit denen der Täter von Newtown binnen zwei Minuten 26 Menschen sowie sich selbst umbrachte, mehr schützt als das Leben unschuldiger Kinder. Weil Waffenhändler Mega-Magazine mit bis zu 100 Patronen feilbieten dürfen. Weil zum Knarren-Kauf de facto der Führerschein genügt. Der obligatorische "Background-Check" ist reine Farce. 99 von 100 Anträgen winken die Behörden durch.

Dies endlich zu ändern, verlangt Herz. Nicht Beileid, sondern Courage. Amerikas Waffenrecht wurde stets mit dem Blut seiner Opfer geschrieben: Nur unter dem Eindruck brutalster Ereignisse fand sich die Nation bereit, Gesetze zu verschärfen. Nie wieder! Dafür muss Obama den Horror der Stunde nutzen und dem Waffenwahn seinen zivilen Krieg erklären. Selbst wenn er verliert - es wäre der Ehre und der Opfer wert. Sonst bleibt er, was er ist: Präsident gebrochener Herzen.

© SZ vom 17.12.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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